Arzneiverordnung in der Praxis
Herausgegeben von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Band 40 · Ausgabe 2 · März 2013
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen Tödliche Agranulozytose unter Novaminsulfon – aus Fehlern lernen
Unter den Nicht-Opioid-Analgetika besitzt Novaminsulfon (Metamizol, Novalgin®) die höchste analgetische Wirkung. Es ist darüber hinaus stark antipyretisch wirksam.
Es wurde 1922 in den Handel gebracht und ist als Tablette, Tropfen, Zäpfchen und Injektionslösung verfügbar. Schon lange ist bekannt, dass es zu schweren Agranulozytosen kommen kann.
In vielen Ländern (z. B. Großbritannien, USA) wurde Novaminsulfon daher vom Markt genommen.
In Deutschland wurde aufgrund des Risikos die Zulassung zu Beginn der 1980-er Jahre beschränkt auf akute starke Schmerzen nach Verletzungen oder Operationen, schmerzhafte Koliken und Tumorschmerzen.
Bei anderen akuten oder chronischen starken Schmerzen darf es nur eingesetzt werden, wenn andere therapeutische Maßnahmen kontraindiziert sind. Außerdem ist Novaminsulfon zur Behandlung von hohem Fieber zugelassen, das auf andere Maßnahmen nicht anspricht (1).
Die AkdÄ hat vor dem Hintergrund zunehmender Fallberichte von Agranulozytosen kürzlich darauf hingewiesen, dass die Anwendung von Novaminsulfon strikt auf die zugelassenen Indikationen beschränkt werden sollte (Deutsches Ärzteblatt, Jg. 108, Heft 33, 19.08.2011).
Über die Häufigkeit der Agranulozytose gibt es unterschiedliche Angaben. 1986 kam die sogenannte Boston-Studie, die Ergebnisse von 300 Kliniken zusammentrug, zu einer Häufigkeit von 1,1 pro 1 Millionen Anwendungen pro Woche (2).
Eine neuere schwedische Studie fand ein weitaus höheres Risiko der Agranulozytose von 1 pro 1.439 Verordnungen (3).
Die Fachinformation gibt das Ereignis als „sehr selten“ an (< 1:10 000). Das Risiko einer Agranulozytose steigt vermutlich, wenn Novaminsulfon länger als eine Woche angewendet wird.
Im deutschen Spontanmeldesystem (gemeinsame Datenbank von BfArM und AkdÄ, Stand: November 2012) sind 1.800 Verdachtsfälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen nach Gabe von Novaminsulfon erfasst.
In etwa 350 Fällen davon, werden Agranulozytosen berichtet. Unabhängig von der Kontroverse um die Häufigkeit, sollte die Agranulozytose als Nebenwirkung von Novaminsulfon bekannt sein. Die Erkrankung ist zwar sehr selten, geht jedoch mit einer hohen Mortalität einher, wenn die Diagnose nicht rechtzeitig gestellt und eine adäquate Therapie eingeleitet wird.
Die Verordnungen von Novaminsulfon (Metamizol) in Deutschland nehmen seit vielen Jahren deutlich zu. Im Jahr 2011 wurden (allein im ambulanten Bereich) 135,2 Mio. DDD verordnet (4).
UAW-Beschreibung Einem 48 jährigen Familienvater wird wegen „Bandscheibenschmerzen“ Novaminsulfon dreimal täglich eine Tablette
zu 500 mg rezeptiert. Dies entspricht einer Tagesdosis von 1.500 mg (Tageshöchstdosis laut Fachinformation 4.000 mg). Nach acht Tagen (= 24 Tabletten) benötigt der Patient das Analgetikum nicht mehr und beendet die Einnahme. Drei Tage später wird er mit hohem Fieber und einer heftigen Angina tonsillaris in ein Kreiskrankenhaus eingeliefert. Die Frage, ob er Medikamente einnimmt, beantwortet er wahrheitsgemäß mit „nein“. Dass er drei Tage zuvor noch Medikamente eingenommen hat, hat er zu diesem Zeitpunkt bereits vergessen. Er wurde aber auch nicht danach gefragt. Im Aufnahmelabor fällt eine niedrige Leukozytenzahl auf, die überhaupt nicht zu dem hochakuten Krankheitsbild passt und die auch niemand erklären kann. Gegen das hohe Fieber bekommt er drei i.v.- Injektionen Novaminsulfon zu 500 mg. Als sich sein Zustand weiter verschlechtert, wird er in eine HNO-Abteilung verlegt, wo ihm notfallmäßig die Tonsillen entfernt werden. Wegen weiterer Verschlechterung seines Zustandes wird er schließlich in die medizinische Abteilung eines Universitätsklinikums verlegt. Dort wird die Agranulozytose diagnostiziert und lege artis behandelt. Zwei Tage später erliegt der Mann seiner schweren Erkrankung. Die Tragik des vorliegenden Falles liegt darin, dass nicht rechtzeitig an diese ja altbekannte UAW gedacht wurde.
Bitte teilen Sie der AkdÄ alle beobachteten Nebenwirkungen (auch Verdachtsfälle) mit.
Sie können dafür den in regelmäßigen Abständen im Deutschen Ärzteblatt auf der vorletzten Umschlagseite abgedruckten Berichtsbogen verwenden oder diesen aus der AkdÄ-Internetprä- senz
www.akdae.de abrufen.
Literatur 1. Ratiopharm GmbH: Fachinformation „Novaminsulfon-ratiopharm® 500 mg Tabletten“. Stand: Juni 2011. 2. Kramer MS, Lane DA, Hutchinson TA: The International Agranulocytosis and Aplastic Anemia Study (IAAAS). J Clin Epidemiol 1988; 41: 613–616. 3. Hedenmalm K, Spigset O: Agranulocytosis and other blood dyscrasias associated with dipyrone (metamizole). Eur J Clin Pharmacol 2002; 58: 265–274. 4. Schwabe U, Paffrath D (Hrsg.): Arzneiverordnungs-Report 2012. Berlin, Heidelberg: Springer Medizin Verlag, 2012. Interessenkonflikte Ein Interessenkonflikt wird von den Autoren verneint. Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. E. Haen, Regensburg
ekkehard.haen@medbo.de Prof. Dr. med. D. Höffler, Darmstadt
dhoeffler@t-online.de Dr. med. Th. Stammschulte, Berlin
thomas.stammschulte@akdae.de
Arzneiverordnung in der Praxis ~ Band 40 · Ausgabe 2 · März 2013
Ich habe leider nicht die Studie, der Schweden zu diesem Medikament gefunden. Außerdem weis ich nicht, von wann diese Studie gewesen ist.