Theorie/Praxis-Lücke: Segen oder Fluch?

hartwig

Stammgast
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02.04.2006
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338
Beruf
Krankenpfleger
Akt. Einsatzbereich
Dozent, Stationäre Pflege
Moin, moin...!

"Machen wir es heute wie immer, oder wie in der Schule gelernt...?"

Die wahrgenommene Diskrepanz zwischen schulischem Anspruch und erlebter Praxis bietet immer wieder Anlass für Diskussionen. Eine oft gestellte Forderung lautet, dass theoretischer Unterricht und Praxis stärker verzahnt werden sollten mit dem Ziel, die Theorie/Praxis-Lücke zu schließen.
Meine These: Die Diskrepanz zwischen theoretischen und praktischen Unterricht ist in machen Fällen unvermeidbar und sogar nötig!
Warum? Die Schule hat auch die Aufgabe, neue Konzepte und Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung in aufbereiteter Form weiter zu geben. Daraus ergibt sich ein gewisser Führungsanspruch in Form eines innovativen Motors. Die Schule steht damit zwangsläufig immer an der Spitze eine bestimmten Bewegung, die Lücke zwischen Theorie und Praxis ist in diesem Sinne nicht vermeidbar, sondern sogar notwendig, damit es - im besten Fall - zu einer kontinuierlichen Verbesserung der Praxis kommt. Wenn es beispielsweise darum geht die Pflegediagnostik als fachliche Kompetenz der zukünftigen Pflegekraft weiter zu stärken, wird es zwangsläufig zu Konflikten mit der Praxis kommen, die aber unvermeidbar und sogar nötig sind, damit es zu Veränderungen kommt.

Anders sieht es aus, wenn es um konkrete Handlungsabläufe geht. Hier ist es sinnvoll, die Praxisanleiter stärker in den Fokus zu stellen. Die Schule kann und sollte Methoden unterrichten, mit deren Hilfe eine Pflegekraft ermitteln kann, wie eine bestimmte Handlung konkret auszuführen ist (oder wie ein für eine Abteilung verbindlich festgelegter Handlungsablauf erstellt wird), es ist aber sicherlich nicht sinnvoll und nötig, dass die Schule im Detail vorgibt, wie beispielsweise ein s.c. Injektion abzulaufen hat.
Wie sind eurer Meinungen zur Theorie/Praxis-Lücke?

Gruss Hartwig
 
Moin Moin,
als Schülerin im Mittelkurs ist mir die Theorie/Praxis Problematik gut bekannt ;-)
Ich finde es ist aber für uns Schüler richtig und wichtig dass es für bestimmte Handlungen/Abläufe konkrete Vorgaben gibt wie es die Schule haben will: So ist sichergestellt das kein Patient gefährdet wird/etwas richtig ausgeführt wird.Später,wenn wir(Schüler) examiniert sind können wir noch früh genug arbeiten wie wir "wollen"...nämlich dann wenn wir hoffentlich das Wissen haben um abschätzen zu können welche Folgen etc.unser Handeln haben kann.Dann wenn wir das vernetzte Denken beherrschen.Wenn wir wissen was vielleicht unsinnig sein mag an den von der Schule vorgeschriebenen Ablauf z.B zur s.c Injektion.Und wenn es die Vorgaben von den Schulen nicht geben würde,würde es doch so laufen: der Schüler bekommt auf Station A die s.c gezeigt,auf Station B wird gesagt so ist es falsch und auf Station C ist wieder einen andere Herangehensweise richtig. Resultat: Schüler total verwirrt und hat keine Ahnung was er/sie nun machen soll ;-) Dann doch lieber die Theorie/Praxis Schere die auseinander klafft.
 
Gerade beim Thema Pflegeplanung, die in der Schule viel ausführlicher gemacht wird als in der Praxis, halte ich die Theorie-Praxislücke für absolut notwendig. Wenn der Schüler es nicht zuerst auf die ausführliche, umständliche, viel längere Von-der-Pike-auf-Art erlernt, kann er die Planung später nicht auf eine praktikable Kurzform herunterbrechen.

Wenn man von Benners Stufen der Pflegekompetenz aus geht, kann ein Schüler noch gar nicht so pflegen wie eine GuKP mit mehreren Jahren Berufserfahrung, und letztere wiederum wäre in ihrer Entwicklung stehen geblieben, wenn sie immer noch pflegen würde wie als Schülerin. Der Schüler braucht die Theorie, um sich eine Struktur zu schaffen, die ihm Sicherheit bietet. Die erfahrene Pflegekraft strukturiert sich anhand der Prioritäten in der jeweiligen Situation; sie muss dafür zwangsläufig von vorgegebenen Strukturen abweichen. Keiner davon macht einen direkten Fehler - es sind einfach zwei verschiedene Arbeitsweisen, begründet durch die Unterschiede in der praktischen Erfahrung.
 

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