Zwischenbilanz der Generalistik - Bange um Zeit nach Examen

Milton.C

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Auszubildende Pflegefachfrau
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Liebe Mitglieder des Forums,

ich befinde mich derzeit im 2. Ausbildungsjahr der generalistischen Pflegeausbildung, Start Sept. 2020 in einem kleinen Grundversorgungskrankenhaus. Dementsprechend bin ich eine der ersten mit, welche die neue Ausbildung absolvieren dürfen.
Vergangene Woche hatte ich die theoretische Zwischenprüfung, welche lachhaft war.

Gliederung:
1. Informationssammlung zum Fallbeispiel
2. Pflegeplanung schreiben
3. Beratungsgespräch verschriftlichen

Das war's - praktisch/mündliche Zwischenprüfung erfolgt dann im Sommer.

Meine Schwester ist bereits exam. GuK und wenn ich ihre Lerninhalte von vor knapp 10 Jahren mit meinen vergleiche, kommt mein Kurs noch nicht einmal annähernd daran. Dem Lernplan sind jegliche Anatomie und Krankheitsbilder abhandengekommen. Behandlungspflegerisch relevante Themen und deren Grundlagen? Kann man vergessen. Ich gehe auf das 3. Lehrjahr und würde ich mein Wissen auf den theoretischen Teil meiner Ausbildung stützen, würde ich das Wissen aus dem 1. Ausbildungsjahr mit mir tragen - und noch nicht einmal das so wirklich. Inhalte muss ich privat und in der Praxis kompensieren durch viel Nachfragen und Recherche, Wälzen der Standards/Fachbücher auf Station. Unsere beruflichen Vorgänger belachen es leider auf Station, wenn teilweise Grundlagen nicht vorhanden sind. Und ich kann es absolut nachvollziehen.


Nun mein eigentliches Anliegen: da ich mich dann ab kommendem Jahr mit bestandener Abschlussprüfung mit dem Titel "Pflegefachfrau" schmücken darf und dann auch Verantwortung als Fachkraft übernehmen muss, wollte ich die erfahrenen Krankenschwestern, Altenpfleger, GuKs fragen, was sie von mir als frisch examinierter Fachkraft erwarten würden? Was sollte sitzen? Allgemein - über welche Themen sollte ich mich im Vorfeld informieren, um "Know-How" zu haben? Was wäre über das Examen hinaus relevant an Wissen?


Ich hoffe, ihr versteht mein Anliegen einigermaßen... ich bin am Verzweifeln bei dieser Ausbildung und hoffe sehr, dass ich dann noch genügend Weiterbildungsmöglichkeiten bekommen werde. Hoffentlich wird diese Ausbildung zurückgesetzt.


LG
 
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Drücke auf jeden Fall erstmal die Daumen für die Prüfung
 
Hallo Milton, ich kann deine Einstellung und auch Ängste sehr gut nachvollziehen und stehe der Generalistik - so, wie sie aktuell gelehrt wird - auch sehr kritisch gegenüber.
Jeder fühlt sich als Verlierer: die Kinderkrankenpflege ist sehr stark benachteiligt, was Theorie- und Praxisstunden angeht (vom Kinderkrankenpflege-Spirit einmal ganz zu schweigen), die Altenpflege wird jetzt aus ihrem sozialpflegerischen Ansatz auf pseudokrankenpflegerisches Terrain gezerrt...und die Krankenpflege kämpft u.a. mit der Kompetenzorientierung und einem Curriculum, welches sich absolut nicht zur Gruppe der Auszubildenden passt.
Was wesentlich für die neue Ausbildung spricht, das ist die Haltung dem Pflegeberuf gegenüber. Sicherlich sind auch einige Theorien und Modelle wichtig. Jedoch geht der Unterricht sehr in diese Richtung - zu Lasten der medizinisch-naturwissenschaftlichen Themen, die nur noch marginal und besonders zerrissen ("spirlförmig") vermittelt werden.
Ich sehe auch mit großer Sorge in die Zukunft, was den Pflegeberuf betrifft.
 
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... die Altenpflege wird jetzt aus ihrem sozialpflegerischen Ansatz auf pseudokrankenpflegerisches Terrain gezerrt...
Also wenn, dann ist das schon lange passiert, nämlich seit die Altenpflege zum Heilberuf erklärt wurde (2003) und infolgedessen ihre Ausbildung drastisch - weitgehend nach Vorbild der Krankenpflege - reformiert wurde.
Was wesentlich für die neue Ausbildung spricht, das ist die Haltung dem Pflegeberuf gegenüber. Sicherlich sind auch einige Theorien und Modelle wichtig. Jedoch geht der Unterricht sehr in diese Richtung - zu Lasten der medizinisch-naturwissenschaftlichen Themen, die nur noch marginal und besonders zerrissen ("spirlförmig") vermittelt werden.
Das heiße ich grundsätzlich gut, da die Pflege sich endlich von der Medizin emanzipieren und weg von diesem total mit Anatomie u. ä. Gedöns überfrachteten Lehrplan weg und hin zu ihrem eigentlichen Kern muss. Was hilft es mir, wenn ich z. B. sämtliche Fingerknöchelchen auswendig runterbeten kann, aber keine vernünftige Gesprächsführung mit einem Patienten zustande bringe?

Und was meinst Du mit "spiralförmig", sprichst Du von einem Spiralcurriculum? Das ist ja erst mal nichts Schlechtes.
 
Also wenn, dann ist das schon lange passiert, nämlich seit die Altenpflege zum Heilberuf erklärt wurde (2003) und infolgedessen ihre Ausbildung drastisch - weitgehend nach Vorbild der Krankenpflege - reformiert wurde.

Das heiße ich grundsätzlich gut, da die Pflege sich endlich von der Medizin emanzipieren und weg von diesem total mit Anatomie u. ä. Gedöns überfrachteten Lehrplan weg und hin zu ihrem eigentlichen Kern muss. Was hilft es mir, wenn ich z. B. sämtliche Fingerknöchelchen auswendig runterbeten kann, aber keine vernünftige Gesprächsführung mit einem Patienten zustande bringe?

Und was meinst Du mit "spiralförmig", sprichst Du von einem Spiralcurriculum? Das ist ja erst mal nichts Schlechtes.
Es geht mir nicht um "Heilberuf/Altenpflege", sondern vielmehr um die lebensweltorientierte Perspektive der AP. Ich bin auch sehr für die Emanzipation der Pflege von der Medizin, Die Medizin ist jedoch eine wichtige Bezugswissenschaft für die Krankenpflege und auch die Kinderkrankenpflege. Um einmal konkrete Beispiele zu nennen. Für die Vermittlung der Vitalzeichen RR, P, T und Atmung stehen mir nun 8 Unterrichtsstunden (á 45 min) zur Verfügung inkl. Hintergrundwissen und Übungszeit. Das sind also grob gesagt 1,5h pro Vitalzeichen. Das ist leider gar nichts, wenn die Azubis komplett bei Null anfangen!
Demgegenüber stehen Themen, die wirklich sehr lange besprochen werden - z.B. Gewalt in der Pflege (keine Frage, ein sehr wichtiges Thema!) mit 50h (entspricht also fast 2 Wochen nonstop Unterricht zu diesem Thema).
Spiralförmiger Aufbau heißt tatsächlich, dass man ca. zehn Themen gleichzeitig anschneidet, diese oberflächlich bespricht und irgendwann werden diese Themen noch einmal erweitert.
Beispiel: Im Januar 2021 wird ein Fall eines Jugendlichen mit Hodenkrebs besprochen (Themenkomplex: Tod, Trauer, Sterben, aber auch Anatomie des Hodens). Im Dez 2022 kommt dann die Prostata hinzu, der/die Azubi soll sich dann noch erinnern, was es mit dem Hoden auf sich hatte...
Das ist jetzt nur ein Beispiel für die Zerrissenheit des Curriculums, das aktuell fast überall eingesetzt wird.
 
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Es geht mir nicht um "Heilberuf/Altenpflege", sondern vielmehr um die lebensweltorientierte Perspektive der AP.
Schon klar; nur ging der sozialpflegerische bzw. lebensweltorientierte Ansatz der Altenpflege schon lange vorher verloren, das wollte ich mit meinem Hinweis auf das Urteil zum Heilberuf sagen. Ich bin zwar Krankenpfleger, habe aber vor rund zehn Jahren an einer Altenpflegeschule unterrichtet und habe es von vielen Altenpflegern so rausgehört, daß die (damalige) Ausbildung mit dem ursprünglichen Ansatz nicht mehr viel zu tun hätte, sprich sehr stark medizinorientiert geworden sei.
Das mag bedauerlich sein, hat aber m. M. n. nichts mit der Generalistik zu tun.
Für die Vermittlung der Vitalzeichen RR, P, T und Atmung stehen mir nun 8 Unterrichtsstunden (á 45 min) zur Verfügung inkl. Hintergrundwissen und Übungszeit. Das sind also grob gesagt 1,5h pro Vitalzeichen. Das ist leider gar nichts, wenn die Azubis komplett bei Null anfangen!
Ok, das ist in der Tat wenig.

Allerdings gebe ich zu bedenken, daß der Ansatz der Generalistik nicht mehr (wie bei den bisherigen drei pflegerischen Ausbildungen) so ist, daß man nach den drei Jahren fix und fertig ausgebildet und sofort 100% einsetzbar ist (auch wenn das viele AG sicher gern so hätten), sondern daß man sich dann erst für den Bereich spezialisiert, in dem man arbeitet.
Und da halte ich es für passend, manche der völlig überfrachteten anatomisch-medizinischen Inhalte in der Ausbildung über Bord zu werfen und sie dann je nach späterem Fachgebiet dort erst zu lernen. Also der Pflegefachmann/ bzw. -frau, der in die Handchirurgie geht, muß dann halt die Fingerknöchelchen auswendig lernen, dem Rest der Truppe kann man das ersparen und die Ausbildungszeit für - m. M. n. wichtigere Dinge (Kommunikation, Konfliktbewältigung, Gewalt in der Pflege etc.) - nutzen. Denn diese Inhalte wiederum benötigst Du später fast überall in der Pflege, von wenigen Nischen mal abgesehen.
Spiralförmiger Aufbau heißt tatsächlich, dass man ca. zehn Themen gleichzeitig anschneidet, diese oberflächlich bespricht und irgendwann werden diese Themen noch einmal erweitert.
Ja, ok. Aber wenn ich nicht völlig falsch liege, ist das doch keine wirklich neue Geschichte, oder?


Also ein Thema taucht z. B. im ersten Schuljahr auf, dann später - vertieft - erneut und wird weiter ausgebaut.
 
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Nun, dass es zuvor schon generalistische und auch spiralförmige Curricula gab, ist richtig - lasse ich aber nicht als Argument gelten, sich dann eben damit abzufinden (oder was soll die Aussage "das ist nicht neu" bedeuten? Nein, es ist nicht neu, es ist aber auch nicht gut.).
Ich bin der Meinung, dass uns ganz viel "Eigenes", was den Kern der Pflege ausmacht, komplett verloren geht. Aktuell werden zig Theorien und Modelle vermittelt, sowie Forschungsmethoden -> z.B. Grounded Theory. Da frag ich mich allen Ernstes, ob das in einer Ausbildung angebracht ist. Die Azubis sollen gerne grob über den Forschungsprozess informiert sein...dass es EbN gibt usw. - aber das neue Curriculum nimmt Ausmaße an, für die (zumindest unsere) Azubis absolut nicht bereit sind. Damit will ich sagen: das ist ein Curriculum, das eher im Bereich der primärqualifizierenden Studiengänge angebracht wäre, und nicht an einer stinknormalen Pflegeschule. Die meisten Azubis verstehen einfach nicht, was sie mit den ganzen Modellen/Theorien anfangen sollen und wollen erstmal eine Struktur in ihrem Beruf haben. Das bedeutet, sie sehnen sich nach Fakten - die bekommen sie nicht. Stattdessen bekommen sie eine Kompetenzorientierung geboten.
Das klingt in der Theorie alles ganz super. Faktisch sieht es so aus, dass wir am Ende Azubis haben, die (hoffentlich) die Sequenzen eines Beratungsgespräches benennen und beschreiben können und verschiedene Kommunikationsmittel einsetzen. Das Schlimme ist aber, dass sie nicht in der Lage sind, inhaltlich-fachlich zu beraten - weil einfach genau DAS in der Ausbildung nicht mehr beigebracht wird.
 
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Nun, dass es zuvor schon generalistische und auch spiralförmige Curricula gab, ist richtig - lasse ich aber nicht als Argument gelten, sich dann eben damit abzufinden (oder was soll die Aussage "das ist nicht neu" bedeuten? Nein, es ist nicht neu, es ist aber auch nicht gut.).
Nein, ich spreche eben nicht von generalistischen Ausbildungen, sondern von der ganz normalen Altenpflegeausbildung, wie sie bis Ende 2019 wohl noch üblich war.
Damit will ich nur sagen, daß nicht alles, was jetzt (anscheinend? Kann ich nicht beurteilen, stand schon lang nicht mehr vor einer Klasse) an Schlechtem kommt zwangsläufig mit der Generalistik zu tun hat. Sondern daß bestimmte Dinge wie eben z. B. die Entwicklung der Altenpflege ein Stück weit weg von sozialpflegerischen Ansätzen hin zu eher krankenpflegerisch/medizinischen Ansätzen (Du nanntest es "pseudokrankenpflegerisches Terrain") schon viel, viel früher eingesetzt haben. Hatte gute, aber halt auch schlechte Seiten.
Ich bin der Meinung, dass uns ganz viel "Eigenes", was den Kern der Pflege ausmacht, komplett verloren geht.
Gut, aber was genau wäre denn dieses "Eigene" der Pflege, Deiner Meinung nach?
Aktuell werden zig Theorien und Modelle vermittelt, sowie Forschungsmethoden -> z.B. Grounded Theory. Da frag ich mich allen Ernstes, ob das in einer Ausbildung angebracht ist. Die Azubis sollen gerne grob über den Forschungsprozess informiert sein...dass es EbN gibt usw. - aber das neue Curriculum nimmt Ausmaße an, für die (zumindest unsere) Azubis absolut nicht bereit sind. Damit will ich sagen: das ist ein Curriculum, das eher im Bereich der primärqualifizierenden Studiengänge angebracht wäre, und nicht an einer stinknormalen Pflegeschule.
Da geb ich Dir ein Stück weit recht; solche zu sehr ins Detail gehenden Dinge wie z. B. die Grounded Theory mögen zu viel sein. Andererseits gehört natürlich etliches auch zum theoretischen Hintergrundwissen der eigenen Profession.
Wo will man da die Grenze ziehen? Schwierig.
Das klingt in der Theorie alles ganz super. Faktisch sieht es so aus, dass wir am Ende Azubis haben, die (hoffentlich) die Sequenzen eines Beratungsgespräches benennen und beschreiben können und verschiedene Kommunikationsmittel einsetzen. Das Schlimme ist aber, dass sie nicht in der Lage sind, inhaltlich-fachlich zu beraten - weil einfach genau DAS in der Ausbildung nicht mehr beigebracht wird.
Das hört sich für mich so an, als fehle die Zeit zur Vermittlung dieser fachlichen Dinge.
Möglicherweise krankt das Ganze auch daran, wie man die Generalistik grundsätzlich aufgezogen hat: Das ist ein bißchen wie die eierlegende Wolmilchsau, sprich, soll irgendwie alles können, aber in der selben Zeit wie vorher.

Dabei gab/gibt es durchaus alternative Herangehensweisen, z. B. war der ursprüngliche Vorschlag des DBfK gewesen, die generalistische Ausbildung auf dreieinhalb Jahre auszudehnen, was sicherlich manches entzerrt hätte. Darf natürlich nicht sein, denn dann brauchen die ja ein halbes Jahr länger als frühere Pflegeschüler, und man kann sich vorstellen, wer alles dagegen opponiert hat.

Dann gibt es in vielen anderen Ländern bereits generalistische Ausbildungen (meistens Studiengänge, aber nicht nur), die eine ähnlich lange Ausbildungszeit wie wir erreichen, indem einfach der Praxisanteil zugunsten der (dringend benötigten) Theorie deutlich geringer gehalten ist als bei uns. Die Absolventen dieser ausländischen Ausbildungen sind natürlich danach nicht gleich so fit für die Praxis, daß man sie nur einfach ins eiskalte Wasser zu schmeißen braucht, wie man das bei uns gerne tut; sondern sie brauchen sicherlich länger, um sich einzuarbeiten.
Na und? Das ist völlig normal bei praktisch allen Akademikern nach abgeschlossenem Studium.
Aber geht halt auch nicht, und außerdem sollen die Schüler ja schon während der Ausbildung schön arbeiten und nicht die meiste Zeit in Schule /bzw. Hochschule hocken. :roll:

Die derzeitige Generalistik ist daher - leider - nur ein Kompromiß, der halt möglichst allen taugen und niemandem wehtun soll.
 
Das hört sich für mich so an, als fehle die Zeit zur Vermittlung dieser fachlichen Dinge.
...nein, diese fachlichen Dinge sind nicht mehr vorgesehen. Das ist der Punkt. Man argumentiert mit "die Azubis werden kompetenzorientiert ausgebildet, das medizinische Wissen ist eh so schnell/fluide, die können sich dann alles selbst aneignen, wenn sie auf den entsprechenden ABteilungen sind"

Mit "fachlichen Dingen" meine ich z.B. all jenes, was früher unter "spezieller Pflege von..." lief: spezielle Pflege von Menschen mit kardiologischen/nephrologischen/neurologischen/.../ Beschwerden - was muss ich ganz besonders pflegerisch im Blick haben und warum. Womit beschäftigen sich diese Menschen ganz besonders? Das ist absolut nicht mehr gefragt - und das sehe ich wirklich sehr sehr kritisch.
Aber noch einmal: mir geht es nicht darum, kleine Ärzte auszubilden! Man könnte diese "spezielle Pflege von" auch weniger fachorientiert einbauen...nur: der Rahmenlehrplan sieht es thematisch einfach nicht mehr vor.

Übrigens habe ich noch gar nicht angefangen, mich über die Generalistik als solches auszulassen. Bislang beschränkt sich meine Kritik nur auf die bereits beschriebenen Punkte im Curriculum.
 
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