Was durch eine Pflegekammer verbessert werden könnte?
Z. B. dass fachliche Ansprüche der Pflegenden besser durchgesetzt werden können und auch klarer von tarifpolitischen Interessen unterschieden werden können. Das Entweder-Oder-Gezänk muss aufhören. Es muss Sowohl-Als-Auch heißen.
Wir wollen gute Bezahlung und mehr Personal und wir wollen verdi in keinster Weise absprechen, dass sie darum für uns kämpfen. Dafür ist es natürlich auch wichtig, dass die Pflegenden der Gewerkschaft beitreten. Inzwischen kann schließlich auch in kirchlichen Einrichtungen gestreikt und verhandelt werden.
Gleichzeitig wollen wir gute Arbeit für unsere Pflegebedürftigen leisten und mit dem sicheren Gefühl von der Arbeit nach Hause gehen, dass wir unseren Job gut gemacht haben, dass unsere fachliche Qualifikation etwas gilt und dass wir nicht nur ungelernte Kräfte im Chaos beaufsichtigen müssen, um einfach nur Schlimmes zu verhüten. Denn das wird passieren, wenn wir nicht mit fachlicher und wissenschaftlicher Argumentation selbst regeln können, welche Qualifikation erforderlich ist. Und wir wollen auch nicht länger in der Öffentlichkeit von fachfremden Ärzten, Schauspielern, Buchautoren, Kritikern, Hart-Aber-Fair-Gästen und sonstigen vermeintlichen Experten be- oder verurteilt werden.
Die gute Nachricht: Verdi will die Pflegekammer unterstützen - wenn die Pflegenden sie wollen.
Sylvia Bühler, Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes als Fachbereichsleiterin
auf der diesjährigen Krankenhaustagung von ver.di:
Auch das sensible Thema der Pflegekammern sprach Bühler an. Die Gewerkschaft teile den Wunsch der Pflegekräfte nach mehr Einfluss und Anerkennung ihrer Arbeit, nicht jedoch die Hoffnung, dass dieses Ziel durch Pflegekammern erreicht wird. ver.di halte Kammern für eine Scheinlösung der Krankenhausmisere. Wo Kammern aber zustande kommen, werde sich ver.di als größte Organisation der Pflegekräfte nicht aus der Verantwortung stehlen und sich daher an der Arbeit beteiligen.
Hier bahnt sich ein Einlenken an. Die Sozialarbeiterin Bühler mag den Pflegenden zwar noch nicht zugestehen, dass sie mit ihrem selbst gewählten Weg richtig liegen und glaubt zu wissen, dass wir mit der Pflegekammer unsere Ziele nicht erreichen werden. Aber die Blockadehaltung gegen die eigenen pflegeberuflichen Mitglieder ist gebrochen. Damit neigt sich auch ein Stück Fremdbestimmung der Pflege innerhalb von verdi dem Ende zu.
Bühler schiebt nach:
Doch die Grundgangart auf dem Weg aus der Pflegenot lautet: Für die Personalbemessung ist ein Gesetz nötig, für höhere Löhne ist ver.di zuständig.
Das mit den Löhnen ist absolut richtig und die Pflegenden sind aufgefordert, in die Gewerkschaft einzutreten.
Das mit den Gesetzen und der Personalbemessung hingegen ist eher Sache von wissenschaftlicher Fundierung der Folgen unzureichender Personal- und Qualifikationsstandards. Durch die Selbstverwaltung gewinnt die Pflege erheblichen Einfluss auf die öffentliche Darstellung erforderlicher Personalstandards. Und als Körperschaft öffentlichen Rechts steht es ihr von Gesetz wegen zu, in Gesetzgebungsverfahren ihre Expertise (also wissenschaftlich begründete Einwände und Vorschläge) einzubringen.
Ohne die Festsetzung von Qualitätsmaßstäben blieben die Personalmindeststandards immer wieder Verhandlungsmasse und könnten in Tarifverhandlungen aus welchen Gründen auch immer geopfert werden. Das passiert mit einem Qualitätsmindeststandard, den Pflegebedürftige oder ihre Angehörigen einklagen können, nicht so leicht. Wenn schlechte Pflege durch planmäßige Unterbesetzung gemessen an wissenschaftlichen Erkenntnissen, die in Standards konkretisiert sind, eine Grundrechtsverletzung (z. B. Freiheitsentzug) nach sich zieht oder einer Körperverletzung gleich kommt, dann ist die Besetzung nicht mehr verhandelbar. Dann wird sie Straftatsbestand und dann stehen nicht die einzelne Pflegekraft am Pranger, sondern die Verantwortlichen. Dies ist es, was die Kostenträger, Investoren und Arbeitgeber an Pflegekammern am meisten fürchten.
Andererseits spricht natürlich nichts dagegen, dass sich eine Gewerkschaft auf die quasi amtlichen Feststellungen, Standards und Empfehlungen einer Kammer beruft, um sich für Personalmindeststandards einzusetzen. Allerdings wird sich die Gegenseite unter Garantie nicht darauf einlassen, fachlich unbegründete Personalbemessungen zu akzeptieren, und wenn, dann nur für kurze Zeit.
Wir brauchen also das Sowohl-Als-Auch, auch wenn das die meisten Berufsgruppen in verdi nicht unmittelbar betrifft. Das Gut Menschenwürde in Situationen des auf Hilfe Angewiesenseins hängt ganz entscheidend von der Qualität der Pflege ab. Diese Rote Linie wollen wir als einzige Fachexperten auf diesem Gebiet selbst ziehen, und dieses Recht bekommen wir verfassungsrechtlich nur mit einer Pflegekammer.