Es ist jetzt mal an der Zeit, von meinen Erfahrungen in der Ausbildung von Präsenz- bzw. Betreuungskräften für die Betreuung von Demenzerkrankten zu berichten.
Die erste entsprechende Maßnahme in Schleswig-Holstein ist abgeschlossen, die zweite läuft.
Eines vorab: Normalerweise bin ich in der theoretischen Ausbildung von Altenpflegerinnen und Altenpflegern tätig. Dort unterrichte ich die medizinischen Fächer (Anatomie, Physiologie, Pathologie), aber inzwischen auch pflegerische Bereiche und die sozialwissenschaftlichen Fächer.
Zugegeben: Ich war anfangs äußerst skeptisch! Kann das funktionieren? Arbeitslose in der Demenzbetreuung? Eine meiner Grundbefürchtungen war, dass die Menschen in diese Maßnahmen hineingedrängt würden, quasi gegen ihren Willen daran teilnehmen müssten, damit die Arge ihnen die Leistungen nicht kürzt.
Im Fall der ersten beiden Kurse kann ich jedoch festhalten: Alle wurden zuvor gefragt, nahezu alle haben in ihrem Profil den entsprechenden Wunsch nach einer Beschäftigung im sozialen Bereich geäußert. Niemand ist gegen seinen Willen da.
Was ich aber als viel wichtiger erachte: Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind die Teilnehmer hoch motiviert! Ihr Wissensdurst kann in den zur Verfügung stehenden Kursstunden nicht abgedeckt werden. Ich treffe auf Menschen mit Visionen -- so überlegen einige, in die ambulante Betreuung von dementiv Erkrankten zu gehen, so denn die Rahmenbedingungen dies hergeben. Sogar über Selbstständigkeit wird nachgedacht. Die meisten haben ihre individuellen konkreten Vorstellungen, wie sie die Tätigkeiten sinnvoll ausgestalten möchten.
Themen wie ein Überblick über die Organsysteme des Körpers treffen trotz des nicht geringen Anspruchs an die kognitiven Fähigkeiten auf offene Ohren. Dazu ein Beispiel: Ende der letzten Woche diskutierte ich unabhängig voneinander (die Maßnahmen sind räumlich deutlich getrennt, eine findet in Lauenburg statt, die andere in Mölln) mit beiden Kursen, dass eine vernünftige Arbeit ohne eine Grundkenntnis an Vorerkrankungen und deren medikamentöser Therapie nicht möglich ist. (Der Wunsch, dieses Thema aufzugreifen, kam aus den Kursen!)
Fragen folgender Art kamen dabei auf:
- Wenn jemand Blutdruck senkende Medikation bekommt oder aufgrund eiiner KHK Gefäßdilatatoren, sollte das den Kursteilnehmern bekannt sein -- sogar das Wort "Sturzvorbeugung" kam dabei zur Sprache.
- Eine eventuelle Trinkmengenbeschränkung und diuretisch wirksame Medikamente müssen bekannt sein, um die Bilanz weiterzuführen und Toilettengänge während der Beschäftigung einzuplanen.
- Obwohl sich die Teilnehmer nicht mit der allgemeinen Pflege beschäftigen sollen, kamen der Hautschutz und die Intimpflege bei Inkontinenz zur Sprache. "Was ist, wenn ich mit einem Bewohner einen Ausflug mache und die Inkontinenzhose ist voll?", wollten viele Kursteilnehmer wissen. "Welche Materialien brauche ich dann? Wie erkenne ich einen beginnenden Dekubitus?"
- Prophylaxen: Was kann ich tun, um den an Demenz erkrankten Menschen zu unterstützen? Wenn ich mit ihm Bewegungsübungen mache, was erreiche ich "nebenbei" damit? Alleine mit den Erklärungen zu den Themen Kontrakturen, Intertrigo, Thrombose u.ä. hätte ich, dem Interesse daran folgend, Tage zubringen können.
Informationen über Hirnfunktion, Geragogik, Ergotherapie, Gesprächsführung fallen trotz ihrer Komplexität auf sehr fruchtbbaren Boden. Einige berichteten, dass sie in ihren Einrichtungen konkrete Verbesserungsvorschläge machen dürfen, die umgesetzt werden können, obwohl sie Geld kosten. Andere beschwerten sich, sie fühlten sich als billige Arbeitskräfte mißbraucht ("Putz doch da mal das Klo. Wir haben so viel zu tun!"), obwohl sie gerade mit den Patienten Memory spielten oder feinmotorische Übrungen durchführten. (Denn für so etwas sind sie als zusätzliche Kräfte nun mal da -- für die Demenzbetreuung ist im normalen Alltag eigentlich keine Zeit.)
Keiner sitzt einfach nur die Zeit ab, niemand packt zum Ende des Schultages vorzeitig seine Sachen zusammen, und wenn ich mal etwas überziehe, weil gerade eine Diskussion läuft, beschwert sich niemand. Sogar nach dem Unterricht kommen einzelne noch zu mir mit konkreten Fragen.
Um es kurz zu machen: Meine Vorbehalten gegen diese Maßnahmen sind weitgehend verflogen. Ich kann hier nur einen Abriss von dem widerspiegeln, was sich in den Köpfen der Kursteilnehmer abspielt. Ich habe es dort mit ganz verschiedenen Menschen mit unterschiedlicher Biographie und Sozialisation zu tun, die mehrere Dinge verbindet:
- Die Einsicht, dass ihr Job wichtig und richtig ist
- Der Wunsch, möglichst umfassend informiert an die Aufgabe herangehen zu können
- Die Vision, aus der bisherigen Maßnahme mit (meistens) Arge-Hintergund einen Ausbildungsberuf zu machen
- Die Vorstellung, Menschen mit Demenz ein sinnvolles, gutes Jetzt & Hier zu ermöglichen (unter Verbschiedung, ständig von gestern und morgen reden zu müssen)
- Die Idee, nicht nur den Betroffenen zur Seite zu stehen, sondern auch den Angehörigen; dies stammt nicht von mir, sondern von den Teilnehmern selbst: Sie mussten in den praktischen Einsätzen allzu oft erleben, wie unsicher, uninformiert und teilweise ablehnend den Betroffenen begegnet wird.
Ich denke & glaube, den demografischen Wandel hin zum längeren Leben berücksichtigend, dass hier echtes Potential schlummert. Gelingt es uns jetzt, diese Kursteilnehmer gut gerüstet und motiviert auf die Menschheit loszulassen (und das ist momentan das gemeinsame Ziel aller Beteiligten), wird sich daraus, dem Bedarf folgend, etwas Gutes, aber auch Unumgängliches, entwickeln.
Die Idee dazu kam von oben, geliebt wurde sie nicht, aber ich denke, wir sollten hier eine Chance ergreifen und daran arbeiten, Motivation plus Wissen zu fördern.
In diesem Sinne...