Ach her je,
da hat man mal ein paar Tage wenig Zeit und schon ist der Thread voll.
Nun, möchte ich dann mal meinen Senf dazu geben, an manchen Stellen möchte ich auch aus einer, für meine Begriffe sehr guten Literatur zitieren, welche von schon genanntem Herrn Klaschik und Herrn Husebo (+einigen weiteren) verfasst wurde.
Ich möchte auch gleich mit einem beginnen, einem "Beispiel aus der Praxis":
Quelle: Palliativmedizin Grundlagen und Praxis
für Buchbesitzer S. 56 Kapitel 2
Frau A. sollte am nächsten Tag operiert werden. Bei der präoperativen Visite fiel mir auf, dass ihr Allgemeinzustand sehr schlecht war. Sie hatte seit 6 Jahren ein Krebsleiden mit multipler Metastasierung im Gastrointerstinalbereich. Viermal war sie in diesem Bereich operiert worden. ....
Da das Operationsrisiko sehr groß war, suchte ich ihren Chirurgen auf. Auf meine Frage sagte dieser: "Du hast Recht, das OP Risiko ist mehr als groß. Ich fürchte, ihre Aussichten sind mit oder ohne Operation sehr gering.
....
Darauf suchten wir gemeinsam die Frau auf und wiederholten unser Gespräch.
...
Dann schaute sie uns an und sagte:
"Wenn ich also richtig verstanden habe, habe ich die Wahl zwischen einer risikoreichen OP und der Möglichkeit, nach Hause zu fahren. Wie ich mich auch entscheide, es sieht schlecht für mich aus.
.....
Jetzt habe ich erfahren was ich wissen wollte. Ich möchte nicht operiert werden, ich will nach Hause.
....
Wissen sie auf dem Weg zum Krankenhaus, sagte ich noch zu meinem Mann: Ich glaube, dass die einzige Möglichkeit zu sterben für mich darin besteht, mit dem Essen aufzuhören.
Für viele ist dieses offene Gespräch schon ein Problem und es wird meiner Ansicht nach viel zu selten geführt, man muss natürlich auch überlegen ob man es mit dem Betreffenden führen kann oder führen sollte.
Allerdings finde ich den letzten Satz, als den Bezeichnensten, viele, viele Menschen werden sich diese Gedanken machen und noch mehr werden Angst davor haben, dass dies tatsächlich der letzte Ausweg ist.
Allein diese Tatsache ist für mich ein Zustand der untragbar ist und zeigt wie weit fast alle Länder von einem, ich will es mal "Ideal" nennen, entfernt sind.
Es kam hier auch oft auf, das in der Palliativmedizin kurative Ansätze fehlen würden.
Bei sterbenden Patienten treten häufig Komplikationen wie Lungenödem oder Pneumonie auf, sollte man diese Komplikationen behandeln oder bedeuten sie nicht die Chance des sterbenden Patienten zu sterben?
Man hat nun nachweislich gesehen, dass Patienten auch mit diesen Komplikationen friedvoll sterben können, wenn man die Folgen und das Leiden, statt die Ursache behandelt.
Viele von uns haben gelernt: Der Patient kann nicht trinken = Infusion.
Es liegt aber kein Nachweis vor, der zeigt, das Durst bei den bei Sterbenden durch Flüssigkeitszufuhr gelindert wird.
Quelle: Palliativmedizin Grundlagen und Praxis
für Buchbesitzer S. 77 Kapitel 2 unteres Drittel
Basierend auf einer Übersicht der wissenschaftlichen Literatur, ist es wahrschneinlich, dass fortgeschrittene Dehydrierung und Hunger zu keinen Schmerzen und nur zu gerigem Unbehagen durch trockenen Mund führen. Letzteres kann gelindert werden.
weiter auf Seite 78 letzter Abschnitt bis S. 79 heißt es:
Viele dieser Patienten bekommen einen Tropf, obwohl nach unserem heutigen Wissen kein Nachweis vorliegt, dass dieser Linderung oder Vorteile für den Sterbenden bringt. Die notwendige kompetente Mundpflege, Mundhygiene, Befeuchtung von Lippen, Zunge und Rachen, erhalten diese Patienten nicht!.....
Die heute vorliegenden Wissenschaftlichen Daten deuten zunehmend darauf hin, das eine iatrogene Flüssigkeitszufuhr Sterbenden keinen Nutzen bringt und für sie eine erhebliche Belastung darstellt.
Man sollte sich selbst die Frage bewantworten wie viel Wahrheit in dem fett gedruckten Satz, für seine eigene Arbeit, steckt.
Für mich gibt es eindeutige und unwiderlegbare Argumente gegen die aktive Sterbehilfe, auch wenn diese legalisiert sein sollte.
Es wird Menschen geben, die es als ihre Pflicht ansehen werden bei notwendiger, aufwendiger Betreuung aus dem Leben zu scheiden und werden auch viele die aktive Sterbehilfe, auf Grund von Inkompetenz unserer ärztlichen Kollegen oder auch unserer eigenen Berufskollegen, in Erwägung ziehen. Allein das sind schon ausreichende Gründe aktive Sterbehilfe abzulehnen und ein gutes, flächendeckendes Palliativ Care Angebot zu schaffen.
Anderseits welchen Wert messe ich dem Leben des Patienten durch Euthanasie bei? Zeige ich ihm nicht: Du! Bist durch dein Leiden, nichts mehr wert für die Gesellschaft! ?
Viele begründen ihren Ruf nach Euthanasie mit dem Verlust der Würde, auch dazu, finde ich, gibt es eine sehr gut formulierte Passage im Buch.
S. 99 - 100 Kapitel 2
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Vielleicht brauchen sie täglich Hilfe bei der Körperpflege. Vielleicht können sie nicht mehr das Bett verlassen und sind nicht mehr voll orientiert. Sie sind von der Hilfe anderer abhängig. Haben sie dann ihre Würde verloren?
Kinder sind in ihrer ersten Lebensphase von unserer Liebe und Fürsorge abhängig.
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Niemand stellt in diesem Zusammenhang die Frage, ob ein Kind Würde hat, trotz des enormen Bedarfs an Fürsorge und Hilfe. Was ist die Ursache dafür, dass wir auf Schwäche und Hilflosigkeit bei Alten und Kranken herabsehen?
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Haben diese Menschen ihre Würde verloren?
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Die Alten haben den Höhepunkt ihres Lebens passiert, wir hingegen sind geprägt durch Unverletzbarkeit, Selbstbegeisterung, Zukunftschancen und Arbeitsaktivität.
Die Alten sind die Verlierer.
Doch Vorsicht: Wenn wir lange genug leben, werden wir selbst unter diesen Vorutreilen zu leiden haben.
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Alle Menschen haben Würde. Es ist undenkbar, dass einige Menschen keine Würde haben. Die Herausfoderdung besteht darin, dass Würde verletzt werden kann.
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Wenn niemand diesen Patienten besucht, weil er krank, dement oder schwach ist, dann wird seine Würde gekränkt. Wenn der Patient Windeln erhält, obwohl er mit Hilfe die Toilette besuchen könnte, wenn wir seine Einsamkeit übersehen und seinen Bedarf an Schmerzmedikamenten, dann zeigen wir, dass er eine Belastung ist und wertlos, unsere Gleichgültigkeit gegenüber diesen Menschen, Mangel an Kompetenz, Verständnis und Liebe ist ihre größte Kränkung.
Die Würde der Schwachen, der Sterbenden und der Alten muss jeden Tag durch uns bestätigt werden.
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Kann man die Würde eines Menschen mehr kränken, als dadurch, dass man ihm anbietet, ihn zu töten?
zu guter letzt möchte ich noch ein für mich sehr aussagekräfitges, wichtiges Zitat einfügen:
S. 105 letzter Abschnitt von Kapitel 2.3.4
Die Lösng für Schmerzen, Leiden und Kränkung von Würde eines Patienten besteht nicht in einer tötenden oder sedierenden Spritze. Die Lösung besteht darin, dass wir kompetente palliativmedizinische und -pflegerische Versorgung anbieten für alle, die sie brauchen.
Ich weiß, ich habe viel zitiert und vielleicht ist es dadurch etwas schlechter Lesestoff, aber für mich ist dieses Kapitel in diesem Buch sehr, sehr gut herausgearbeitet, fundiert und besser formuliert, als es mir gelingen würde.
Ich bin in der Regel eher von der etwas hartgesotteneren Sorte, aber gerade dieses Kapitel des Buches, mit vielen, vielen weiteren interessanten Seiten, hat mich doch sehr betroffen. Für mich beinhaltet vor allem das oben genannte ein hohes Maß an Realität, auch...im Bezug auf meine eigene Arbeit, mein eigenes Handeln oder auch oder besser gesagt meine eigenen Fehler. Fehler vielleicht auch gleichzusetzen mit Inkompetenz, die man sicher nicht in jeder Situation selbstverschuldet, aber das Leiden von Menschen stark vergrößern kann, ihnen sogar die Würde nehmen kann oder sie sogar, bei einer Legalisierung der aktiven Sterbehilfe, in den Tod treiben kann. Von "Freitod", Tötung auf Verlangen oder aktiver Sterbehilfe fällt es mir schwer angesichts dieser Fakten und der großen Möglichkeit meiner- oder unsererseits darauf Einfluss zu nehmen, zu sprechen.
Ich habe, kurz bevor ich den Thread eröffnete, das Buch zum dritten mal gelesen und kann es jedem nur empfehlen, es wird zwar eher "der Arzt" genannt, dennoch denke ich, können einige noch vieles aus dieser Literatur mitnehmen und umsetzen. Manche Einstellungen, die ich hier lesen durfte empfand ich als sehr erschreckend, andere gaben mir dafür doch wieder sehr viel Hoffnung, dass die Möglichkeit würdevoll zu sterben auf einem guten, wenn auch noch weitem Weg ist.
Gruß
Dennis