Aus unserer Machtlosigkeit folgen alle unsere Probleme, auch die vordinglichen Probleme von Personalmangel und schlechte Bezahlung.
Ohnmacht auf allen Ebenen, egal ob am Bett, in der Schule, im Management oder in der Freiberuflichkeit. Unser vordringlichstes Problem ist, dass wir unhaltbare Zustände hinnehmen müssen, oft gegen unser gutes Gewissen, und nichts dagegen tun können.
- Ohne Einfluss lösen wir keines der viel zitierten "vordringlichen Probleme".
- Wenn wir uns nicht selbst helfen, hilft uns auf Dauer keiner.
- Wer seine interessen nicht selbst in die Hand nimmt, erreicht nur, was andere zulassen.
Vielleicht wird ab und zu ein Feuer für uns gelöscht, um uns ruhigzustellen -
- z. B. mit einer PPR oder einem PKMS in neuer Form, der uns eine Weile bürokratisch schwer beschäftigt, aber kaum hilft oder direkt oder über das Vergütungssystem hinten herum wieder abgeschafft wird,
- z. B. mit einem Pflege-TÜV in neuer Form - werden ein paar Kriterien nicht mehr geprüft, aber die Dokumentations-Show must go on,
- z. B. mit einer Fachkraftquote in neuer Form - einfach geringere Qualifizierung durch Anerkennung von Praktika als vollwertige Ausbildungszeit (den Trick kennen wir von der Erhöhung von Giftstoffen oder Strahlenbelastungen),
- z. B. mit einer Finanzaufstockung für mehr Personal (vordringliches Problem!) in neuer Form - einfach "Präsenzkräfte" zusätzlich, aber ohne Fachkenntnisse (also billig und vielleicht sowieso arbeitslos oder nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt) nur zum da sitzen.
Unser vordringlichstes Problem ist der Personalmangel und zwar der Mangel an qualifiziertem Personal. Wir brauchen Kolleginnen und Kollegen, die uns entlasten. Helfende Hände sind gut und willkommen. Aber ohne ein Minimum an qualifizierten Kolleginnen und Kollegen, auf deren Schultern die Verantwortung für die Menschen, für die wir sorgen müssen, verteilt werden kann, macht uns die Arbeit nicht glücklich und über kurz oder lang selbst krank. Vielen geht es bei der Arbeit noch gut, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis das überall ein Problem wird.
Dieses vordringlichste Problem werden die Politik, die Arbeitgerseite und die Kostenträgerseite versuchen, durch faule Kompromisse auszuhölen, wenn wir uns nicht wehren. Aber wie sollen wir uns wehren?
Die Qualifikation ist ein Schlüssel für die Lösung unserer Probleme. Deshalb ist es wichtig, dass wir über die Qualifizierung in der Pflege ein großes Stück Selbstbestimmung erlangen. Das können wir nur erreichen und aufrechterhalten, wenn wir beständige tragende Strukturen dafür haben - eine Pflegekammer.
Selbst wenn vieles in der Verantwortung des Staates bleibt, müssen wir zur ersten Fachinstanz werden, wenn es um berufliche Qualifizierung geht. Heute werden immer noch andere Berufsgruppen gefragt, wenn in der Politik oder der Öffentlichkeit Ausbildungsfragen der Pflege diskutiert werden. Das muss anders werden.
Und seien wir ehrlich: Das Gehalt als zweites vordringlichstes Problem darzustellen, ist eher ein Lockvogel. Den Menschen Geld in Aussicht zu stellen, funktioniert immer. Aber deshalb werden wir es noch lange nicht bekommen. Denn wir wissen alle, dass unsere Berufsgruppe schlecht organisiert ist und nur wenige in den Gewerkschaften vertreten sind. Wir sehen alle, dass die Tarifverhandlungen seit Jahren für die Pflegekräfte die schlechtesten Ergebnisse erzielen im Gegensatz zu den verkammerten Berufen. Trotzdem sollten wir unsere Kolleginnen und Kollegen in die Gewerkschaften treiben und uns an deren Aktionen beteiligen.
Aber damit erreichen wir nur etwas für kurze Zeit. Ohne die trangende Struktur eine Pflegekammer bleibt unser Berufsstand schwach. Das wirkt sich zwangsläufig auch auf die Tarife aus. Unser Bedrohungspotential, z. B. in der Öffentlichkeit mit wisschenschaftlich begründeten Folgen schlechter Personalausstattung zu argumentieren, können unsere Gegner heute völlig außer Acht lassen. Wenn aber die Gefährdung der Gesundheit der Alten, Pflegebedürftigen und Patienten eine staatlich beauftragte Stimme bekommt, kann man das nicht mehr einfach so vom Tisch fegen.
Diese Stärke der staatlich legitimierten Stimme durch die Pflegekammer, die auf Versorgungsmängel hinweisen kann, kann sich auch eine Gewerkschaft zunutze machen, wenn sie Forderungen stellt. Dann geht es nicht mehr nur um die berechtigten Interessen der Arbeitnehmer, sondern um die Verantwortung der Arbeitgeber und Kostenträger für die Bevölkerung. Ein Streik für die Gesundheit der Bevölkerung findet mehr Akzeptanz, als z. B. ein Lokführerstreik, der alle Betroffenen in Mitleidenschaft zieht.
Elisabeth beschwört mantraartig die Finanzierbarkeit. Sie hat Recht damit, dass wir an der Finanzierbarkeit nicht vorbei kommen. Die Finanzen sind begrenzt. Aber das bedeutet doch nicht, dass die finanziellen Anreize für die anderen verkammerten Berufe aus dem Topf der Pflege genommen werden müssen. Viele Menschen ohne adäquate Pflege sind viel schlimmer dran, als viele Patienten, die überflüssiger Weise medizinisch behandeltet werden, um verkürzte Verweildauern und mangelnde Einfkünfte aus den Fallpauschalen mit erhöhter Fallzahl auszugleichen.
Wenn wir uns aber nicht wehren können, weil die anderen die schwereren Geschütze auffahren, dann werden wir ach so große Berufsgruppe einfach überrollt. Die ganzen Numerus-Clausus-Akademiker haben dafür einen sehr ausgeprägten Riecher.
Wir sollten mehr Machtinstinkt entwickeln und uns nicht damit begnügen, von anderen geführt zu werden.