Meinung zur Digitalisierung im Gesundheitswesen

ln_br_

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Hallo liebe Community,
Ich wollte mich direkt mal an die Quelle wenden und Fragen, wie Ihr als Krankenpfleger:in, auf das Thema Digitalisierung zu sprechen seid? Ich will hier nichts Promoten o.ä. sondern lediglich Feedback einholen! Ich arbeite momentan an einem Produkt, welches das Task Management vereinfachen soll und zudem die Kommunikation zw. Patient und Pfleger revolutionieren soll. Das ganze soll geschehen durch eine Web App (kein Herunterladen einer App nötig!) und der Patient lediglich einen QR Code einscanen muss und kann dadurch Bedürfnisse (wie z.B. Duschen, Mobilitätsunterstützung, etc.) direkt äußern. Das Hin und Her laufen wird somit erspart und Sie können vorbereitet in das Patientenzimmer kommen. Die Patientenklingel soll nicht ersetzt werden und soll weiterhin bestehen bleiben für Notfälle! Die Bedürfnisse können auf dem Diensthandy des Pflegers direkt angezeigt werden (als eine Art Ticketsystem) und im Stationszimmer des Pflegers auf einem Monitor. Jedes Patientenzimmer kriegt einen eigenen QR-Code so wissen Sie zu jeder Zeit was in welchem Zimmer benötigt wird. Essenswünsche werden z.b. direkt an die zugehörige Station übermittelt. Nun wäre meine Frage, ob Sie eine solche Innovation befürworten würden und ob Sie das Konzept anspricht? Was wären Änderungen die Sie vornehmen würden und was sind Funktionen, die für Sie Last und Zeit erspart? Ich freue mich über jede Meinung, Verbesserungsvorschläge aber auch Kritiken.
Vielen Dank für eure Zeit und Ihre wertvollen Beiträge!
 
ich bin zwar seit 6 Monaten in Rente, aber:
- damals waren ca 75% der Patienten nicht mal in der Lage ein Handy ohne Hilfe zu bedienen
- ein Patient hat eine andere Vorstellung von Notfall als das Pflegepersonal
- "meine" Patienten waren zum großen Teil schon von den 6 Bedienmöglichkeiten der Großklingelanlage überfordert. Dieses Teil hatte : Klingel, verschiedene Arten Licht anzumachen TV, Radio, Telefon

- es gab keine Diensthändys und auf dem Diensttelefon liefen schon alle möglichen Anrufe auf
- auf den Dienstmonitoren waren schon die verschiedensten Arzt/Diabetesteam/WundTeam/Logopäde/Physio/Ernährungsberatung/Labor Anordnungen/Mitteilungen zu bemerken und abzuarbeiten

Wo arbeiten Sie? Im Krankenhaus auf Station oder in einem Büro außerhalb der Wirklichkeit?
 
Dieses System wird wenn dann nur von orientierten, technikaffinen Klienten genutzt werden können. In meiner Pflegeeinrichtung stellt das die absolute Minderheit dar. Unsere Gäste sind körperlich und/oder geistig eingeschränkt, sodass so ein System weder verstanden, geschweige denn sinnhaft genutzt werden könnte.
Die meisten unserer Gäste sind an Demenz erkrankt und/oder in ihrer Mobilität und der Fähigkeit zur Selbstversorgung massiv eingeschränkt. Sie verwechseln Klingel, Fernbedienung und Lichtschalter, können kein Glas Wasser alleine zum Mund führen, oder ihre Wünsche und Bedürfnisse nicht mehr benennen. Wie @Resigniert treffend anmerkte, gehen unsere Vorstellungen von der Notwendigkeit zu klingeln weit auseinander. Die Gäste begreifen sie mehrheitlich als Serviceschelle und die Pflegekräfte als persönlich angestellte Dienstleister gegen Langeweile und ein Aufbrechen ihrer Komfortzone.

Ich sehe in so einer appgesteuerten Lösung keinen Benefit, den nicht schon eine herkömmliche Gegensprechanlage leisten könnte.

Vielleicht sollten Produktentwickler einmal in verschiedenen Bereichen der Pflegearbeit ein längeres Praktikum absolvieren, um Beweggründe besser zu verstehen, und reale Bedürfnisse von Pflegenden und Pflegebedürftigen zu erfassen.
 
Wir testen gerade etwas ähnliches (in meinem Haus, aber auf einer anderen Station, daher weiß ich es nur aus Berichten).

Ich bin in der stationären Akutpflege. Alle unsere Bettplätze haben kleine Monitore, die gleichzeitig als Telefon, Fernseher, Radio und Tablet dienen. Die Rufanlage ist "normalerweise" die altbekannte "Klingel" über dem Bett. Wenn ein:e Patient:in klingelt, muss ich hingehen, nach dem Warum fragen und dann je nach Bedarf reagieren.

Getestet wurde nun ein Programm, bei dem über die oben beschriebenen Monitore ein Ruf abgesetzt werden kann. Dabei kann gleich der Grund für den Ruf angegeben werden: Schmerzen, Übelkeit, Wunsch nach WC-Gang oder eben auch Bitte, einen Tee zu bringen oder das Fenster zu schließen. Sparte Wege - ich muss nicht erst ins Zimmer und fragen, sondern erfahre gleich, was los ist - und entlastete das Pflegepersonal von den Aufgaben, die auch die Versorgungsassistenten leisten konnten (z.B. Fenster schließen, frisches Trinkwasser bringen etc.).

Also: Das beschriebene System existiert bereits, und dabei muss noch nicht einmal das Handy des Betroffenen genutzt werden. Bei orientierten Patient:innen ist diese Art der Rufanlage auch durchführbar.
 
@Resigniert Vielen Dank für Antwort. Ich verstehe Ihre Skepsis, und wir können sicherlich nicht auf jeder Station ein solches System integrieren! Unser Produkt ist derzeit zwar einsatzbereit jedoch besteht noch keine Praxisanwendung. Zunächst wollen wir uns auf Stationen in der Unfallchirurgie sowie der Orthopädie fokussieren, da wir der Meinung sind dort das "jüngste" Publikum haben, welches fit mit der Technik ist und leicht zu integrieren ist. Offen gestanden habe Ich noch auf keiner Station gearbeitet, weswegen ich mich auf diesem Forum angemeldet habe um Krankenschwestern, die bereits einige Jahre Erfahrung in der Pflege gesammelt haben, zu fragen worauf es ankommt, sodass wir unser Produkt so gut wie möglich nach Ihren Bedürfnissen anpassen um wirklich etwas zu Bewirken. Ich bin Ihnen deswegen sehr dankbar, dass Sie mir Ihre Sicht geschildert haben!
 
@Jillian Danke für deine Meinung! Ich stimme dir zu, dass es von großem Vorteil wäre, ein solches Praktikum zu absolvieren. Wie du in meiner letzten Antwort vielleicht gesehen hast, wollen wir uns zunächst auf Stationen wie Unfallchirurgie sowie der Orthopädie fokussieren. Die Umsetzung auf Stationen wie auf der du arbeitest, ist es deutlich komplizierter - aber das weißt du ja besser als ich. :) Wie sagt man so schön, Ein langer Weg beginnt mit dem ersten Schritt.
 
@-Claudia- Ich denke Ich weiß über welche Firma du sprichst. Wie in jeder Industrie gibt es den Wettbewerb und man versucht sich voneinander abzuheben, jedoch wie du schon richtig gesagt hast, es gibt das System schon und es erhält gutes Feedback. Auf den ersten Blick scheint unser Produkt sich nicht groß von dem Wettbewerb zu unterscheiden, allerdings soll es bei uns noch weiter als eine Kommunikationsplattform werden. Wir haben z.B. durch eine Chat Funktion, die Möglichkeit, direkten Kontakt zw. Patient und Krankenpfleger herzustellen, man kann mit Ärzten über Videofunktion kommunizieren, etc. Das Produkt wird weiterhin ständig optimiert, sodass wir das Anliegen von euch, den Krankenpflegern, auch vertreten können. Also solltest du etwas haben was dir am Herzen liegt oder vielleicht was von der anderen Station hörst, kannst du mich das jederzeit wissen lassen :) Vielen Dank für deinen Beitrag!
 
Hört sich toll an…..wenn die Krankenhäuser wie Privatunternehmen in Digitalisierung und Technik investieren …können.
Die Betonung liegt in können. Denn je nach Träger und Bundesland sind die verpflichtenden digitalen Systeme schon das Maximum der EDV. Leider.
Ich weiß, dass es auch gut vernetzte Häuser gibt, leider nicht überall. Und da diese Technik nicht Re-Finanzierbar ist, ist sie für einigen Häuser leider unbezahlbar.

Davon ab sehe ich diese Art von Technik auch nur in Orthopädie und Unfallchirurgie, oder in Bereichen, die fitte Patienten betreuen. Also mehr für den „Service-Sektor“ .
Mein Fazit: Für Privat-Patienten-Bereich interessant, für den Kassenpatienten „schön-Färberei“

Ein weiterer Meilenstein zur Erweiterung der bestehenden 2-Klassen-Gesellschaft im Krankenhaus.

Einer

P.S. Sorry, wenn ich „Videofunktion“ und „Chat“ lese wird mir „ein bisschen anders“.
Das reale Leben im Krankenhaus hat nichts mit Fernsehen zu tun.
Bitte nimm die Empfehlung von Jillian an und absolviere dringend ein Praktikum mit folgenden Voraussetzungen:

- Mehrere Wochen
- Nicht privates Akut-Krankenhaus
- Mindestens 50% auf Innere

Wird einen hoffentlich realistischeren Blick auf die Unterstützungsmöglichkeiten für Pflegekräfte zeigen


P.P.S.
Bitte entschuldige die negative Grundhaltung. In den letzen 30 Jahren habe ich leider gelernt, das angebliche „Unterstützung“ der Pflegekräfte sehr schnell zu deren Ungunsten ausgelegt wurden. Durch Mehrarbeit oder Personalkürzung (…“Ihr habt ja dafür jetzt ..Blabla.. Dann könnt ihr ja noch zusätzlich…….“.)
 
Ich arbeite auf einer inneren Station. Die meisten unserer Patienten haben schon Schwierigkeiten mit der Fernbedienung in welche das Telefon integriert ist, umzugehen. Selbst die Bedienung unseres Kartenautomaten für die Freischaltung von Fernsehen,Telefon,Internet und W-Lan muss sehr oft durch Mitarbeiter begleitet werden.
Ich selber bin 60 Jahre alt und würde diese Funktionen nicht nutzen. Wenn ein Patient Wünsche hat wie Duschen , dann kann er das äußern wenn die Pflege gerade im Zimmer ist, beim morgendlichen Rundgang, bei der Pflege, mitten in der Nacht usw. Das wird dann dokumentiert und je nach dem der zeitliche Rahmen besprochen oder abgelehnt weil medizinisch nicht machbar.
Mobilitätshilfe findet entweder durch die Krankengymnastik und die haben Termine oder weil der Patient zur Toilette muss, an den Tisch zu Essen, also sollte dies zeitnah erfolgen.
Ich bin noch von der alten Schule und lege viel Wert darauf meine Patienten mit (fast) allen Sinnen zu erfassen. Sehen ,riechen,hören und fühlen. Also die gute alte Krankenbeobachtung. So kann sehr oft im Vorfeld ein Notfall verhindert werden.
Diese Technik kann ich mir in bestimmten Rehakliniken besser vorstellen als in einer Akutklinik.
Auf jeden Fall solltest du ein mehrwöchiges Praktikum in einer Akutklinik machen.
Wenn so ein System eingeführt wird, dann müssten die Pflegekräfte das ja auch beherrschen, denn die dürften den Patienten dass dann erklären, neben der Funktion der Glocke, des Fernsehers, W-Lan, Internet Zugang, der Fernbedienung, dem Tagesablauf usw.
Wenn ich mir mich und meine Kollegen so ansehe, dann stelle ich fest, dass es daran schon scheitern könnte, zum Einen am technischen Verständnis ( sehr viel alte Kollegen) und zum Anderen die Bereitschaft noch mehr Sachen aufgedrückt zu bekommen , was Zeit frisst, die wir nicht haben. Denn eine Zeitersparnis kann ich so spontan nicht erkennen.
 
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