Für mich will der Artikel die Belastungen des Personals auf einer bestimmten Palliativstation aufzeigen. Schon die Beschränkung der Ursache auf die gehäuften Todesfälle stört mich - ich für meinen Teil halte auch andere Faktoren für denkbar. Und nicht nur ich:
http://www.v-r.de/pdf/titel_inhalt_und_leseprobe/1008501/inhaltundleseprobe_978-3-647-40341-0.pdf
Die Behauptung Herrn Engelkes, die Situation sei typisch für Deutschland, kann ich nicht mittragen.
Zu der bisherigen Diskussion fallen mir drei Punkte ein:
1. Ihr alle beschränkt Palliative Care - wie auch der verlinkte Artikel - auf nur einen ihrer Bestandteile - die Sterbebegleitung. Mein Arbeitsbereich beschränkt sich jedoch nicht nur darauf. Es geht um Erhaltung und Verbesserung der Lebensqualität. Dies geschieht auch durch die Kontrolle belastender Symptome - und das ist der Bereich, der von den Angehörigen, sofern sie nicht selbst im medizinischen oder pflegerischen Bereich arbeiten, nicht abgefangen werden kann. Schon Hausärzte und "normale" Pflegedienste ohne Erfahrung mit Palliativpatienten sind ab einem gewissen Punkt damit überfordert. Hier braucht es genau wie in jedem anderen medizinisch-pflegerischen Fachbereich Spezialisten. Leute mit der entsprechenden Fachweiterbildung und Berufserfahrung.
Insofern kann ich Herrn Engeles Forderung nach der Abschaffung der Palliativstationen nicht nachvollziehen. Die Versorgung der Patienten würde sich dadurch nicht verbessern - und die Belastung für die Beschäftigten wäre nicht geringer, wenn die Ansprechpartner für diese Situationen wegfielen.
2. Gerade weil Palliative Care eben nicht nur Sterbebegleitung ist, spielt die Verfügbarkeit der Angehörigen eine Rolle. Es geht eben nicht nur darum, sich für einige Stunden oder Tage von seinen sonstigen Verpflichtungen loszueisen, sondern um eine Begleitung über Wochen, Monate, möglicherweise Jahre. Der Partner ist möglicherweise bereits selbst verstorben, die Eltern zu alt, um die Pflege zu übernehmen, die Kinder leben weit entfernt, sind berufstätig, haben eigene (kleine) Kinder und denen gegenüber auch eine Verantwortung. Pauschal der Familie die Versorgung aufs Auge zu drücken ist nicht möglich. Du musst immer den Einzelfall sehen.
3. Sterbebegleitung durch Angehörige oder ehrenamtliche Hospizbegleiter kann mich zeitlich entlasten, so dass ich mich den Fachaufgaben widmen kann, die Laien eben nicht übernehmen können. Und natürlich ist der Sterbende meistens froh und dankbar über die Anwesenheit seiner Familie. Ich erlebe die Angehörigen am Sterbebett aber nicht in jedem Fall als eine Erleichterung für mich. Ihre Betreuung und Unterstützung, das Auffangen ihrer Hilflosigkeit, die sich nicht selten in blindem Aktionismus äußert, ihre übertriebenen Erwartungen an die Medizin und die Palliativmedizin, ihre Trauer, ihre Vorwürfe und Aggressivität uns gegenüber - all dies kann die Belastung auch vergrößern und kostet oft mehr Zeit als die Betreuung des Patienten selbst.
Die Angehörigen sind in der Palliative Care sowohl Klientel als auch Ressource. Viele machen es toll. Einige bringen uns stärker an unsere Grenzen, als die Sterbenden dies vermögen. Sie allein als Entlastungsfaktor anzuführen ist ein Schritt in die falsche Richtung.