@squaw: Ne, ganz im Gegenteil. Die Pflegekammer ist sogar dafür da, Theorie und Praxis zusammenzubringen! Wenn es gesichertes Wissen gibt, das dem Pflegebedürftigen nützt oder für seine Gesundheit wichtig ist, dann soll es auch zur Anwendung kommen. Das kann es aber nicht, wenn es den Pflegenden nicht bekannt ist. Deshalb ist die Verpflichtung zur Fortbildung ja so wichtig.
Allerdings glaube ich, dass wir noch viel mehr den Fokus auf die praktische Pflege richten müssen, ganz so wie es Schröck propagiert. Für die Praxis reicht es sicher, eine Pflegetheorie zu kennen, die der pflegerischen Arbeit Struktur gibt und die Koordination erleichtert. Wer nach Roper arbeitet, muss nicht unbedingt Leiniger oder Orem kennen. Man muss es ja nicht übertreiben.
Viel wichtiger ist es, die pflegerischen Interventionen zu beherrschen. Dazu gehören nicht nur die Prophylaxen, sondern z. B. auch Validation bei Dementen, Schmerzmanagement in der akuten Chirurgie, Eschöpfungszustände in der Onkologie oder auch Konzepte wie Bobath und Kinästhetik. Selbstverständlich gehört im Krankenhaus auch medizinisches Wissen dazu. In der Altenpflege dürften z. B. die von Dementen nicht kommunizierten Bedürfnisse von großer Bedeutung sein. Hier muss die Klientenbeobachtung viel gezielter erfolgen, damit versehentliche Verletzungen oder Verbrühungen oder Opstipationen oder schmerzbedingte Kontrakturen nicht entstehen. Gering oder gar nicht qualifizierte Pflegehilfskräfte können hier unbeabsichtigt viel Schaden anrichten, oft ohne dass es jemand bemerkt.
Ich meine, dass unsere alltäglichen Angelegenheiten der Pflege viel mehr Aufmerksamkeit verdienen. Sie werden aber oft als Urinflasche leeren und Popo abwischen abgetan, was doch jeder kann. Was nützt mir die teuerste Medizin, wenn Praktikanten mein Essen abräumen und nicht bemerken, dass ich nicht genug zu trinken bekomme - ja, dann werde ich kachektisch ins Krankenhaus geliefert und bekomme eine teuere, aber eben abrechenbare medizinische Behandlung. Oder wenn permanent meine frühkindlichen Reflexe ausgelöst werden und meine Kontrakturen sogar noch verschärft werden, bis meine Handinnenflächen bluten? Wenn ich mitbekomme, was in der Pflege alles abgeht, wird mir ganz anders, wenn ich an mein eigenes Alter denke. Es ist weiß Gott nicht überall so schlimm, aber unter dem ökonomischen Druck in immer mehr Einrichtungen. Dann erscheint mir doch die gegenwärtige Debatte um aktive Sterbehilfe wie die Ankündigung einer willkommen billigsten Lösung.
Auch wenn jetzt viele hier von sich sagen würden, dass sie keine Pflegekammer brauchen, um gute Pflege drauf zu haben - wir wissen alle, dass wir nicht alle gleich sind und dass viele durchaus noch Bedarf an Schulung hätten - da unterscheiden wir uns von keiner anderen Berufsgruppe. Und vor allem haben wir vermutlich alle die Erfahrung gemacht, dass es dem Patienten gar nichts nützt, wenn ich alleine Bobath anwende und viele andere nach Hau-Ruck arbeiten. Wie gesagt, nicht das ich glaube, dass es überall ganz schlimm wäre, aber die Qualität der Pflege hängt immer noch sehr viel mehr von den einzelnden Personen ab, die sie machen, als von denen, die sie benötigen - da unterscheiden wir uns vielleicht doch ein bisschen mehr von anderen Berufsgruppen. Deshalb habe ich auch keine großen Probleme damit, diejenigen, die Fortbildungen eher meiden oder für aktuelles Wissen nicht zu haben sind, über eine Berufsordnung und Fortbildungspunkte inklusive Mindestverpflichtung durch eine Pflegekammer anzutreiben, ihre Wissensauffrischung nachweisen zu müssen. Das ist für mich einfach eine Frage der Verantwortung, die durchaus schwerer wiegt, als eine beliebige Freiwilligkeit, die mangelnde Qualität in Kauf nimmt und damit Unprofessionalität symbolisiert.
Was mich aber sehr ärgern würde ist, wenn die Vorgaben wieder von den ökonomischen Interessen der Arbeitgeber, der Sozialversicherungsträger und der konkurrierenden Berufsgruppen bestimmt werden würden und wir wieder fremdbestimmt werden würden. Deshalb brauchen wir eine pflegeberufliche Selbstverwaltung, die dafür sorgt, dass unsere Berufsgruppe bestimmt, was pflegerisch notwendig und sinnvoll ist, ganz besonders in Bezug auf das Zusammenbringen von Wissenschaft und Praxis.
Kurz: Pflegekammer ist enorm wichtig gegen "das Auseinanderdriften von Theorie und Praxis".