Tut mir leid, aber wenn ich höre, dass manche die Leute gern öfter als 2 stündlich drehen wollen finde ich das auch mehr als daneben. Wenn ich mir vorstelle: Endlich eingeschlafen, weil von was soll man den müde werden, wenn man den Gro´ßteil des Tages im Bett verbracht hat, kommt einer, reißt dich aus deiner Tiefschlafphase um dich einmal zu drehen.
Meiner Ansicht ist die Nacht primär zum Schlafen da. Nicht nur zur Erholung, sondern auch wichtig für die Orientierung und Zeitgefühl. Da werden alle pflegerische Handlungen von mir auf das allernötigste reduziert.
Gute Rede.
Aber was Du damit riskierst, ist doch klar.
Der liegende, dekubitusgefährdete Pat., ist dieser nachts weniger gefährdet? Nein, er ist es vielleicht sogar noch mehr, aufgrund Schlafmedikation oder sonstige Beruhigungscocktails, die Eigenbewegungen nochmals reduzieren lassen.
Wenn ein Patient aus gut gemeinter Rücksicht einen Dekubitus entwickelt, fügt man ihm wesentlich mehr Leid zu, als man es mit regelmäßiger Lagerung je getan hätte. Und wenn erst mal ein Dekubitus vorhanden ist, dann darf man ihn noch nicht mal mehr auf diese betroffene Seite lagern. Das heißt in der Praxis, ein Patient, der sich ja nicht selten gerne wieder auf seine Lieblingsseite (mit dem Dekubitus) zurück lagert, erleidet dadurch weitere Komplikationen, da sich bei jeder noch so kleinen Druckbelastung, die auf die Wunde ausgeübt wird, die Wunde weiterhin deutlich verschlechtert. Eine Wunde, die nässt, evtl. übel riecht, an den prädeliktierten Arealen infektionsgefährdet ist durch Stuhl und Feuchtigkeit, schmerzt, täglicher Verbandwechsel, vor allem aber auch die Psyche, die unter der vorhandenen Wunde leidet, ist weitaus belastender als eine Lagerung. Auch nachts.
Also ist demnach Deine Rücksicht auf Nachtruhe nicht nachvollziehbar, und ist aus Sicht des heutigen Kenntnisstands obsolet.
Aus juristischer Sicht würdest Du für diese "Rücksicht auf Nachtruhe" verantwortlich gemacht werden. Die Klagen, vor allem im Bereich "Dekubitus(-entstehung)" haben sich seit ´07/´08 vervielfacht habe ich mir von einem leitenden Richter mit Schwerpunkt Pflege- und Medizinrecht sagen lassen.
Der Expertenstadard gilt als vorweg genommenes Gutachten. Ein Papier, auf das sich Juristen berufen.
Elisabeth Dinse schrieb:
Wie würdest du dann in dem angegeben Beispiel handeln? Was machst du bei kreislaufinstabilen Pat.?
Ich jedenfalls tue mich mehr als schwer, dem Pat. im 2 Stunden-Takt komplett zu drehen- sowohl für den Pat. als auch für das Personal eine erhebliche Belastung... vor allem, wenn man nachts alleine ist.
Ab wann bedarf es zur Dekubitusprophylaxe einer kompletten Druckentlastung?
Mob. in den Stuhl- also wenn ich sitze belaste ich die Sitzbeinhöcker. Wenn ich mir noch ein Kissen in den Rücken lege , wirds Steißebin noch freier.
http://www.defa-rueckenkissen.ch/joo...ukte_auto2.jpg
Oder habe ich eine falsche Körperwahrnehmung?
Bei der üblichen 30° lagerung bleibt der Kontakt des Steißbeins zur Unterlade erhalten. Demnach würde die 90° Lagerung die geeignetere Dekuprophylaxelagerung sein?
Wird ein richtig interessantes Thema.
Im Sitzen wird vor allem durch wirkende Scherkräfte (Verlagerung des Gewebes) das Os sacrum (Kreuzbein) belastet. Nicht das Steißbein, nicht die die Sitzbeinhöcker. Das Steißbein ist auch nicht dekubitusgefährdet, da das Steißbein im geschützten Bereich liegt (bitte ein Anatomiebuch zur Hand nehmen. Der Dekubitus wird immer nach dem darunter liegenden Knochen benannt. Also ist der Steiß unmöglich.). Im Sitzen habe ich eine Gewebsverschiebung vom Gesäßbereich, auf dem ich sitze, nach oben in die Kreuzbeinregion, so dass da innerhalb des Gewebes lokale Druckspitzen entstehen. Ein Kissen im Rücken kann dies nicht verhindern - im Gegenteil. Das Kissen schränkt meine eigens durchgeführten Mikrolagerungen erheblich ein.
Eine Lagerung und das Lagerungsintervall ist immer individuell. Dies ist mit dem "Fingertest", wie bereits zuvor beschrieben, zu ermitteln. Demnach kann ich feststellen, wie gefährdet ein Patient ist. So gibt es Pat., die schon nach 30 min eine nicht wegdrückbare Rötung haben und entsprechend in diesem Intervall gelagert werden müssen, andere haben erst nach vielen Stunden eine nicht wegdrückbare Rötung (= Dekubitus Grad I). Und damit kann man auch die Art der Lagerung festlegen, unter Berücksichtigung von vorhandenen Begleiterkrankungen.
In vielen Köpfen herrscht noch das "zweistündliche Lagerungsintervall", was längst überholt ist, und nach nun fast 10 Jahren Expertenstandard endlich passé sein sollte.
Man stößt sicherlich bei den Lagerungsintervallen aufgrund personeller Einschränkungen an seine Grenzen. An dieser Stelle bin ich jedoch widerum verpflichtet, eine sog. Überlastungsanzeige zu schreiben und zu dokumentieren.
Was ich persönlich nicht nachvollziehen kann, ist die Tatsache, dass viele Pflegekräfte eine Menge Gründe anbringen, dass sie einen Patienten nicht lagern möchten oder können.
Diese Gründe sind jedoch aus juristischer und ethischer Sicht in den meisten Fällen nicht berechtigt.
Fast alle Einrichtungen geben vor, dass sie den Expertenstandard implementiert haben, aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es in sehr vielen Einrichtungen noch großen Beratungsbedarf gibt, da unter den Mitarbeitern immer noch das Wissen von "anno dazumal" bestehen bleibt.
Viele verstehen den ES als "Schikane", das liegt nicht selten am mangelnden Engagement in Bezug auf Wissensaneignung. In Fortbildungen sitzen erschreckenderweise Pflegekräfte die abwinken und, wortwörtlich den ES "Sch...." finden.
Es gibt immer noch zu viele Dekubitalulcera - wenn alles aktuelles Wissen umgesetzt werden würde, könnte wenigestens ein Teil dieser Dekubitalulcera erspart bleiben - vor allem aber großes, nicht messbares Leid.
Ich persönlich hoffe für mich, dass ich einmal, wenn es je so weit kommen sollte, von Pflegefachkräften versorgt werde, die trotz Zeitdruck und Personalmangel gemäß aktuellen Kenntnissen Pflege duchführen. Ein Fingertest und eine Umlagerung kostet in der Regel weder viel Zeit noch viel Kraft - wenn man es richtig macht. Um etwas zu können, muss man es lernen. Und vor allem muss man den Sinn des Ganzen verstehen. Letzteres ist wohl schwierig für einige Pflegefachkräfte.
Fachkraft zu sein heißt, fachlich korrekt, nach aktuellem Kenntnisstand zu handeln. Eine Urkunde zu besitzen heißt nicht automatisch, für immer alles zu können und nach persönlichem Ermessen handeln zu dürfen.
Wie bitteschön soll Ulla Schmidt unser Image aufpolieren, wenn unter dem Lack verrostetes Wissen vorherrscht und dieses angewendet wird.
Prof. Dr. Püschel lässt grüßen.
LG
Trisha