Sedierung und Exoten auf der Intensivstation

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ITS
Hallo Kollegen!

Im Rahmen meiner Weiterbildung beschäftige ich mich gerade mit dem Thema Analgosedierung auf der Intensivstation und damit auch mit der malignen Hyperthermie und dem Propofolinfusionssyndrom. Beides ja sehr seltene Komplikationen. Wer hat sie schon mal live erlebt? Wie war der Verlauf und das Outcome?

Kam die Diagnose zügig oder nicht? Wie gut sind eure pflegerischen und ärztlichen Kollegen informiert? Würden sie Hinweise erkennen? Auch diejenigen die noch keine Intensivmediziner sind?

Hat schon jemand eine MH unter Inhalationssedierung gesehen? Kennen alle das Dantrolendepot? (bei uns leider nicht...)

Erfasst ihr Propofol-Boli die zusätzlich zum Perfusor verabreicht werden um die Maximaldosis nicht zu überschreiten?
Welche Substanzen setzt ihr zur Analgosedierung ein, falls mit Propofol + Opiat keine ausreichende Sedierungstiefe erreicht wird? Benzo? Ketanest? Gas? Dexmedetomidin? Clonidin? Neuroleptika?

Die Leitlinie zur Analgosedierung und Delir ist mir natürlich bekannt. Mich interessiert die praktische Umsetzung. Welchen RASS haben eure oral intubierten, beatmeten Patienten wirklich? Unsere Ärzte ordnen da gerne RASS 0 oder -1 an. Die wenigsten Patienten finden das aber lange gut.

Ich kann mich noch an einen Verdacht auf PRIS zu meinen Anfangszeiten erinnern aber seither nicht mehr. Wir begrenzen allerdings die Laufgeschwindigkeit und nutzen bei Bedarf noch die oben genannten Substanzen. Kinder haben wir nur selten.
MH hab ich auch nur einmal Verdacht auf in der Anästhesie gesehen. Die Patientin hat leider nach Extubation eine Muskelbiopsie abgelehnt. War aber sehr eindrücklich.
 
Hallo Heinz Rüdiger,

Maligne Hyperthermie:

Ein mal in 15 Jahre mitbekommen (intra-operativ). OP hat sich dann aus dem Dandrolendepot auf unserer ITS bedient, outcome war meines Wissens positiv.
Seither wird das Dandrolen regelmässig getauscht, wenn das Haltbarkeitsdatum erreicht wird.
Das Depot ist nicht zu übersehen, da prominent gelagert und zumindest bei Fachpflegekräften und den Anästhesisten kann man von der Kenntnis bzgl. Indikation, etc. ausgehen. Bei anderen ärztlichen oder pflegerischen Kräften eher...nicht.
Sowohl in den OP's als auch auf der ITS findet sich allerdings ein grosses Hinweisposter mit den Symptomen und dem Procedere. Jeder den es interessiert, kann sich also sofort belesen.

Propofolinfusionssyndrom:
Noch nie erlebt und ich kenne nicht einmal jemand, der jemand kennt der damit schon konfrontiert war - aber nahezu jeder redet irgendwann einmal davon.
Hat für mich inzwischen etwas von der Agranulozytose bei Novalgin - so sehr gefährlich (aber auch so extrem selten), dass viele davon gehört haben, aber nicht genau wissen, was das eigentlich bedeutet - darüber aber gerne 'mal die ganz alltäglichen Nebenwirkungen des Medikaments vergessen.

Wir achten natürlich auf die Limitierung der Therapiezeit mit Propofol (Propofol/Remifentanil sind unsere "Kurzzeitstandards" bis ca. fünf Tage) und dokumentieren Boli, aber um eine Gesamttagesdosis kümmert sich niemand ernstlich.
Manchmal wurde sogar schon gewitzelt ob man das Propofol nicht unter "Ernährung" anordnen lassen sollte und es pro forma gleich mit fettlöslichen Vitaminen versetzt...

Sedierungs/Anlagesieoptionen:

Ketamin/Midazolam effektiv gar nicht mehr.

Piritramid/Midazolam effektiv gar nicht mehr - war aber bis kurz nach meinem Eintritt noch der "Standard".

Dexmedetomidin selten. Die wenigen Male bei denen ich selbst damit zu tun hatte, war die Effektivität eher nicht so gut. Andere Kollegen schwören darauf.

Lormetazepam selten, meist als Midazolamalternative.

Gasnarkose via AnaConDa mit Sevorane, gerade aber nicht ausschliesslich bei COPD'lern, auch als Anschlusstherapie nach fünf bis sieben Tagen. Gute Erfahrung gerade in der Spontanisierungsphase. Noch nie eine MH darunter erlebt.

Clonidin als Perfusor bei Delirzeichen oder bekanntem Substanzmissbrauch. Erfahrung durchwachsen.

Haloperidol als fest angesetzte Einzeldosis (vier bis sechs Anwendungen/Tag) bei Delirzeichen oder bekanntem Substanzmissbrauch. Eher positive Erfahrung.

Promethazin als Bedarfsmedikation. Erfahrung durchwachsen.

Morphin als Bedarfsmedikation. Eher positive Erfahrung, gerade in der Endphase des Weanings.

Lorazepam i.v. als Einzeldosen zur Stressprophylaxe in der Endphase des Weaning. Eher positive Erfahrung.


RASS

Ziel ist so flach wie möglich, so schnell assistierte Spontanatmung wie möglich, maximale Tubustoleranz, vollständige Stressfreiheit. "wake-up-calls" sollten einmal/Tag versucht werden. Soviel zur Theorie.

In starker Abhängigkeit zur Erfahrung der betreuenden Pflegekraft werden diese Ziele sogar manchmal, selten gleichzeitig, erreicht - hierzu ist neben der praktischen Expertise allerdings auch entsprechendes Fachwissen und eine enge, dokumentierte Abstimmung mit erfahrenen ärztlichen oder pflegerischen Kollegen notwendig. Ein Weaningprotokoll mit täglichen Zielvorgaben und der kleinschrittigen Dokumentation von Reaktionen auf Veränderung von Analgosedierung, Beatmungsparametern, o.a. kann hierbei helfen, wenn es denn auch alle nutzen.

Im schlechtesten Fall wird ein problemarm flach sedierter Patient, in erschöpfungsfreier assistierter Spontanatmung wieder über Nacht bis zur Notwendigkeit der Katecholamingabe maximal analgosediert und dann kontrolliert beatmet...weil er nachts ja tief schlafen und "nicht so viel selbst atmen" soll!
 
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Reaktionen: Heinz Rüdiger
Hallo Surrogat,
vielen dank für deine ausführliche Antwort :) stellenweise musste ich sehr grinsen weil mir einige Aussagen sehr bekannt vorkommen.
 

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