Wie richtig mit dem Tod eines Patienten umgehen?

Hallo Lucian, schön dass dich meldest, DU geisterst MIR schon länger im Kopf rum, tatsächlich. Aus vielerlei Gründen.
Deswegen ist das unten stehende auch etwas länger.

Vlt. hilft "uns" auch noch was anderes.
Mit den Berufsjahren steigt die Wahrnehmung, Veränderungen zu erkennen, die auf einen nahenden Tod hinweisen.
Auch das Verständnis für Zusammenhänge (Diagnosen, Allgemeinzustand, Alter......) nimmt zu.
100% zuverlässig ist das zwar alles nicht - aber der Punkt, so meine momentane Überlegung, ist dass man damit einen gewissen Vorlauf bekommen kann, sich selbst vorbereiten
man sein eigenes Verhalten etwas ändert, demjenigen weniger zumutet, mehr macht was demjenigen "gut tun könnte".
Es gibt auch eine deutliche Tendenz, dann großzügiger mit Morphin umzugehen - auch wenn das (leider immer noch) bei Ärzten nicht genauso gesehen wird. Die Wirkung von leichter Beruhigung, deutlich weniger angestrengter Atmung, Schmerzlinderung, macht es weniger aufreibend, wenn DAS ein Problem ist. Leider ist es das ab und zu.
Gewappnet ist man aber trotzdem nicht, wenn ein Mensch sehr schnell und quasi ohne Vorwarnung verstirbt.

Was könnte helfen, kurzfristig, sich abzulenken....irgendeine sportliche Betätigung für die man eine Anleitung braucht
kennst Zumba? Sowas die Richtung, da musst permanent dran bleiben, sonst bist draußen.
Längerfristig - bleibt die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit nicht aus. Auch mit dem Punkt, warum Du SO reagierst, Dich das so lang beschäftigt.
Der Glaube (welcher auch immer) KANN eine große Stütze sein, Sicherheit geben.
An sich wünsch ich allen - in der eigenen Kindheit/ Jugend in der eigenen Familie KEINEN Verlust beklagen zu müssen.
Vlt., so eine weitere Überlegung, hat eine bereits stattgefundene Konfrontation damit, auch Auswirkungen, auf die Akzeptanz.
Andererseits - kann das auch ein Trauma sein, welches man ins Erwachsenensein mitnimmt.

aktueller Einwurf noch: Einen Verstorbenen zu betreuen, ihm, nenn es mal die letzte Ehre erweisen (nach unseren Möglichkeiten), ihn herzurichten - ist ein Abschluss, aber auch ein wichtiges Ritual.

Letztes Sommer hatten wir einen sehr alten Herren, bei dem es ab einem gewissen Punkt klar war, es dauert nicht mehr lang, da ist ein Prozess in Gang der nicht mehr aufzuhalten ist.
Es war mitten in der Nacht, eigentlich war ich für ihn nicht zuständig, aber ich hatte Zeit.
Also hab ich mich nah zu ihm aufs Bett gesetzt, mit ihm gesprochen, kontinuierlich Körperkontakt gehabt, darauf geachtet, wie er atmet, wie seine Mimik ist, paar Sachen eingebaut, die ich für sinnvoll erachtet habe.
Die Kollegin hatte zu tun, die benachrichtige Ärztin hat zwar die Angehörigen erreicht, aber rechtzeitig kommen konnten sie nicht mehr.
Ich betrachte es rückblickend als seltenes Geschenk, in der letzten Stunde im Leben dieses Mannes für ihn da gewesen zu sein, aus dem Bedürfnis heraus, dass ich es für mich auch nicht möchte, alleine zu sterben.
(Das dies der Wunsch eines Menschen sein kann - auch das habe ich schon erlebt, einmal.)
Es war, ohne etwas zu beschönigen, eine sehr friedliche Stunde. Ich habe das für mich auch aufgeschrieben um es festzuhalten.
 
. Da war eine Dame, die ich sehr mochte und sie mich. So schlecht es ihr auch manchmal ging, wenn ich kam, lächelte sie. Nahm meine Hand...und Streichelte einmal mein Gesicht . Und genau dieses Bild kann ich nicht vergessen. Wie sie lächelte. Wie ich mich mit ihr unterhalten habe, wenn ich bei ihr im Zimmer war.

Hallo, Lucian

du hast der Dame in ihren letzten Tagen augenscheinlich viel Freude bereitet. Versuche, dir das lange zu bewahren.
Das du dich so schwer tust mit dem Tod, ist kein Wunder und kein Makel, du bist augenscheinlich jung und sensibel dazu, diese bitteren Erfahrungen anscheinend deine ersten. Du mußt dich so annehmen wie du bist. Wird es eines Tages besser? Ja, meistens, denn auch hier tritt eine gewisse Gewöhnung und Routine ein, das ist auch gut so. Und je länger man in diesem Job ist, sieht man, das der Tod oft eine Gnade ist.
Was ich in diesem Zusammenhang gelernt habe, ist, Streit oder Verstimmungen mit meinen Angehörigen bei zu legen, denn oft ist das Schlimme an einem Todesfall für die Angehörigen, das sie im Streit auseinander gegangen sind oder wichtige Dinge niemals ausgesprochen wurden.
Ob du jetzt eine "Konfrontationstherapie" machen solltest, in dem du den nächsten Toten mit versorgst, ich glaube nicht, nähere dich dem Ganzen etwas behutsamer. So wie du es jetzt machst, ist schon richtig.
Denk noch mal an die alte Dame und versuche, sie in diesem Gedicht wieder zu finden:

Der Tod ist dein Geburtsrecht.
Er ist ein Geschenk,
auf das jeder Anrecht hat.
Er ist eine Ruhestätte für die Erschöpften,
eine Zuflucht für Gejagte,
eine Lehre für diejenigen, die auf Abwege geraten sind,
ein Meilenstein für den Pilger
und ein Paradies für die Gläubigen.

Sai Baba

Wenn du weinen mußt, dann tu es einfach. Weißt du, ich hatte in 25 Berufsjahren vielleicht 200 Tote und bin ziemlich abgeklärt und robust, aber letztens ist mir ein Mensch sehr nahe gegangen, dann habe ich auch geweint. Irgendwann ist es wieder gut.
Wünsch dir noch viel Freude im Beruf,
Marty
 
Zum Thema passenden Lesestoff gibt es hier:
"Der Umgang mit sterbenden Menschen aus der Sicht von Auszubildenden in Pflegeberufen"
wise.dip.de

Der Abstract ist offen lesbar, für die komplette Studie muss man sich registrieren, das kostet aber nichts.
 
Ich danke euch wirklich für eure Antworten, ihr habt mir sehr geholfen.
Langsam entwickle ich mich und werde vertrauter mit meinen Ängsten... Ich stelle mich ihnen auch und verdränge sie nicht. Nach meinem Schulblock komme ich wieder auf die selbe Station wie vorher und werde weiter an mir arbeiten. Ich habe dort große Unterstützung von meinen Kolleginnen...
 
Vor ein paar Tagen hatten wir nachts eine erfolglose Rea. Der junge Doc und ich waren beide traurig, denn wir mochten den Pat sehr gern. Was haben wir gemacht? Wir haben den Pat. zusammen fertig gemacht und danach noch darüber geredet. Wir haben unser bestes gegeben, aber es hat halt nicht gereicht. Wir haben gekämpft und verloren. Nach dem "herrichten" des Pat und unserem Gespräch ging es sowohl dem Doc als auch mir besser. Reden, reden, reden ist die allerbeste Medizin!
 

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