31.10.08: Pflegerat kritisiert Monopol der Ärzteschaft – „Entspricht nicht den Anforderungen“
Wer zahlt, wer haftet, wer soll was machen (dürfen) – und vor allem: Wird die Versorgung dadurch preisgünstiger? Abermals berichtet der Ärztliche Nachrichten Dienst (änd) über die Diskussionsveranstaltung „Agnes und Co: Wird die Schwester bald zum Doktor?“ (
Bibliomed - Start vom 30.10.08) „Arbeitsteilung ja, Verantwortungsteilung nein“, fasste der Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Dr. Andreas Köhler als Gastgeber heute die Haltung der Ärzteschaft zusammen.
Der Deutsche Pflegerat hingegen hat mehr Diagnose- und Therapiebefugnisse für Pflegekräfte gefordert. Das Festhalten der Ärzte an „Macht und Monopol entspricht nicht den Anforderungen der Gesellschaft“, kritisierte Präsidentin Marie-Luise Müller heute in Berlin, schreibt der änd. Müller diskutierte mit KBV-Vorstand Dr. Carl-Heinz Müller.
Die Ärzte dürften den „Paradigmenwechsel vom Krankheitsdenken zu Gesundheitsdenken“ nicht ignorieren, forderte Müller. Diesem zufolge müssten Prävention und Prophylaxe größere Bedeutung zugewiesen werden, ein Bereich, in dem sie „hochqualifizierte Pflegekräfte“ aktiv sieht, die mehr auf den ganzen Menschen blickten statt nur auf eine Krankheit. Sie wünsche sich eine „neues Nebeneinander von medizinischen Berufen“. Dazu gehöre auch, dass Diagnose- und Therapiebefugnis für Pflegekräfte ausgeweitet würden. Für 2015 etwa sehe sie freiberuflich tätige Pflegekräfte, orientiert an freiberuflich tätigen Hebammen, was Befugnisse und Haftungsfragen angehe.
„Den Menschen in einer alternden Gesellschaft muss mehr angeboten werden als organbezogene Medizin“, forderte sie. Die momentanen Modellprojekte gehen ihr nicht weit genug, sie seien lediglich „der verlängerte Arm einer ärztezentrierten Betrachtungsweise“. Die „Familiengesundheitsschwester“, wie Müller sie sich wünscht, geht allerdings weit über das hinaus, was heute gesetzlich vorgesehen ist. Zunächst wünscht sie sich deshalb mehr und weitergehende Modellprojekte, zum Beispiel mit eigenständigem pflegerischem Assessment. Wichtig sei, möglichen Pflege- oder Trainingsbedarf zu erkennen, bevor es zu Krankheiten komme. Für Unmutsäußerungen sorgte Müller laut dem Nachrichtendienst für Ärzte, als sie berichtete, bei ihrer 90-jährigen Mutter hin und wieder fünf der zehn Medikamente „wegzuwerfen und stattdessen erst einmal wieder Alltagsfähigkeiten zu trainieren“.
Genau das dürfe nicht sein, dass Pflegekräfte eine Therapie eigenmächtig absetze, kritisierte KBV-Vorstand Dr. Carl-Heinz Müller umgehend. Delegation ja, Substitution ärztlicher Leistungen nein, so sein Grundtenor. „Im Notfall kommen Sie ja auch nicht auf die Idee, eine Schwester zu rufen, Sie rufen den ärztlichen Notdienst.“
Vehement hatte Pflegeratspräsidentin Marie-Luise Müller am Vormittag mehr Macht und mehr Geld für Pflegekräfte gefordert. Viel Unterstützung für „ihre Geburtstagswünsche von einer neuen Welt der Pflegezentrierung“, wie Köhler es formulierte, bekam sie aber nicht – auch nicht von der eigenen Seite. Man wolle zwar eine Neubewertung, wer welche Aufgaben übernehmen könne, dabei aber nicht die Gesamtverantwortung des Arztes in Frage stellen, sagte Peter Bechtel, Vorsitzender des Verbands Bundesarbeitsgemeinschaft Leitender Pflegepersonen. „Frau Müller vertritt sehr spezielle Ansichten, die ich nicht weiter kommentieren möchte“, sagte Bechtel. Und auch Sabine Rothe, Präsidentin des Verbands medizinischer Fachberufe, sieht die ärztliche Praxis als Zentrums eines „therapeutischen Teams“. „Für unsere Berufe heißt das ganz klar: Delegation ja, Substitution nein.“ Allerdings müssten sich bessere Qualifikation und erweiterte Aufgaben auch im Lohn der Fachangestellten niederschlagen.
„Man braucht die ärztliche Verantwortung gar nicht zu teilen“, meinte Dr. Martin Daunert, Referatsleiter Gesundheitspolitik und Selbsthilfeförderung der BAG Selbsthilfe. Mit seiner Meinung, es gebe gar nicht zu wenig Ärzte, sie seien nur falsch verteilt, stand er allerdings allein da, schreibt der änd. Ein Ärztemangel sei absehbar, in einigen Regionen bereits Fakt, waren sich die Diskutierenden einig. Allerdings: „Es wird hier getan, als hätten wir so viele Kräfte, an die delegiert werden könnte. Welche Aufgaben den nun genau delegiert oder substituiert werden sollten, wollte Dr. Martin Grauduszus von der Freien Ärzteschaft wissen – und bekam keine befriedigende Antwort. Die Beispiele Willes aus Kliniken – etwa Anästhesie durch Fachpfleger – zögen für die Arztpraxen nicht, kritisierte er.
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