Guten Morgen zusammen,
ich habe einige Jahre im Rettungsdienst gearbeitet, und bin dann über eine Akutneurologische Abteilung (viele Epilepsien) in die Intensivmedizin gewechselt.
Meine persönliche Meinung zu dieser Erfahrung (natürlich limitiert durch die bekanntgegebenen Fakten):
nach 10 Minuten trafen die Herren von der Feuerwehr dann ein
die eintreffzeit von 10 min (RTW & NEF) ist ja ganz ordentlich
Dies ist nicht nur ganz ordentlich, sondern im Rahmen. Bundesweit sind Hilfsfristen (Zeit von Notruf bis Eintreffen) definiert, die besagen, dass jeder mögliche Einsatzort innerhalb von 10 Minuten (in mindestens 80% aller Fälle) maximal in 15 Minuten (in 95% aller Fälle) erreicht werden sollte (siehe Handbuch des Rettungswesens). Jedoch bezweifel ich, dass ich auf die Uhr schauen würde, und Minuten können einem wie Stunden vorkommen.
Von der Situation her handelt es sich um einen Status epilepticus, da der beschriebene Krampfanfall länger wie 10 Minuten andauert.
Die Kernfragen, die ich mir hier stellen würde, sind :
1. Liegt eine lebensbedrohliche Situation vor ?
mittlerweile ordentlich auf die Zunge gebissen und eine leichte Zyanose war auch dabei
Die erste und wichtigste Massnahme hier wäre die Gabe von Sauerstoff, Atemwegssicherung (sofern möglich) und Aspirationsschutz (sofern möglich).
2. iv-Zugang versus IO-Zugang
Die Möglichkeit einen IO-Zugang zu legen sollte man immer dann in Erwägung ziehen, wenn ein sicherer IV-Zugang nicht gelegt werden kann, die Venensuche länger wie 90 Sekunden dauert, oder 3 frustrane Versuche einen IV-Zugang zu legen unternommen wurden. (
Der intraossäre Zugang im präklinischen Notarztdienst - SpringerMedizin)
Für mich heisst das : ein IV-Zugang sollte in angemessener Zeit mit angemessenen Mitteln gelegt werden.
Angemessen heisst aber auch bei der Materialwahl richtig zu entscheiden.
Da ich die Venen nicht kenne, kann ich diese Situation nur gemäss der Schilderung von Medisister beurteilen, und wahrscheinlich hätte ich mich auf eine kleinere Kanülengrösse eingelassen.
Grundsätzlich liegt jedoch die Entscheidung beim Durchführenden.
3. Welche Therapieoptionen habe ich
Da ja
Dormicum nicht verträgt, MAD ginge also auch nicht, ebenso wenig wie Lorazepam
und der anwesende Notarzt
dem Alter auf keinen Fall etwas rektal geben
wollte, bleibt nicht mehr viel übrig. Was also hätte der Notarzt geben wollen ?
4. Eine sehr seltene Komplikation bei der Anlage eines IO-Zuganges ist tatsächlich die Fraktur des punktierten Knochens. In der Literatur findet man nur sehr wenige Berichte dazu (erstmals 1989) und meist betrifft dies Kleinkinder.
5. und das ist die spannendste Frage :
Wenn ich davon ausgehe, dass es sich hier um keine akute vitale Bedrohung handelt, und die Therapieoptionen nur äusserst gering sind (in vielen Rettungsdiensten gehört Diazepam nicht zur Standardausstattung) hatte der Notarzt die Genehmigung zur Durchführung dieser Massnahme ?
Grundsätzlich erfüllt der ärztliche Heileingriff den Tatbestand der Körperverletzung, es sei denn, das Einverständnis des Patienten liegt vor.
Ist der Patient nicht in der Lage die Einwilligung zu geben, so handelt der Notarzt im Sinne einer "Geschäftsführung ohne Auftrag". Hierbei wird im Patienteninteresse entschieden und gehandelt.
Werden hierbei allerdings unangemessene Techniken verwendet, kann dies nicht im Interesse des Patienten sein. Hier wäre die weitere Gabe einer Rectiole angemessener gewesen.
Was man auch nicht vergessen darf, ist, dass die Entscheidungsbefugten Eltern anwesend waren, und gar Empfehlungen gegeben haben, an die man sich jedoch nicht gehalten hat.
In einem Satz gesagt : Der Notarzt versucht mit allen Mitteln einen Zugang zu schaffen, ohne die Möglichkeit, eine adäquate Therapie einzuleiten, und fügt der Patientin auf diese Weise schaden zu.
Um bösen Kommentaren vorweg zu greifen : Dies ist meine persönliche Meinung, und ich, selber Vater, würde jeden derartigen Vorfall, der meinem Kind passieren würde mit allen möglichen Rechtsmitteln ahnden lassen.