Ärztlicher Hygienefehler - Wie soll ich reagieren?

Neuromaus

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Hallo zusammen,
ich frage mal hier so allgemein, weil ich hoffe, dass hier mehr User mitlesen als im Forum Kinderintensivpflege.

Wir (zwei Pflegekräfte und ein Arzt) haben heute eine Portnadel am liegenden Port gelegt zur Infusionsherapie (Patientin ist anderthalb Jahre alt, daher zwei Pflegekräfte, eine zum Halten des Kindes, eine zum sterilen Anreichen des Materials). Und meine Kollegin und ich waren der Meinung, dass er dabei die entsprechenden Hygieneregeln nicht eingehalten hat. Wir konnten ihn während der Maßnahme nicht darauf hinweisen, weil die Mutter dabei war (d.h. einerseits unprofessionell, Fehlverhalten vor Angehörigen zu besprechen, andererseits Verunsicherung der Mutter). Unmittelbar danach wollten wir es tun, aber er war schon weg, weil wir ja noch das Kind zu Ende versorgen mussten. Jetzt sind wir uns unsicher, ob wir ihn morgen nochmal ansprechen sollen (haben beide morgen zusammen Dienst), oder ob wir es so stehen lassen, weil wir es eh nicht rückgängig machen können und er sicherlich keine Portnadeln mehr bei uns legen wird, da er nur noch diesen Monat im Haus ist.

Meine konkreten Fragen:
  1. Ich wüsste gerne von euch mal so ganz unvoreingenommen (deswegen schreibe ich auch jetzt noch nicht, was wir für Mängel gesehen haben), wie das bei euch ablaufen würde (oder, wenn es bei euch nicht gemacht wird, wie es ablaufen sollte)
    1. wenn ihr eine Infusion für einen zentralvenösen Zugang richtet und
    2. wenn ein liegender Port angestochen wird (mit Blutentnahme und Anschließen der Infusion), damit ich einschätzen kann, ob wir das vielleicht "zu streng" sehen
  2. Wenn ihr sicher wärt, dass ein Hygienefehler vorliegt, würdet ihr jetzt morgen nochmal mit dem Arzt sprechen deswegen? Oder nicht (aus o.g. Gründen)?
Vielen Dank schonmal im Voraus für eure Antworten!
 
Ich beobachte eigentlich jeden Tag jemand bei etwas was nicht unserem Hygienestandard entspricht. Ob Pflege oder Ärzte, völlig egal. Ich sage nur dann vorsichtig und nett etwas, wenn wirklich eine klare und relevante(!) Patientengefährdung vorliegt, und die Gefahr besteht, dass sich der Fehler wiederholt.

Für Port gibt es zwischen verschiedenen Häusern und verschiedenen Stationen stark unterschiedliche Richtlinien, weshalb ich da mit einem Vorwurf vorsichtig wäre. Mindeststandard sollten keimarme Handschuhe, hygienische Händedesinfektion, Einhalten der Einwirkzeiten der Desinfektionsmittel, nicht mehr Nachtasten der Punktionsstelle und eine sterile Abdecken sein. Das RKI fordert zudem sterile Handschuhe, meiner Meinung nach sehr sinnvoll, aber nicht in jedem Haus Standard. Ein Lochtuch, Mundschutz bzw. chirurgische Händedesinfektion werden vom RKI nicht gefordert, sind aber je nach Haus durchaus üblich (und zum Bespiel beim neutropenen Patient sicher sinnvoll). Ich selbst steche immer mit sterilen Handschuhen, und etabliere zumindest ohne Assistenz zum sterilen Anreichen auch immer ein steriles Feld für die Materialen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der Tragweite (möglicher Portinfekt, Kind) wegen würde ich das auf jeden Fall ansprechen! Die RKI-Vorgaben sind indiskutabel und als Mindeststandard zu verstehen.
"Ansprechen" heist nicht "Vorwurf" sondern ist konstruktive Kritik und die sollte/kann von jedem angenommen werden. Wenn Arzt komisch reagiert, ist das seine Sache. Aber wenn er einen Infekt auf Grund schlechter/falscher Portmanipulation verursacht und ihr nix sagt, habt ihr zumindest eine moralische Mitverantwortung!
 
Mindeststandard sollten keimarme Handschuhe, hygienische Händedesinfektion, Einhalten der Einwirkzeiten der Desinfektionsmittel, nicht mehr Nachtasten der Punktionsstelle und eine sterile Abdecken sein.
Gut, diese Mindestbedingungen waren erfüllt, wobei die sterile Abdeckung der liegenden Nadel - na ja, sagen wir mal - relativ war, weil der Arzt die Materialien nicht steril von mir angenommen hat, sondern die Handschuhe schon unsteril (aber sicherlich noch keimarm) waren, als er das Material berührt hat.

Das RKI fordert zudem sterile Handschuhe
Die haben wir verwendet, aber nach wenigen Arbeitsschritten waren sie eben nicht mehr steril, weil er unsteriles Material angefasst hat, statt es sich steril anreichen zu lassen.

Ein Lochtuch, Mundschutz bzw. chirurgische Händedesinfektion werden vom RKI nicht gefordert, sind aber je nach Haus durchaus üblich
Dass kein Mundschutz gefordert wird, finde ich ehrlich gesagt erschreckend. Wir arbeiten ja doch (zumindest bei unseren Kleinen) sehr nah an einem Bereich, der einen unmittelbaren Zugang zu zentralen Gefäßen darstellt. Zu unserem Hausstandard gehört der Mundschutz auf jeden Fall. Die chirurgische Händedesinfektion nicht, hier wird nur eine hygienische Händedesinfektion sowie das Tragen steriler Handschuhe gefordert. Unser Hausstandard sieht außerdem das Tragen eines frischen Schutzkittels vor. Es muss kein steriler Kittel sein, nur ein Schutzkittel, der eine gewisse Barriere zwischen der möglicherweise kontaminierten Dienstkleidung und dem unmittelbaren "Arbeitsbereich" darstellt. Wir nehmen dafür einfach die Iso-Kittel. Allerdings hat der besagte Arzt den bereitgelegten Kittel gar nicht angezogen.

ein steriles Feld für die Materialen.
Davon waren wir leider meilenweit entfernt, und das war das, was ich eigentlich fast am schlimmsten fand. Meine Kollegin und ich hatten eine adäquate Ablagefläche vorbereitet. Die Fläche selbst war nicht steril, sondern es war die freigeräumte und frisch desinfizierte Ablagefläche des im Zimmer befindlichen Pflegewagens. Die vorbereiteten sterilen Materialien (also durchgespülte Portnadel sowie durchgespültes Infusionssystem) waren in ein steriles Tuch verpackt. Wir haben vor der Maßnahme also die Fläche desinfiziert und die Materialien darauf bereitgelegt. Und dann kam der Arzt und hat die Sachen genommen und ins Bett gelegt. Für mich ein NO GO! Zumal das Kind eine halbe Stunde vorher in diesem Bettchen erbrochen hatte, und er das auch wusste (natürlich war die schmutzige Bettwäsche ausgetauscht, aber trotzdem...).

wenn wirklich eine klare und relevante(!) Patientengefährdung vorliegt,
Das ist meines Erachtens der Fall. Bei unzureichender Hygiene beim Anstechen eines Ports ist das Infektionsrisiko hoch, und das bei einem Kleinkind unter Chemotherapie...

und die Gefahr besteht, dass sich der Fehler wiederholt.
Das ist nämlich die Crux. Wie gesagt ist der nicht mehr lange bei uns, und daher ist es unwahrscheinlich, dass er den Port nochmal anstechen wird. Vielleicht in einer zukünftigen Klinik aber schon. Aber... Ist das dann noch "mein Problem"? Eigentlich geht es mich ja dann nichts mehr an. Aber andererseits wünsche ich seinen zukünftigen kleinen Patienten auch keine Portinfektion.
 
Zuletzt bearbeitet:
Und was natürlich auch schwierig ist...
Wir kennen alle den Hausstandard, und meine Kollegin und ich haben ihn halt auch sehr streng ausgelegt. Das heißt, wir haben selbst die Vorbereitung der Infusion schon zu zweit gemacht ("einer steril, einer unsteril", aber beide mit Kittel und Mundschutz), da wir keinen Laminar haben und daher die sterilen Materialien nicht vorher öffnen und auf einer sterilen Unterlage bereitlegen wollten (das machen wir nur, wenn es überhaupt gar keine Möglichkeit gibt, zu zweit aufzuziehen). Die Grundregel ist halt immer "so steril wie irgendwie möglich". Streng genommen hat er gegen die (in meinen Augen viel zu großzügigen) Regeln des RKI nicht verstoßen, gegen unseren Hausstandard aber schon.

Aber ich denke, @matras hat Recht, und das Ganze sollte sachlich und konstruktiv thematisiert werden. Ich bin mir sicher, dass auch einige pflegerische Kollegen nicht ganz sicher dabei sind, da wir es nicht ganz so häufig durchführen. Ich selbst musste ja auch nochmal gut nachdenken und auch auf der ausgehängten "Anleitung" nachlesen. Vielleicht können wir ja einfach eine Art "Fortbildung" oder "Auffrischung" für alle anbieten, so dass niemand das Gefühl haben muss, dass er der Einzige ist, der es nicht kann. So was machen wir öfter bei Dingen, die eine Zeit lang wenig benötigt wurden, dann aber wieder regelmäßig durchgeführt werden, damit alle dabei sicher sind. Vielleicht bespreche ich mal mit meiner Kollegin, ob wir das unserer Stationsleitung vorschlagen sollen. Wir können ja immer noch als Aufhänger nehmen, dass wir uns dabei nicht sicher gefühlt haben...:gruebel:
 
Die Grundregel ist halt immer "so steril wie irgendwie möglich".
Versteh ich nicht: entweder ist Material steril, oder es ist es nicht.
Streng genommen hat er gegen die (in meinen Augen viel zu großzügigen) Regeln des RKI nicht verstoßen, gegen unseren Hausstandard aber schon.
Ich gebe zu bedenken, dass die Regelungen des RKI im Gegensatz zu Deinem Augenmaß auf wissenschaftlichen Untersuchungen fußen. An einen Hausstandard müsst Ihr Euch halten - Eure eigenen Augenmaßregeln könnte man möglicherweise, wenn sie den Standard nochmals übertrumpfen wollen, als unnötig übertrieben und unwirtschaftlich ablehnen.

Eine sterile Unterlage auf ein Bett zu legen, um den Weg des sterilen Materials durch die Luft möglich kurz zu halten, ist z.B. bei der Katheterpflege Usus, bei vielen Verbandswechseln oder z.B. bei uns beim Durchspülen von Drainagen. Warum soll das bei der Portpunktion nicht gestattet sein? Die Keime können nicht durch die sterile Unterlage hindurch diffundieren.

Ansprechen, ganz klar, aber mit Berufung auf verbindliche, nachvollziehbare Richtlinien, nicht auf "Bauchgefühl".
 
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Darauf könnte ich jetzt sehr ausführlich eingehen, aber da der größte Teil davon in Bezug auf den Ausgangsthread off topic wäre, lasse ich das...

Tatsache ist, dass die von uns angewandte Vorgehensweise dem Standard entsprach. "Streng ausgelegt" bezog sich lediglich darauf, dass wir die Vorbereitung zu zweit durchgeführt haben, weil es dann einfach sauberer und trotzdem zügiger geht.
Mit "Augenmaß" oder "Bauchgefühl" hat das absolut gar nichts zu tun, und mit "übertrumpfen" schon mal gar nicht!

Nur eine ganz dumme Hygienefrage, die mir in den Kopf kommt, wenn ich diese beiden Sätze lese:
Ich gebe zu bedenken, dass die Regelungen des RKI im Gegensatz zu Deinem Augenmaß auf wissenschaftlichen Untersuchungen fußen.
Eine sterile Unterlage auf ein Bett zu legen, um den Weg des sterilen Materials durch die Luft möglich kurz zu halten, ist z.B. bei der Katheterpflege Usus, bei vielen Verbandswechseln oder z.B. bei uns beim Durchspülen von Drainagen.
Dem ersten Zitat ist zu entnehmen, dass ein Mundschutz übertrieben und überflüssig ist, da er vom RKI nicht gefordert wird. (Die Studie würde ich zwar gerne mal sehen, aber das ist zu weit off topic). Also wird die Kontaminationsgefahr der Ausatemluft offenbar als gering angesehen. Dem zweiten Zitat ist zu entnehmen, dass von der Luft eine Kontaminationsgefahr ausgeht, so dass man "den Weg des sterilen Materials durch die Luft möglichst kurz halten" muss. Daraus ergibt sich für mich die ganz blöde Frage:
Warum ist der Kontakt des sterilen Materials mit der Umgebungsluft schlimmer als der mit der Ausatemluft???
Das würde ja logisch geschlussfolgert bedeuten, dass die Keimlast in der Umgebungsluft höher ist als in der Ausatemluft. Und das ist ja wohl nicht der Fall. Sonst bräuchte man doch nie einen Mundschutz. Wie soll ich mir das jetzt erklären?
 
Ach so, vergessen:
Versteh ich nicht: entweder ist Material steril, oder es ist es nicht.
Das war so gemeint, dass steriles Material unsteril werden kann. Und wenn man nicht die perfekten Bedingungen hat (Reinraum mit Laminar, steriler Fläche und steriler Kleidung etc.) wird es das auch zwangsläufig. Mit der Grundregel "so steril wie möglich" ist gemeint, die Kontaminationsgefahr so gering wie möglich zu halten, z.B. indem man das Ende des Infusionssystems nicht "einfach irgendwo ablegt", sondern auf eine sterile Fläche, was auch einfach die von innen sterile Verpackung sein kann, sofern diese nicht dazwischen kontaminiert wurde.
 
Das RKI geht auf die Punktion von Portsystemen gar nicht ein, sondern verweist auf die Vorgaben der onkologischen Fachgesellschaften. Diese wiederum geben den Gebrauch von Mund-Nasenschutz auch nicht vor.
Das bedeutet aber nur, dass diese im Normalfall als verzichtbar gelten! In Fällen in denen z.B. gesprochen werden muss (Anleitesituationen), akuten respiratorischer Infekt des Durchführenden oder eben auch bei Maßnahmen an Kinderportsystemen kann natürlich ein Mund-Nasenschutz angezeigt sein!
Die Vorgaben sind immer als unterste Richtlatte zu verstehen. Mehr und besser geht immer, ist aber auf Grund von Studienergebnissen in der Regel nicht nötig!
 
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Und was natürlich auch schwierig ist...
Wir kennen alle den Hausstandard, und meine Kollegin und ich haben ihn halt auch sehr streng ausgelegt. Das heißt, wir haben selbst die Vorbereitung der Infusion schon zu zweit gemacht ("einer steril, einer unsteril", aber beide mit Kittel und Mundschutz), da wir keinen Laminar haben und daher die sterilen Materialien nicht vorher öffnen und auf einer sterilen Unterlage bereitlegen wollten (das machen wir nur, wenn es überhaupt gar keine Möglichkeit gibt, zu zweit aufzuziehen). Die Grundregel ist halt immer "so steril wie irgendwie möglich". Streng genommen hat er gegen die (in meinen Augen viel zu großzügigen) Regeln des RKI nicht verstoßen, gegen unseren Hausstandard aber schon.

Aber ich denke, @matras hat Recht, und das Ganze sollte sachlich und konstruktiv thematisiert werden. Ich bin mir sicher, dass auch einige pflegerische Kollegen nicht ganz sicher dabei sind, da wir es nicht ganz so häufig durchführen. Ich selbst musste ja auch nochmal gut nachdenken und auch auf der ausgehängten "Anleitung" nachlesen. Vielleicht können wir ja einfach eine Art "Fortbildung" oder "Auffrischung" für alle anbieten, so dass niemand das Gefühl haben muss, dass er der Einzige ist, der es nicht kann. So was machen wir öfter bei Dingen, die eine Zeit lang wenig benötigt wurden, dann aber wieder regelmäßig durchgeführt werden, damit alle dabei sicher sind. Vielleicht bespreche ich mal mit meiner Kollegin, ob wir das unserer Stationsleitung vorschlagen sollen. Wir können ja immer noch als Aufhänger nehmen, dass wir uns dabei nicht sicher gefühlt haben...:gruebel:


Die strengeren Hausstandards sind Arbeitsanweisungen, an die man sich zu halten hat. Eventuell hat er er aber nicht mit Absicht die Standards ignoriert. Eventuell ist er für einen Hinweis dankbar.
 
Es ist egal ob mit oder ohne Absicht unrichtig gehandelt wurde, bei Gefährdung muss interveniert werden....ob dankbar oder nicht!
 
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Reaktionen: Martin H.
Ich habe nicht geschrieben, dass man den Arzt nicht draufhinweisen sollte, wenn keine Absicht hinter seinem Fehlverhalten steckt. Ich habe auch nicht geschrieben, dass man nur auf Fehler aufmerksam machen sollte, wenn der Gegenüber dankbar dafür ist.
 
Also hier das Feedback:
Ich habe mich mit meiner Kollegin, die dabei war abgestimmt. Ich habe heute mit meiner Stationsleitung gesprochen, dass ich mich in der Situation nicht 100%ig sicher gefühlt habe, weil der Arzt einige Dinge anders gemacht hat als ich es im Hausstandard gelesen habe. In diesem Zuge habe ich angeregt, nochmal eine kurze Schulung für alle Schwestern und Ärzte zu organisieren, in der das Procedere nochmal kurz besprochen werden kann und die sehr kurz gehaltenen Anweisungen des Hausstandards "mit Inhalt gefüllt werden". Eine solche Schulung wird es jetzt nächste Woche geben, verbindlich für alle, die im Dienst sind, freiwillig für alle anderen, Teilnahme wird als Arbeitszeit gerechnet (für die, die aus dem Frei kommen, die anderen sind ja eh da). Das Gespräch mit dem Arzt hat sie dann für uns übernommen, um uns "aus der Schusslinie" zu halten, ist aber wohl ganz gut gelaufen.
 
erwähnt, aber nicht explizit drauf eingegangen. Es geht um die Herstellerangaben etc. aber nicht um das handeln der Portpunktion....
;-)
 
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