Vielleicht gehts auch manchmal nur um das ******gefühl jemanden sterben lassen zu müssen, ganz gleich der Umstände:
Einer meiner Patienten war ein Einheimischer mit einer Schusswunde im Unterleib. Sein Dickdarm war rupturiert, seine Bauchhöhle voller Exkremente. Aus irgendeinem Grund konnte ich die Sauerstoffsättigung nicht ausreichend sicherstellen, obwohl ich konstant manuell beatmete. Eine Brustdrainage war eingesetzt und an den Absaugungen abgeschlossen, und nichts deutete darauf hin, dass der Pat. aus einer Brustkorbverletzung blutete. Dennoch wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Das Niveau der Sauerstoffsättigung, das bei 95 bis 100 Prozent hätte liegen sollen, war auf 89 Prozent abgesunken. Die Ärzte entschieden den Eingriff abzubrechen und den Brustkorb zu öffnen. Eine dramatische, aber notwendige Entscheidung. Als der Brustkorb offen war, sahen wir ein Loch von der Größe eines Tennisballs im oberen Bereich seiner rechten Lunge, aus dem Blut quoll. Ich beatmete ihn, aber der Sauerstoff kam nicht in sein Blut - stattdessen wurde er aus dem riesigen, klaffenden Loch in seiner Lunge herausgeblasen. Als die Operateure diese verheerende, tödliche Wunde bemerkten, sahen sie sich an und konstatierten: >>Das wars mit der OP. Wir können nichts mehr für den Mann tun.<< Ich blickte zum Kommandierenden und fragte: >>Das wars? Was soll ich jetzt tun?<<
>>Du musst ihn sterben lassen.<<,
sagte er und ging vom Tisch weg. Der Mann war noch am Leben, weil ich mich bemühte, ihn konstant zu beatmen, indem ich den Beatmungsbeutel für die Narkose immer wieder drückte. Ich atmete für ihn, sein Leben lag tatsächlich in meinen Händen. Die Operateure brachen den Eingriff ab, verließen ihren Platz am Tisch und zogen den Kittel aus. Ich drückte immer noch auf den Beutel. So etwas lernt man nicht in der Narkoseausbildung, und ich war auf so einen herzzerreißenden, entscheidenden, letzten Akt nicht vorbereitet. Die OP-Schwestern begannen mit dem Aufräumen, kein Operateur war mehr zu sehen, aber ich drückte immer noch auf den Beutel. Ich konnte nicht aufhören, obwohl die Sättigungswerte des Mannes immer weiter absanken. Mir war klar, dass er im Sterben lag, dass sein Gehirn zu wenig Sauerstoff erhielt, dass man nichts mehr tun konnte, um sein Leben zu retten. Ich drückte immer noch auf den Beutel. Kollegen betraten den OP und sagten mir: >>Die Operateure kommen nicht wieder. Wir sind fertig, es ist vorbei.<< Ich drückte immer noch auf den Beutel. Ich brauchte Zeit, um mich davon zu überzeugen, dass die einzige Alternative darin bestand, das Leben dieses Mannes zu beenden. Ich war in diesem Augenblick voll für ihn verantwortlich, und mein Tun war das Einzige, was ihn noch am Leben erhielt. Während ich neben dem tödlich Verwundeten saß, erinnerte ich mich schlagartig an die Zeit, als ich noch an Bord des Marineschiffs stationiert war. Wir hatten damals darüber gesprochen, was wir tun würden, wenn das Schiff unter feindlichen Beschuss geriete und wir unsere Patienten nicht in Sicherheit bringen könnten, bevor das Schiff sank. Wir wollten nicht, dass sie qualvoll ertrinken müssen und entwickelten daher einen Plan: Die Patienten sollten von uns mit Morphium versorgt werden, damit sie friedlich sterben könnten, bevor sie zusammen mit dem Schiff untergehen würden. Diese Erinnerung gab mir Kraft. Ich verabreichte dem Patienten 10mg Morphium und drückte immer langsamer auf den Beutel. Schließlich und ganz allmählich bewegte ich den Beutel dann nicht mehr. Mein Patient war tot. Ich konnte nur beten, dass er friedlich eingeschlafen war. Trotz der überaus schmerzlichen Erfahrung, die ich gerade durchlebt hatte, war meine Arbeit noch lange nicht beendet. Man brachte uns immer mehr Verwundete, und es wurde schnell offensichtlich, dass in diesem Gebiet nicht nur Kampftruppen starben oder verwundet wurden. Ein neunjähriger Junge wurde eingeliefert; die Hälfte seines Gesichts war weggesprengt. Wo sich einst eine Nase befand, hing nur noch zerfetztes Gewebe. Sein rechtes Auge war verschwunden, wie auch ein großer Teil der rechten Gesichtshälfte. Er litt unter furchtbaren Schmerzen. Nur die Hälfte seines Munds war noch da, und doch schrie er laut nach seiner Mutter. Der Ruf nach >>Mama<< war universell, egal, welche Sprache die Kinder sich sonst bedienten. Wir wussten was er wollte, was er brauchte, was zu tun war.