Jammerdepression in der Pflege

Für die Schule muss man allerdings die Einschrânkung machen, dass hier auch didaktische Überlegungen eine Rolle spielen. ...

Ich habe lange geglaubt, dass Benners Beschreibung der Sozialisierung von Pflegekräften der richtige Weg ist. Mittlerweile zweifle ich daran. Es ist meiner Meinung nach nicht auf D übertragbar.

Welches didaktische Ziel wird verfolgt in D? Man versucht von Anfang an, den Menschen in eine Form zu pressen- egal ob dies auf Pat./ Bew. oder auf Azubis zutrifft: Hauptsache es funktioniert reibungslos.

Was mir völlig fehlt im deutschen Bildungssystem: die Vermittlung von Methodenkompetenz (wie und wo kann ich selbständig Wissen erwerben) und die Fähigkeit zur Eigenreflexion.

Elisabeth
 
Ich habe lange geglaubt, dass Benners Beschreibung der Sozialisierung von Pflegekräften der richtige Weg ist. Mittlerweile zweifle ich daran. Es ist meiner Meinung nach nicht auf D übertragbar.

Elisabeth

Das Model von Brenner beschreibt den Prozess vom Anfänger zum Experten und untersteicht dabei vor allem die persönliche Verantwortung, diesen Prozess selber zu gestalten, insbesondere hebt sie hervor, dass jemand mit 30 Jahren Berufserfahrung nicht zwangsläufig ein Experte sein muss... Dieser prozesshafte Verlauf ist sicher allgemeingültig und nicht auf ein bestimmtes Land beschränkt. Allerdings, und das kann man eventuell als Schwachpunkt verstehen, berücksichtigt Brennen in diesem Model (meines Wissens nach) keine externen Faktoren - das amerikanische Ausbildungsmodel in der Pflege unterscheidet sich grundlegend von dem deutschen, so dass man sich fragen kann und da gebe ich dir, Elisabeht recht, ob das deutsche System geeignet ist, den Schülern das entsprechende Handwerkszeug mitzugeben, den Weg vom Anfänger zum Experten selber zu gehen (sowieso werden die wenigsten zu Experten), das kann ich aber schlecht beurteilen, das weisst Du als Praxisanleiterin sicher besser. Ich bin nur sehr vorsichtig bei einer Pauschalisierung. Ich hatte z.B. ein hervorragende Lehrerin, die sehr viel Wert auf Eigenreflexion und Methodenkompetenz gelegt hat. Allerdings wird auch die beste Lehrkraft nicht ereichen, dass dem jeder Schüler folgt. Möglicherweise liesse sich daraus ein Eingangstest fûr den Pflegeberuf konstuieren.
Fest steht aber, dass sich etwas in der Ausbildung ändern muss. Auch das wird sicher dazu beitragen, dass kûnftige Schülergenerationen nicht gleich in das Jammertal der Depression fallen...

Gruss Hartwig
 
Das Model von Brenner beschreibt den Prozess vom Anfänger zum Experten und untersteicht dabei vor allem die persönliche Verantwortung, diesen Prozess selber zu gestalten, ...

Und genau da liegt der Knackpunkt. In D ist diese Fähigkeit eher unterentwickelt- auch bedingt durch das Bildungssystem allgemein.

Ergo: Benner kann auf D nicht 1:1 angewendet werden, da das Umfeld ein anderes ist.

Wie nun weiter? Sekundär- und Tertiäraufgaben anderer Berufsgruppen übernehmen und stolz darauf sein?

Elisabeth
 
Ich frage mich mittlerweile, ob die Pflege überhaupt therapiewillig ist! Ich bin zwar gleich nach meinem Examen ins Ausland, aber in den drei Jahren der Ausbildung habe ich so viele erscheckende Beispiele von Inkompetenz und "sich um die Verantwortung drücken wollen" erlebt, dass ich nicht mehr glaube, dass die Pflege in ihrer Gesamtheit überhaupt dorthin will, wo wir es gerne hätten!

Ich könnte endlos Beispiele wie die folgenden erzählen:

Zwei examinierte Krankenschwestern im Spädienst streiten sich darum, ob sie bei einer Patientin, die die Beine gewickelt bekam, die Binden über Nacht entfernen sollen oder nicht. Nachdem sie sich nicht einigen rufen sie den Arzt an, der daraufhin entnerft fragt, warum er denn so einen S**** auch noch selber anordnen müssen und ob sie nicht ein eigenes Gehirn zum denken hätten!

Auf einer Station wird versuchsweile das Primary Nusing System eingefüht. Nach kurzer Zeit spricht sich die grosse Mehrheit der Pflegenden auf diese Station gegen diese System aus mit der Begründung, dies sei ihnen zuviel Verantwortung...

Die Visite wird entweder von den Pflegenden boykotiert mit der Begründung, dass sein sowieso nur Arztsache, oder die Krankenschwester übernimmt nur die Rolle der Aktenträgerin. Auf einer Station wollte ein junger, engagierter Stationsarzt daran etwas ändern (Wie erbärmlich für die Pflege, wenn sie einen Arzt brauchen, um an ihrer Situaton etwas zu ändern...) Der Arzt setzte durch, dass vor Betreten des Zimmers ein Arzt -Pflege - Gespräch stattfand, in dessen Rahmen man sich gleichberechtig über den Patienten austauschte und nach Lösungsmöglichkeiten suchte. Im Patientenzimmer sollten dann Arzt und Schwester als gleichberechtige Partner vor dem Patienten auftreten. Das Konzept wurde nie komplett realisiert, da sich viele Pflegende weigerten mit der Begründung, dafür hätten sie keine Zeit, der Arzt solle ihnen einfach die Anordnung nennen, so könnten sie viel schneller mit der Ausarbeitung beginnen...


Ein Auskultieren der Darmgeräusche vor einen Einlauf findet nicht statt. Die Plfegekraft nimmt die Gefahr, dass bereits ein paralytischer Ileus besteht bewusst in Kauf und meint, der Arzt müsse schliesslich wissen, was er tut und wenn nicht, und es zu einer Perforation kommt, sei das schliesslich nicht ihr Problem, sondern dass des Arztes. HALLO! War da nicht mal etwas von "Der Patient steht im Mittelpunkt der Pflege! Ist ein perforierter Darm nicht erst einmal des Problem des Patienten??? Wenn unter solchen Umständen Pflege fordert, selbstständig abführende Massnahmen anorden zu dürfen, erscheint das sehr fragwürdig.

Solche Beipiele könnte ich endlos erzählten. Für mich ist es mehr als fragwürdig, ob Pflege als gesammte Berufsgruppe überhaupt Verantwortung übernehmen will und auch kann. Woran liegt es? An der schlechten Ausbildung? Sollen Eingangstest vor der Ausbildung verpflichtet sein? Fehlt es auf Station an guten Vorbildern?
Keine Ahnung.

Vor einiger Zeit habe ich einen Aufsatz von Frau Prof. Dr. Sabine Bartholomeyczik, Pflegewissenschaftlerin in Witten gelesen, bei dem es um die Feststellung ging, dass Pflege sich nur allzugerne hinter dem Team versteckt. Die einzelne Pflegekraft bleibt unsichtbar, Verantwortungen verschwinden diffus im Team. Das scheint mit die Situation der Pflege zu sein.

Mein Ansatz wâre daher eher, zu fordern, den Akademisierungsprozess weiter voranzutreiben in der Hoffnung, dass kompetenter ausgebildetes Personal, eher bereit ist, sich einer Verantwortung zu stellen.

Als Kurzziel wäre es zu überlegen, ob eventuell mit einer geänderten Personalpolitik ein Auswege aus der Jammerdepression geschaffen werden kann. Eventuell können bereits zwei, drei engagierte Mitarbeiter (innen) ein ganzes Team motivieren.

Gruss Hartwig

Hallo, ich bin als Fachdozent in verschiedenen Fachseminaren der Altenpflege tätig und musste unlängst erleben, wie eine Schülerin sich auf den Unterricht in Anatomie freute, denn sie konnte mit den Themen der indirekten Pflege-Organisation, dass Verhältnis/Umgang der verschiedenen Berufsgruppen miteinander usw.- wenig anfangen. Ich erlebe oft, dass sich Schüler über eben diese, durch schlechte Organisation verursachten Problematiken beschweren, aber nicht bereit sind Stellung zu beziehen, selbst nach dem Examen nicht, wenn sie nicht mehr so sehr in der abhängigen Position des Schülers sind.
Grüße Niehus
 
Ist doch eine schöne Bestätigung, dass selbst in der Ausbildung es nicht geschafft wird eine Berufsidentität zu vermitteln.

Woran liegts? Vielleicht an den vielen Pflegevisionen, die an der Realität scheitern.
Realität= demographische Veränderungen in der Gesellschaft, Globalisierung, Verringerung der Sozialeinnahmen durch sinkende Anzahl der Betragspflichtigen, ... .

Elisabeth

PS Bitte auf das Fullquote verzichten.
 
Wir haben Mitarbeiter mit Abitur,die sind wieder verschwunden-nämlich ganz aus der Pflege,machen komplett neues Studium !Die Gründe sind mir bekannt.
Man kann sich die Arbeitsverdichtung mit den dauernd wechselnden Schichten nicht mehr schönreden.Zumal sich alle Tage die Mitarbeiter auf einen erneut erkrankten Mitarbeiter einstellen müssen.
Die TK hat von psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz gesprochen,sie erhöhen sich auf 20%.
Laut DAK-Studie steigen die psychischen Erkrankungen.Ein Viertel der Männer erreichen daher nicht die Rente.Ein Drittel der Frauen fallen ebenso wegen psychischen Erkrankungen aus,vor ihrem Rentenbeginn.

Will man das nicht sehen,was da los ist?

Eine gute kompetente Pflege im Dauerlächeln,entspannt,mit der nötigen Zeit alles zu erklären,dauernd Überbelegungen,Patienten die sich sofort beruhigen lassen,mit small talk und ausführlicher Beratung gleichzeitig,Schwesternanzahl am unteren Limit,Überstunden ohne Groll,beliebig einsetzbar und flexibel,schnell und umsichtig,Schüler gezielt einarbeiten mit Kontrolle und Gesprächen,Fortbildungen,Praktikanten einlernen .........
was für ein schönes Märchen.

Man sollte der eigenen Berufsgruppe nicht in den Rücken fallen.

Diejenigen in der Pflege,die am meisten auszusetzen haben,haben sich erfolgreich vor einer Stationsübernahme und Arbeit an der Basis gedrückt.

Ich schätze jeden der Mitarbeiter,die lange lange mit einer guten Motivation dabei sein können und hoffentlich noch lange durchhalten.

Vielen Stationen würde ich sonst eine Supervision empfehlen.Zudem qualifiziertere Fortbildungen als bisher zu bekommen waren.
 
Ich bemerke gerade, dass die Links nicht mehr funzen, deshalb: anklicken und sich nicht irritieren lassen sondern:
Menuleiste links - Gesundheit- Unterpunkt Gesundheitspolitik- dann auf: Projekt "Stärkung der Pflege im Krankenhaus" und voilá, da sind die Publikationen.

Elisabeth
 
Wer wirklich mal 12 Stunden lang wie am Fließband arbeiten will, der sollte für 3000 Leute innerhalb von 2 Stunden ein Essen zubereiten, das nicht gerade nur aus einer Suppe besteht.
Oder Hotel. Man läuft sich im wahrsten Sinne die Hacken wund und hat am Ende vom Tag riesige Blasen an den Füßen.
Und trotzdem ist die Hotel-Arbeit weniger belastend, da sie einen zwar psychisch auf die Palme bringen kann, aber man wischt nicht anderer Leute Kot ab oder bringt ständig Urin weg und sieht auch nicht die ganze Zeit Operationswunden und kranke Menschen.

Auch in der Hotelerie dreht man irgendwann am Rad, aber meist erst nach 6 Wochen, statt gleich nach dem ersten Tag.

Im Krankenhaus ist nicht schön zu arbeiten, es ist sehr belastend.
Wer ist schon gern im Krankenhaus???
 
Sprache konstituiert das Subjekt.
In diesem Sinne finde ich das Wort "Jammern" etwas problematisch. Es umschreibt den wahren Teil eines komplexeren Sachverhaltes, öffnet aber leider eine Schublade, die nicht existiert.
In meiner Zeit als Dienstleister habe ich etwa 200 deutsche Krankenhäuser "kennengelernt" und opnetz sprach mir auf Anhieb aus der Seele. Das Problem der sich immer wiederholenden Unmutsäusserungen ist vor allem wirtschaftskulturell bedingt: Als vor einigen Jahren noch reichlich öffentliche Gelder flossen, galt unter ALLEN KH-Angestellten: "Mein Geld kommt vom Girokonto!" Dieser Philosophie hängen alters- und damit naturgemäß nach wie vor viele Bedienstete an (Geschäftsführung eingeschlossen). Binnen kürzester Zeit sollen nun aus Krankenhäusern, die organisatorisch oftmals eher einer Behörde glichen, florierende Wirtschaftsunternehmen werden. Die Geschäftsführung steht unter immensem Druck und streicht erstmal das Eine oder die Andere. KS/KP waren es aber andererseits gewohnt, dass man ihrem Wunsch nachkam, schicht- oder wechselschichtzulagentauglich eingesetzt zu werden. Eine weitere Un-Kultur, die bundesweit immer noch anzutreffen ist. Zwei Pole, die nicht weiter voneinander entfernt sein könnten. Ich will als PflegerIn also nicht in erster Linie für meine Erschwernis entschädigt werden, sondern vor allem will ich die Erschwernis! Wenn diese Menschen sich dann über erschwerte Arbeitsbedingungen beklagen, neige ich auch insgeheim zum Begriff "Gejammer" oder tätlicher Gewalt. Hier setzt aber die Evolution an, denn entweder wird dieses Problem verrentet oder das Krankenhaus wird geschlossen bzw. geschluckt.
Aber der Fisch stinkt am Kopf zuerst. Eine zentrale Forderung richtet sich an die Geschäftsführung bis zur Stationsleitung: Führungsqualitäten! Wie bringe ich meine KollegInnen dazu, sich mit ihrer Arbeit und ihrem Unternehmen zu identifizieren? Haben diese überhaupt die Chance, so etwas wie Wertschätzung zu erfahren? Selbst bei einer Verdopplung der Belegschaft würde ich mich beklagen, dass mir das, was ich am meisten brauche, vorenthalten wird. Nämlich die Würdigung und Anerkennung meiner Arbeit!
Ich habe von Extremen geschrieben. Die Wirklichkeit, mit der man Bücher füllen kann, befindet sich tatsächlich irgendwo zwischen "Gejammer" und psychisch/physischer Grenzbelastung (und darüber). Aber ich finde, wir dürfen das Problem in unseren Beiträgen nicht auf das eine oder andere Ende der Skala reduzieren.

Grüsse
FSK
 
Hallo,
ich habe die ganzen Antworten auf deinen Bericht nicht durchgelesen, wäre bei über 200 auch ein bissl viel :D

Ich wollte nur mal anmerken, das ich deine Einstellung dazu klasse finde :up:

Ich bin in meinen Berufsjahren nun schon genug "herumgekommen", und ich habe bisher leider ÜBERALL (!) die Erfahrung machen müssen das die Stationsleitungen es genauso WOLLEN!

Voller Motivation, war damals frisch examiniert, habe ich auf meiner ersten Station angefangen zu arbeiten, und solche Sätze wie:" damit haben WIR nichts am Hut, das ist Ärztesache..." etc. regelrecht eingetrichtert bekommen.

Finde das auch sehr schade, habe für mich auch den Entschluß gefasst das ich sowas, für mich persönlich, nicht durchgehen lasse. Deswegen habe ich bisher auch schon oft die Arbeitsstelle gewechselt, immer auf der Suche nach Verantwortung, selbstfindung, über meine Grenzen hinaus gehen zu können, lernen zu können und vorallem weit weg von Kollege "Jammerlappen".

Ich hoffe auf eine Revolution in der Pflege, damit solche Stationen wie du deine führst zur Normsache werden. Meine Hoffnung ruhte ja auf dem neuen Krpfl.Gesetz, aber ausser dem Namen scheint sich nicht viel geändert zu haben. Schade!

Lg
 

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