Aktive Sterbehilfe vs. Palliative Care

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Im ambulanten Bereich brauchen wir eine viel bessere Betreuung mit Hausärzten und Pflegediensten, die sich mit Palliative Care auskennen - und das flächendeckend.

Eine kurze Frage aus reinem Interesse, inwieweit ist in Deutschland der mobile Hospizdienst verbreitet?

Gruß,
Lin
 
Hallo Ev,

ich bewundere jeden, der das fertigbringt. Medizinische Laien noch mehr als unsereinen - wir wissen ja wenigstens, was wir im Notfall zu tun haben.

Aber nicht jeder sieht sich dazu in der Lage, auch nicht, wenn er es physisch die Zeit und die Kraft dazu hätte. Und wir können solche Leute auch nicht diesbezüglich unter Druck setzen. Es ist schwer genug, den Angehörigen (und Patienten) klar zu machen, dass die Palliativstation im Gegensatz zum Hospiz keine Dauereinrichtung ist und die Leute eine Entscheidung hinsichtlich der nachstationäre Versorgung treffen müssen.

Stell Dir vor, wir hätten wie in den Niederlanden aktive Sterbehilfe. Müssten wir dann nicht auch diese Möglichkeit aufzeigen? Auf der einen Seite: Hospiz - sprich: Krankenkasse zahlt, Pflegekasse zahlt, Patient zahlt (bis zu 50,-Euro am Tag) oder häusliche Versorgung - ähnliche finanzielle Lage plus eine immense Belastung des Angehörigen. Auf der anderen Seite: eine Giftspritze, Kasse zahlt, alles erledigt. Lass den Angehörigen gleichzeitig Betreuer und Erben sein. Dem Missbrauch sind Tür und Tor geöffnet.
 
Eine kurze Frage aus reinem Interesse, inwieweit ist in Deutschland der mobile Hospizdienst verbreitet?

Gruß,
Lin

Ambulante Hospizbegleitung ist vergleichsweise weit verbreitet. Wertvolle Arbeit - wir arbeiten mit solch einer Gruppe zusammen - aber es ersetzt die Profis nicht. Und die gibt's wenn überhaupt regional nur sehr unterschiedlich verteilt.

Ist im stationären Bereich im Prinzip nicht anders. Bayern hat ungefähr die Hälfte der benötigten Hospiz- und Palliativbetten und steht damit im Vergleich zu anderen Bundesländern recht gut da. Wenn Du aber genauer hinsiehst, gibt es allein vier Palliativstationen und auch mehrere Hospize in München. Der Rest des Landes sitzt auf dem Trockenen.

Bevor vor knapp zwei Jahren unsere Palliativstation eröffnet wurde, mussten die Leute entweder 40 km in die eine oder 80 km in die andere Richtung fahren. Wir haben acht Betten. Sechs Monate nach der Eröffnung hätten wir bereits anbauen können.

Genauere Infos findest Du hier: Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e.V.

Wie sieht's bei Euch in Österreich aus?
 
Hallo Claudia!

Danke für deine Antwort.
In Österreich sieht es auch nicht viel besser aus. Im städtischen Bereich ist die Versorgung mit Palliativeinrichtungen gut, aber im ländlichen Bereich sieht es sehr schlecht aus. Diese Einrichtungen leben zu einem großem Teil von den ehrenamtlichen Mitarbeitern.

Gsd haben wir eine Palliativ im Haus, die sich auch bei Bedarf um eine Betreuung zu Hause kümmert.
http://www.hospiz.at/pdf_dl/Ergebnisse_Datenerhebung_2005_def.pdf

Wir können auch davon ein Lied singen, dass Pat. gerne von einigen Ärzten überredet werden noch eine Chemo, noch eine Therapie zu bekommen, noch eine Tablette mehr zu schlucken, noch eine Untersuchung über sich ergehen zu lassen, obwohl sie selbst schon spüren, dass das Sterben nicht mehr weit ist. Zum Glück haben wir einen sehr guten Konsiliararzt, der die wirklichen Wünsche der Pat. vertritt und wenn der Pat. auch um 20 Uhr nach Hause gehen will, wird die Rettung verständigt und alles so gut es geht auf die Schnelle organisiert.
Aber ich glaube ich weiche zu viel zum Thema ab.

Nur eine Begebenheit möchte ich noch erzählen:
Ein Pat. - präfinal, konnte Transfer vom Bett in den Rollstuhl nur selbst durchführen, Begleitsymptome konnten einigermaßen kontrolliert werden - äußerte bei der Visite, er will nicht mehr leben und er springt aus dem Fenster. Der visitenführende Arzt rannte hektisch ins Dienstzimmer, wir müssen sofort den Psychiater informieren, die Fenster absperren usw.
Zu diesem Zeitpunkt kam gerade der Palliativmediziner auf die Station, der den Pat. auch mitbetreute. Ich informierte ihn über die Äußerung des Pat. Er sagte dazu: "Und warum darf er nicht über sein Lebensende selbst bestimmen? Das einzige warum wir ihn bitten können, ist dass er es zu Hause macht, da wir sonst sehr viele Probleme bekommen."
Zuerst hat mich diese Aussage etwas schockiert, aber je länder ich darüber nachdachte, desto mehr fand ich er hat Recht.
Wir haben dann noch sehr lange mit dem Pat. geredet. Er hat sich nicht das Leben genommen, sondern ist zu Hause auf natürlichem Wege verstorben.

Gruß,
Lin
 
Wenn das so ist, könnte man jede Psychiatrische Klinik schließen.
Warum darf sich ein Patient, der krank ist das Leben nehmen und einer der 23 Jahre und Gesund ist nicht?
 
Wir haben dann noch sehr lange mit dem Pat. geredet. Er hat sich nicht das Leben genommen, sondern ist zu Hause auf natürlichem Wege verstorben.

Mich würde interessieren, was war der Inhalt des Gespräches. Warum hat der Betroffene schließlich Abstand von seinem Ansinnen genommen?

Ich finde übrigens nicht, dass wir OT sind, wenn wir uns den Ursachen des Wunsches nach einem schnellen Tod zuwenden.

Elisabeth
 
Ich finde übrigens nicht, dass wir OT sind, wenn wir uns den Ursachen des Wunsches nach einem schnellen Tod zuwenden.
Der Wunsch entsteht, wie schon Vorredner auch meinten, aus Angst - Angst vor Hingabe und "Ich-Verlust" (Individualität), Angst vor dem Endgültigen, dem Unbekannten. Je mehr ich etwas festhalten will, desto stärker ist die Angst, es zu verlieren.

Das Problem der Begleitung bleibt, dass diese Ängste nicht einfach bewältigt werden können.
Doch kann Angst nicht die "Indikation" für eine Tötung sein (wenn es überhaupt einen Grund gäbe).

Der Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit wird aus dem Weg gegangen. Der Frage eines Kranken "Warum ich?" kann man entgegnen: "Warum denn die anderen?" - Das löst manchmal die ersten Reflexionen aus, wenn es sich auch hart anhört, aber mit Floskeln hilft man niemandem weiter.
 
@ yrt:
Ein Mensch der sich das Leben nimmt, kommt in keine Psychiatrie mehr.
Egal ob 20, 40 oder 80 - wenn sich jemand wirklich das Leben nehmen will, dann tut er das auch. Nur denke ich, ist es ein Unterschied, ob es sich um einen Gesunden oder einen Sterbenden handelt.
Suizidale Absichten entstehen meist, wenn der Mensch keinen Ausweg aus einer Situation weiß. Für einen anderen ist das Problem, das dieser Mensch hat, gar keines. Ihm müssen erst neue Verarbeitungs- und Bewältigungsstrategien gezeigt werden, weil er selbst sich in einem Loch befindet, aus dem er nicht mehr heraus kann.
Ein Sterbender weiß, dass er bald sterben muss. Die Beweggründe für einen Suizid können sehr verschieden sein. Ob es jetzt die Angst vor Schmerzen, der Einsamkeit, der Machtlosigkeit oder Kontrollverlust ist.
Hier bin ich der Meinung, es ist nichts schlimmes daran, wenn sich jemand - der ohnehin in einigen Tagen stirbt (sollte sich nicht pietätlos anhören) - dieses letzte Ereignis selbst gestaltet und Selbstmord begeht.
Wenn ich mich selbst in so einer Situation befinden würde, wüsste ich nicht, ob ich mich nicht für Suizid entscheiden würde. Ich weiß nicht, ob ich so eine Situation "aushalten" könnte. Zu der eigenen Last, kommt sehr oft noch die Sorgen um die Angehörigen hinzu. Sehr oft höre ich: "Ach, was soll nur meine Frau machen, wenn ich nicht mehr bin. Alleine kommt sie nicht zurecht." Mir kommt oft vor (vielleicht ist es auch nur Einbildung), Pat. deren Ehepartner schon gestorben sind und deren Kinder groß und außer Haus sind, sterben "leichter", d.h. sie können sich leichter vom Leben lösen und Abschied nehmen.
Warum darf deiner Meinung nach, jeder über sein Leben, aber niemand über seinen Tod entscheiden?

@ Elisabeth:
Wir fragten den Pat., wie es ihm geht usw. Langsam fiel dann das Thema auf seinen Ausspruch. Er sagte, dass er vorher sehr lange alleine war, da seine Angehörigen erst nachmittags kommen konnten und er Zeit hatte, über seine Situation nachzudenken. Er fühlte sich hilflos und dachte sich, wenn schon keine Hoffnung mehr besteht, für was dann noch weiterleben.
Als seine Gattin hinzukam, erzählte der Pat. ihr von sich aus von seinen Suizidgedanken. Die Gattin sagte ihm, wie wichtig diese Zeit für sie noch ist, auch wenn sie nur noch sehr kurz sein wird. Er meinte, es wäre nur ein kurzer Gedanke gewesen und eigentlich wollte er ihn gar nicht aussprechen. Ich denke, er suchte in diesem Moment etwas Zuneigung oder jemanden, der ihm zuhört.
Der Pat. hatte zuvor auch seinen Wunsch aufgegeben, zuhause sterben zu können, den wir ihm aber doch noch erfüllen konnten.

Gruß,
Lin
 
Suizidale Absichten entstehen meist, wenn der Mensch keinen Ausweg aus einer Situation weiß. Für einen anderen ist das Problem, das dieser Mensch hat, gar keines. Ihm müssen erst neue Verarbeitungs- und Bewältigungsstrategien gezeigt werden, weil er selbst sich in einem Loch befindet, aus dem er nicht mehr heraus kann.

Warum trifft dies auf einen Sterbenden nicht zu? Suizid ist eine Verzweiflungstat. Ich bin der Meinung das- egal bei wem- jeder einen Abspruch hat in dieser Verzweiflung Beistand zu bekommen. Und dieser Beistand sollte nicht in der aktiven Sterbehilfe gipfeln.

Elisabeth
 
Ich bin der Meinung das- egal bei wem- jeder einen Abspruch hat in dieser Verzweiflung Beistand zu bekommen. Und dieser Beistand sollte nicht in der aktiven Sterbehilfe gipfeln.

Beim ersten Satz gebe ich dir vollkommen recht.
Aber zum zweiten muss ich sagen, ich habe in keinen meiner Beiträge von aktiver Sterbehilfe gesprochen!

Gruß,
Lin
 
Hier bin ich der Meinung, es ist nichts schlimmes daran, wenn sich jemand - der ohnehin in einigen Tagen stirbt (sollte sich nicht pietätlos anhören) - dieses letzte Ereignis selbst gestaltet und Selbstmord begeht.

Ich habe den Satz so verstanden, als wenn du für eine aktive Sterbehilfe eintrittst.

Elisabeth
 
Zunächat mal meine persönliche Meinung: palliative Medizin und Pflege - ja, aktive Sterbehilfe brauchen wir in der BRD nicht, wenn wir die zur Verfügung stehenden (legalen) Möglichkeiten nutzen.
Wo liegt das Problem: viele Patienten fürchten sich vor einem leidvollen Sterben, weniger vor dem Tod. Niemand zeigt ihnen auf, wie Pflege und Medizin helfen können, mit dem Leiden fertig zu werden. Wenn ich mich recht erinnere so sind menschliches Leiden zu lindern und würdiges Sterben zu ermöglichen sowohl ärztliche als auch pflegerische Ziele. Aufgabe des Arztes ist es, den Willen des Patienten herauszufinden und ihm bei der Durchsetzung seines Willens zu helfen (Querverbindung: Patientenverfügung). Nur selten habe ich erlebt, dass der Arzt das auch tut.
Finden wir als Pflegende heraus, was der Patient möchte? Sind wir dazu qualifiziert? Hilft uns unsere evidenzbasierte Pflege dabei? Gibt es dazu überhaupt genug Grundlagen?
Mehr Fragen als Antworten!
Eine traurige Gesellschaft, die Altwerden nicht mehr erlaubt, die keinen Platz hat für Leiden und Sterben, die keine Familien mehr zulässt, die sich um ältere Angehörige kümmert.
Die Sorge um Sterbende wird zur ambulanten und stationären Dienstleistung. Mein Gott!
Apropos - wo bleibt der eigentlich dabei? Gott, Glaube, Religion? Können Menschen dort Hilfe finden in ihrem Leid? Sterben Gläubige leichter als Atheisten? Ist Leiden besser zu ertragen, wenn man einen religiösen Rückhalt findet?
Noch mehr Fragen und Anmerkungen, tut mir leid, wenn sie etwas unstrukturiert sind. Vielleicht ergibt sich die eine oder andere Anregung für den einen oder anderen Kollegen/Kollegin.

liebe Grüße

Uli
 
Ich habe den Satz so verstanden, als wenn du für eine aktive Sterbehilfe eintrittst.

Ich schrieb von Selbstmord, nicht von aktiver Sterbehilfe.


Zitat aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie:

"Suizid

Der Suizid (von neulateinisch suicidium aus dem Suffix sui = sich und caedere = töten, respektive caedium = Tötung; gr. autocheiria) ist das willentliche Beenden des eigenen Lebens, sei es durch beabsichtigtes Handeln oder absichtliches Unterlassen, z. B. lebenswichtige Medikamente, Nahrungsmittel oder Flüssigkeit nicht mehr zu sich zu nehmen."



"Aktive Sterbehilfe

Aktive Sterbehilfe ist die Durchführung von lebensverkürzenden Maßnahmen auf Grund des tatsächlichen oder mutmaßlichen Wunsches einer Person."

Gruß,
Lin
 
Die Sorge um Sterbende wird zur ambulanten und stationären Dienstleistung.

Das war schon immer eine Dienstleistung, z.B. in Klöstern (der Ursprung von Pflege und Medizin ist palliativ, weil es lange gar keine curativen Möglichkeiten gab).

Das Sterben früher fand auch nicht immer zuhause statt, war selbst dort nicht immer "idyllisch" (man bedenke die hygienischen Zustände), aber so lange Pflegezeiten wie heute gab es auch nicht. Jemand, der bettlägerig wurde (ein Bett zu haben, war schon viel), hatte ganz schnell eine Pneumonie oder eine andere Infektion, an der er mangels Medikamente (Antibiotika gibt es erst seit dem 20. Jahrhundert) auch bald starb.
 
@Lin- Ist die aktive Sterbehilfe nicht die Beihilfe zum Suizid?

@calypso- heutzutage ist ein großer Proenzentsatz zu verzeichnen, der in einer Institution stirbt. Die wenigsten sterben zu Hause. Das war zu Zeiten der Klöster noch andersrum.

Elisabeth
 
Hi!
Ich arbeite jetzt seit 5 Jahren in Den Haag (NL) auf einer großen onkologischen Chirurgie/HNO.Bin seitdem 4 mal bei einer aktiven Euthanasie anwesend gewesen.In allen Fällen handelte es sich um Patienten mit Kehlkopf oder Mundbodentumoren bzw. Tumoren im Halsbereich,welche durch ihre Größe und ungünstige Lage nicht mehr operativ entfernbar waren.Alle Pat.wären früher oder später qualvoll erstickt-was mit die Schlimmste Art ist aus dem Leben zu scheiden.In solchen Fällen und NUR in solchen Fällen befürworte ich aktive Sterbehilfe.Die Pat. konnten so im Kreise der Familie und auf eigenen Wunsch in Würde sterben.
 
@Lin

Ich habe nie gesagt, dass niemand über seinen Tod entscheiden darf.
Nur frage ich mich eben, warum man Depressionen behandelt, die zu Selbstmord führen können, wenn der Patient gesund ist.
Wenn er krank ist wird die Depression, die dazu führt dass er sterben will, als normal erachtet.
 
Hi!
In allen Fällen handelte es sich um Patienten mit Kehlkopf oder Mundbodentumoren bzw. Tumoren im Halsbereich,welche durch ihre Größe und ungünstige Lage nicht mehr operativ entfernbar waren.Alle Pat.wären früher oder später qualvoll erstickt-.

Woher nimmst du diese Erkenntnis?

Es erinnert mich ein bischen an die "Aufklärung" zur Tracheostomie bei ALS-Pat.: Also wenn sie das nicht wollen, dann werden sie qualvoll ersticken.

Qualvoll erstickt man bei vollem Bewußtsein durch die plötzliche Verlegung der Atemwege bzw. einer fulminanten Lungenembolie.
Eine langsame Verlegung der Atemwege reduziert meiner Meinung nach den Gasaustausch mit der Folge der CO2_ Narkose.

Elisabeth
 
Hallo,

also ich wäre für die Einführung der aktiven Sterbehilfe, weil ich der Meinung bin, dass jeder Mensch das Recht hat zu Entscheiden wann er Sterben möchte.
Ich denke dieses rumsiechen der Pflegefälle in den Altenheimen ist Menschenverachtend.

Wer will darf jetzt mit Steinen werfen


Harry
 
Natuerlich ist der erste Schritt die Tracheotomie bei besagten Pat.,alle Pat .haben diese verweigert nach ausreichender Aufklaerung.Und qualvoll ersticken kann man auch durch langsames Verschliessen der Atemwege.Die Leidenszeit ist halt nur laenger!!!!Immer davon augegangen der Pat. will kein Tracheostoma.
 
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