Hirntod

@Sittichfreundin:

Du hast dir eine festgelegte Meinung zu diesem Thema gebildet: Organentnahme kann Töten eines empfindungsfähigen Menschen sein.

Diese Meinung lässt du dir auch durch wiederholte Argumente nicht nehmen. Das ist dein gutes Recht. Es macht es allerdings auch sinnlos, weiter fachlich mit dir auf dieser Ebene zu diskutieren. Dein verlinkter Artikel spricht dafür.
Es geht nicht mehr um rationale Diskussion, sondern um emotionale Bewertung des Sterbeprozesses im Rahmen einer Organentnahme. Das hat nicht mehr die Qualität einer objektiven Betrachtung des Geschehens sondern stellt eher die Glaubensfrage: ist da noch etwas neben der körperlichen Hülle, etwas wie eine Seele...?

Da ist man argumentativ nicht mehr auf einer Ebene.

Das ist gar nicht abwertend gemeint. Religiöse Betrachtungen muss man als Transplantationsmediziner ernst nehmen und die Konsequenzen akzeptieren. Sind bestimmte religiöse Rituale im Sterbeprozess zu beachten, ist das in aller Regel mit einer Organentnahme nicht konform zu bringen. Dann muss man eben von einer Explantation Abstand nehmen und die Totenruhe (oder wie auch immer das entsprechende Äquivalent benannt wird) beachten.

Und zu dem von "Intensivotter" geschilderten Fall: zeigt nicht gerade diese Fallschilderung, dass die Vorgehensweise in Deutschland sehr vorbildhaft und sicher funktioniert? Hier hat doch gerade die von zwei unabhängigen Ärzteteams getroffene Entscheidung eine mögliche Fehlentscheidung verhindert. Das ist doch genau der Konsens, den man getroffen hat: nicht nur die unmittelbar betroffenen Mediziner, sondern auch noch davon unabhängige Kollegen treffen die Entscheidung, und ein Dissens führt zu einer Ablehnung der Organentnahme. Da hat doch alles richtig funktioniert... Also ist gerade dieser Fall kein Beispiel für deine ängstliche Wahrnehmung der Realität, sondern ein gutes Beispiel für das Funktionieren der Absicherung gegenüber Fehlurteilen. Das sollte dir doch nur entgegenkommen?

Meine persönliche Erfahrung bzgl. Hirntoddiagnostik ist übrigens jene, dass wir die Patienten sehr wohl bis zuletzt als Personen respektieren und nicht als Ersatzteillager wahrnehmen.
Auch die Arbeit der Mitarbeiter der DSO kann ich immer als vorbildlich beschreiben. Nie habe ich erlebt, dass einer dieser Leute die Patienten respektlos behandelt hätte. Ich empfand es auch immer als sehr schön, dass wir zu jedem Explantationspatienten eine Nachricht der DSO bekamen, welche Organe entnommen wurden und wohin sie gegangen sind. So erfuhr man immer, wie anderen Menschen geholfen werden konnte.

Meine persönliche Haltung ist: ich spende alles von mir. Einen entsprechenden Organspendeausweis führe ich permanent bei mir.
Da halte ich es wie "DerStudent": lieber werde ich als quasi-Apalliker empfindungsfähig zum Organspender, als dass ich jahrelang als quasi-Apalliker empfindungsfähig in einem Pflegeheim dahinvegitiere. Aber das ist eine seeeehr persönliche Meinung.

Gruß spflegerle
 
Der von mir geschilderte Fall, war der erste, wo im EEG ein Rest an Hirnaktivität zu sehen war.Das Prozedere das ein zweites unabhängiges Ärzteteam unsere durchgeführte Hirntoddiagnostik wiederholt und überprüft führen wir immer durch.
Auch wenn in diesem Fall das EEG die Diagnose Hintod nicht gerechtfertigt hat,zeigte doch das schnelle Versterben der Patientin, das sie ohne die Instrumente einer Intensivstation nicht lebensfähig war!
Und ob ein Patient eindeutig Hirntod ist oder nicht, ob er als Organspender in Frage kommt oder nicht, ist für uns unerheblich. Er wird bis zu seinem Tod oder den Transport in den OP mit Respekt behandelt und genau so analgosediert wie jeder andere Patient auch!
 
@Sittichfreundin:

...
Es geht nicht mehr um rationale Diskussion, sondern um emotionale Bewertung des Sterbeprozesses im Rahmen einer Organentnahme.

Gruß spflegerle

Es geht sehr wohl um eine rationale Diskussion. Denn selbst die Fachleute geben zu, dass Hirnaktivitäten trotz Hirntod-Diagnose noch vorhanden sein können.
Außerdem hat auch die ethische Beurteilung seinen Platz. Schließlich haben wir es mit Menschen zu tun und nicht mit einem Auto, deshalb verbietet sich ja der Begriff "Ausschlachten", wie die Entnahme von Ersatzteilen bei defekten schrottreifen Autos genannt wird.

Und hier noch eine Stellungnahme eines sehr rational denkenden Menschen und Fachmann auf dem Gebiet der Neurotraumatologie, eines Professors einer Abt. für Schwerst-Schädel-Hirngeschädigte:
http://www.a-zieger.de/Dateien/Vortraege/FolienVortragDresden200814012008.pdf
 
Es gibt vier sichere Todeskennzeichen: Leichenflecke, Leichenstarre, Fäulnis, mit dem Leben nicht vereinbare Zerstörung des Körpers.
Und dann kamen Leute, die den Hiorntod erfanden. Rein zum Zwecke der Explantation. Und man folgerte: Wenn jemand hirntot ist und die erforderliche Erlaubnis vorliegt, kann man ihm Organe entnehmen.
Woher wissen die eigentlich, daß das Leben als Hirntoter nicht wünschenswert ist? Waren die schon mal hirntot?
Vielleicht will ich ja trotz Hirntod weiterleben. Oder weiterexistieren oder welche Begriffe auch immer irgendwelche Sozialelektroniker für diesen Daseinszustand erfinden.
Hat man mir das richtig berichtet: Während der Explantation schaltet der Anästhesist das Herz mittels einer Überdosis Kalium ab?
Gab es nicht mal eine Zeit, zu der der irreversible Herzstillstand als (zumindest unsicheres) Todeskennzeichen galt?
Wer einen Herzschlag hatte, lebte. Bis der Hirntod erfunden wurde.
 
@ I.R.Rigator:

alle Organe müssen ja bis zu ihrer Explantation durchblutet werden, also kann das Herz grundsätzlich erst zum Schluss explantiert werden.
Zu diesem Zweck wird es dann meines Wissens nach- genau wie bei vielen Herzoperationen - "ruhiggestellt". Da der Einsatz der Herz-Lungen-Maschine im Zuge der Explantation nicht von Nöten ist kann man das Herz eben auf eine andere Weise "ausschalten": mit Kalium.
Der Patient wird, solange ein Kreislauf besteht, natürlich noch narkotisiert.

Gruß
Die Anästhesieschwester
 
@ I.R.Rigator:

alle Organe müssen ja bis zu ihrer Explantation durchblutet werden, also kann das Herz grundsätzlich erst zum Schluss explantiert werden.

Nicht ganz richtig, das Herz wird als erstes entnommen.
Wenn alle Organe die ennommen werden sollen bis auf die wichtigsten Gefaesse soweit frei praepariert sind, wird eine eiskalte Loesung ueber zwei intraartielle Kanuelen in den Kreislauf infundiert und der thorax und abdomen mit Eis gefuellt. Danach erfolgt als erstes die ent6nahme des Herzens die ungefaehr 3-5 min dauert evtl laenger wenn die Lungen mit entnommen werden. erst dann kommen pankreas, leber, nieren und evtl Darm.
Woher meine Weisheit kommt...? 10-15 "Organharvest's" im Monat.

Wird in Deutschland eigentlich auch die sog. " nonbeating Heart"
Explantation gemacht...?

usnurse
 
Hat man mir das richtig berichtet: Während der Explantation schaltet der Anästhesist das Herz mittels einer Überdosis Kalium ab?

Hab die Frage erst jetzt gesehen : Wenn du ein Embryo "toeten" willst ( Mehrlingsschwangerschaft bei IVF ) da spritzt du Kalium direkt ins Herz.

Bei der Organentnahme wird das Herz mittels "Schere oder Skalpell " ausgeschaltet.

usnurse
 
Hab die Frage erst jetzt gesehen : Wenn du ein Embryo "toeten" willst ( Mehrlingsschwangerschaft bei IVF ) da spritzt du Kalium direkt ins Herz.

Bei der Organentnahme wird das Herz mittels "Schere oder Skalpell " ausgeschaltet.

usnurse

Warum schreibst du "töten" in Anführungszeichen?

Wie auch immer, beides klingt grausam...
 
Hirntodkriterium: Möglicherweise nicht haltbar
(Donnerstag, 30. September 2010, 19:10)
Zurzeit wird wieder intensiv darüber diskutiert, ob man anstelle der jetzt geltenden Zustimmungslösung die Widerspruchslösung einführen sollte, um die Zahl der Organspender zu erhöhen. Auch der Deutsche Ärztetag hatte sich vor kurzem dafür ausgesprochen.

Doch jetzt könnte die ganze Diskussion über Organtransplantationen wieder vollkommen neu aufgerollt werden, da das Hirntodkriterium erneut infrage gestellt wird. Denn dass der Mensch wirklich tot ist, wenn der hirntot ist, ist die unerlässliche Voraussetzung, um überhaupt Transplantationen durchzuführen.

Heute geht man offensichtlich davon aus, dass auch bei Hirntoten Körperfunktionen aufrechterhalten werden können, Hirntote können ihre Körpertemperatur regulieren, sie verdauen und bekämpfen Infektionen. Alexander S. Kekulé schreibt im „Tagesspiegel“ vom 29. September, dass die neurologische Fachgesellschaft der USA gerade angemahnt habe, dass die Kriterien für die Feststellung des Hirntodes wissenschaftlich nicht untermauert seien.

Falls es sich tatsächlich erweisen sollte, dass das Konzept des Hirntods nicht haltbar ist, müsste tatsächlich die gesamte Transplantationsmedizin auf den Prüfstand gestellt werden. Denn wer will dann wohl noch einen Organspendeausweis ausfüllen, wenn er weiß, dass ihm Organe entnommen werden, wenn er zur Zeit der Entnahme noch lebt?
Deutsches Ärzteblatt: Blogs "Gratwanderung: Hirntodkriterium: Möglicherweise nicht haltbar"

Elisabeth
 
Zitat Touhy


Hm. Massive Hirnschwellung und multiple Hirninfarkte. Dann werden Sedierung und Analgetika abgesetzt.
Wenn aber die Patientin doch noch Restempfindungen hat? Es sind doch vielleicht noch wenige Hirnareale intakt, möglicherweise gerade sensible Rindenbereiche?
Ich bin nicht gegen die Organspende. Aber ich würde haben wollen, dass ich bis zu meinem offensichtlichen Tod sediert und mit Schmerzmedikation versorgt werde und würde auch auf eine Narkose während der Organentnahme bestehen. Was sagen die Experten unter euch? Denn ich habe in einer Doku sehr Bedenkliche Aussagen von Anästhesisten gehört, die sich während der Organentnahme dann doch zu einer Narkose entschieden haben.
Wie kann man sicher sein, dass ein hirntoter Patient keine Empfindungen mehr hat? Erst wenn das Gehirn überhaupt nicht mehr durchblutet ist, kann ich doch sicher sein, dass jede Zelle absstirbt.
Mein Mann und ich wollen uns einen Organspendeausweis zulegen, doch würden wir gerne auf die Schmerzmed. bzw. Narkose bei der Organentnahme bestehen. Das würde mich irgendwie beruhigen.
Was sagen die Experten?

Bei uns werden alle Hirntoten weiterhin Analgosediert, während der Explantation wird eine normale Narkose geführt. Wie bei jeder anderen OP auch.
 
Bei uns werden alle Hirntoten weiterhin Analgosediert, während der Explantation wird eine normale Narkose geführt. Wie bei jeder anderen OP auch.

Das find ich gut.

Doch wird es nicht überall so gemacht. Denn, ganz ehrlich, die Schlussfolgerung ist: Experten schließen eben doch nicht aus, dass der sog. hirntote Mensch noch Empfindungen hat. Denn warum sonst sollte man sie narkotisieren?
 
Es gibt vier sichere Todeskennzeichen: Leichenflecke, Leichenstarre, Fäulnis, mit dem Leben nicht vereinbare Zerstörung des Körpers.

Gab es nicht mal eine Zeit, zu der der irreversible Herzstillstand als (zumindest unsicheres) Todeskennzeichen galt?
Wer einen Herzschlag hatte, lebte. Bis der Hirntod erfunden wurde.

Die Todesfestellung war eigentlich schon immer eine Sache, die mit grosser Unsicherheit behaftet war. Ich kann mich noch erinnern, dass alte Krankenschwestern erzaehlten, sie haetten den Toten eine Klingelschnur in die Hand gegeben, so als Sicherheit.
In den Leichenhallen gab es frueher Alarmklingeln, die die Toten im Falle eines vorliegenden Fehlers ausloesen konnten.
Ich moechte darauf hinweisen, dass die Todesfeststellung mithilfe der Hirntoddiagnostik ein Kind der Moderne ist.
Vor der Einfuehrung der kuenstlichen Beatmung und der modernen Intensivmedizin ist man nach schwerer Krankheit ganz normal mit Atemstillstand und mit Herzstillstand gestorben. Irgendwann begann dann die Verwesung.
Seit den sechziger Jahren hat man aber Patienten, die beatmet sind und einigermassen stabile Organfunktionen haben, die aber einfach nicht aufwachen. Deshalb hat man quasi eine neue Todesfeststellung erfunden: Den Hirntod.
So hat man eine Moeglichkeit gefunden, ohne schlechtes Gewissen die Beatmung abzustellen und die Menschen sterben zu lassen.
Zur gleichen Zeit begann man mit Transplantationen zu experimentieren. Da hat man ebenfalls ein grosses Problem mit der Todesfesstellung gehabt. Man musste wenige Minuten nach dem Herztod die Organe entnommen haben, damit sie frisch sind. Die Aerze waren sich aber nicht immer ganz sicher, dass der Mensch wirklich tot war. Und man hatte auch oft keine Zeit Proben zu entnehmen und die Verwandten zu informieren.
Und so haben sich beide Straenge verbunden.

Der Hirntod ist weniger eine medizinisch evidente und wissenschaftliche felsenfeste Tatsache. Er ist eine politisch getroffene Entscheidung um aus dem Dilemma zu kommen, in dem sich die Intensivmedizin immer mal wieder befindet.