Genereller Umgang mit psychiatrischen Patienten - Nähe und Distanz

Paula Puschel

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30.03.2007
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843
Ort
Bonn
Beruf
Exam. Gesundheits- u. Krankenpflegerin, Medizinstudentin
Akt. Einsatzbereich
Psychiatrie
Hallo zusammen!

Ich arbeite jetzt seit etwa einer Woche in der Psychiatrie, also noch ganz frisch und neu alles ;)
Ich habe davor auf ner Intensivstation gearbeitet, daher bin ich einen teilweise anderen Umgang mit Patienten gewohnt.
Wünsche der Patienten habe ich bisher immer versucht nach Möglichkeit zu erfüllen.
Wenn jemand keinen Besuch bekommen hat und sich furchtbar gelangweilt hat, dann habe ich auch schonmal eine Zeitschrift für diesen Patienten organisiert oder auch gegebenfalls eine gekauft, oder Rätsel im Internet ausgedruckt und sowas.
In der Psychiatrie ist es ja häufig so dass Patienten "begrenzt" werden, dass ich sie ganz anders wahr nehme und ihre Beschwerden teils ernster nehme, als die erfahrenen Kollegen.
Hinterher erfahre ich dann, dass ein Patient genau dieselben Beschwerden immer in der Visite hat, von denen ich meinen Kollegen ganz aufgelöst erzähle ;)

Nun zu meiner eigentlichen Frage:
Eine Borderline-Patientin arbeitet zur Zeit an ihren Skills. Sie möchte gern Chilischoten ausprobieren, das Lebensmittelgeschäft in der Nähe der Klinik führt diese aber nicht.
Sie hat mich nicht um etwas gebeten, aber ich habe - ohne vorher darüber nachzudenken - angeboten, dass ich beim sowieso zu erledigenden Einkauf in einem anderen Geschäft ja mal gucken könnte, ob es dort Chilischoten gibt.

Nun im Nachhinein gehen mir allerhand Gedanken dazu durch den Kopf. Ist das in Ordnung einer Patientin so eine Hilfe anzubieten, oder überschreite ich damit irgendwelche Grenzen?
Ich möchte nicht von der Patient "auf ihre Seite gezogen" werden, ich wollte in dem Moment nur nett sein.

Ich kann natürlich auch die Kollegen morgen fragen, aber irgendwie ist mir die ganze Situation peinlich :(
Nachher habe ich irgendwas total falsches gemacht.
Anlügen und der Patientin sagen, es gäbe kein Chili möchte ich eigtl auch nicht, was macht das denn für ein Bild von mir...?
Vllt hat ja jemand von euch ne Idee ;)
Danke,
Paula
 
Hallo, Paula Puschel,

sich dieser Fragen und Probleme bewußt zu sein, ist schon mal ein guter Start. Was diese Sache mit den Chilischoten angeht, ich würde sie der Patientin geben und gut is. Sollte sie jetzt verstärkt auf dich zugehen und du fühlst dich manipuliert, dann kannst dus immer noch begrenzen, es ist ja nix passiert.
Aber das sollte ein Denkanstoß sein und war es ja auch. Welche Aspekte unserer eigenen Persönlichkeit weisen sozusagen dysfunktionale Muster auf, die im Zusammenleben mit anderen Irritationen entstehen lassen und das meine ich nicht nur im beruflichen Zusammenhang. Davon habe zum Beispiel ich sehr profitiert, nachdem ich im Laufe meines Praktikums einen größeren Fehler begangen hatte, der beinahe zum Abbruch desselben geführt hatte. Nimm es zum Anlaß, darüber nachzudenken, welche "Rollen" du im Leben spielst und wie diese Rollen Reaktionen bei deinen Gegenüber erzeugen.
Aber Fakt ist auch, wir sind Menschen und keine psychologischen Lehrbücher und manchmal muß man sich auch entscheiden, was jetzt menschlich notwendig und vielleicht nicht regelkonform ist.
Ich glaube, du hörst dich so an, als wärst du auf einem guten Weg.
Viel Spaß und Erfolg noch,
Marty
 
Gibt es net ein gemeinsames Therapieprogramm für diese Patientenklientel an die man sich halten kann? Und wie schaut es aus mit Teambesprechungen, wo man solche Fragen klären kann?

Btw. ich glaube net, dass das Besorgen von Chilli ein großes Problem darstellt. Es wäre für das Therapeutenteam vielleicht hilfreich zu wissen, dass die Pat. dieses Mittel net einfach mal so bekommen können im naheliegenden Laden. Vielleicht kommt man ja auf die Idee, dass auf Station vorrätig zu halten um solche Situationen zu vermeiden.

Elisabeth
 
Hallo Paula.

Eine Borderline-Patientin arbeitet zur Zeit an ihren Skills. Sie möchte gern Chilischoten ausprobieren, das Lebensmittelgeschäft in der Nähe der Klinik führt diese aber nicht.

Was bedeutet das?

Grüsse
 
Ist ja interessant, auch ich arbeite auf der Intensiv und überlege in die Psychiatrie zu wechseln.:deal: Mit der Chilischote ist das so, wenn ich sowieso einkaufen gehe kann ich sie ihr ja auch mitbringen, und das würde ich auch auf eine Situation begrenzen. Wie steht es generell damit, für die Patienten was zu kaufen oder so?
Ich weiß, eine Freundin von mir hat lange auf Sucht gearbeitet, da war es streng verboten, für die Patienten irgendwas mitzubringen/zu kaufen, warum genau weiß ich aber nicht.
 
Sie hat mich nicht um etwas gebeten, aber ich habe - ohne vorher darüber nachzudenken - angeboten, dass ich beim sowieso zu erledigenden Einkauf in einem anderen Geschäft ja mal gucken könnte, ob es dort Chilischoten gibt.


Ich erkenne hier auch mein früheres Ich, das noch vorhanden, aber durchaus modifiziert ist.
Der große Kümmerer, der Probleme löst, bevor sie noch ausgesprochen sind, die breite Schulter, an der sich jeder anlehnen kann, der Kontrollierer, der für Struktur und Ordnung sorgt.
Der selbst seine Probleme damit im Griff hat, wenn er überhaupt welche hat, denn meistens hat er keine.
Und damit oft das Gegenüber pampert, aber verhindert, das es sich aus der Deckung traut und aktiv wird.
Wenn man es böse ausdrücken will, ist es eine Bevormundung und übergriffig. (Letzteres Wort hasse ich wie die Pest, muß es aber benutzen.)
In diesem speziellen Fall würde ich die Chillies kaufen, denn ich habe es gesagt und wortbrüchig würde ich nicht werden, aber ab dann würde ich jegliche Dinge dieser Art vermeiden.
Ist ein Prozeß, ihn zu gehen lohnt sich aber, siehe die dysfunktionalen Muster in meinem ersten Post.
Spannend das Leben.
Das war das Wort zum Donnerstag.:mryellow:
Gruß, Marty
 
Danke für die zahlreichen Antworten.
Danke Marty, das entspricht auch genau meinem Gefühl, was du schreibst. Ich habe den "Fehler" direkt bemerkt, nachdem ich ihn begangen habe, das ist ja immerhin etwas.
Ich hab das auch mit meinen Kollegen thematisiert, es war keiner dabei dem das nicht auch schonmal passiert ist.
In Zukunft bin ich in der Beziehung, bzw in Beziehung auf mich und meine "Angewohnheit" helfen zu wollen, sensibilisiert, und hoffe dass ich besser damit umgehen kann.
Stichwort Hilfe zur Selbsthilfe.
Danke nochmal, das hat mir sehr weiter geholfen!
 
hallo

gerade bei Borderline wäre ich da heute sehr vorsichtig, aus einer ebenso dummen Hilfesituation heraus (ich habe die Patientin nur ein bißchen beschäftigt bis die Mutter sie abholte)

da kam ein halbes Jahr echter Terror bei rum, mit Körperverletzung, Hausfriedensbruch, ständige Polizeieinsätze am Arbeitsplatz, Einruch usw.

gerade in der Psychiatrie ist eine ständige gewisse Distanz sehr wichtig

viele Grüsse
Bully
 
Bully warum hat das alles stattgefunden?
 
Hallo, Paula Puschel,
find ich total spannend. Weißt du, ich bin manch...meistens neugierig wie Schmidts Katze. Deshalb noch ein paar Fragen. Warst du lange auf Intensiv, vermißt du´s schon und was studierst du denn?
Jedenfalls find ich deinen Umstieg spannend und deine Auseinandersetzung mit dem Neuen erst recht und sympathisch dazu.

Gruß, Marty
 
Also ich arbeite jetzt seit 7 Jahren in der Psych und 5 davon war ich Akutaufnahme. Da gabs auch Borderline Pat.
Naja und ehrlich gesagt find ich das ok, wenn du ihr was mitbringen willst, was sie dir dann zahlt. Ist doch keine Grenzüberschreitung! Es wäre eine von ihr, wenn sie dir beim nächsten mal mit ner Einkaufsliste kommt. Aber dann sagst du wahrscheinlich von ganz alleine stop, nehm ich mal an. Also keine Panik. Das Gefühl für die Pat. hat man auch nicht sofort aber das kommt in der Regel. Aber gut das du nachdenkst. Das heißt dann wohl das du eine Verantwortungsvolle Schwester bist:)
 
Hallo, Paula Puschel,
find ich total spannend. Weißt du, ich bin manch...meistens neugierig wie Schmidts Katze. Deshalb noch ein paar Fragen. Warst du lange auf Intensiv, vermißt du´s schon und was studierst du denn?
Jedenfalls find ich deinen Umstieg spannend und deine Auseinandersetzung mit dem Neuen erst recht und sympathisch dazu.

Gruß, Marty

Hallo Marty,

neugierig sein find ich okay, bin ich auch ;)
Ich hab zwei Jahre auf ner kardiochirurgischen ITS gearbeitet (also nicht sooo extrem lang), habe gleich nach meinem Examen dort angefangen.
Und jaaaa, ich vermisse manche Dinge schon, aber andererseits ist der neue Job so spannend und auch herausfordernd, das ich wenig an die alte Arbeit denke.
Ich bin jetzt zwar erst seit zwei Wochen dort, aber ich hab das Gefühl dass ich allein menschlich und persönlich schon so viel dazu gelernt habe... Das ist wahnsinnig spannend.
Ich hab ein viel niederigeres Anspannungsniveau, man kann sich mal ganz normal mit Patienten unterhalten, und mir geht es persönlich auch viel besser!
Ich hoffe dass das weiter so bleibt, aber ich hab den Elan ganz viel zu lernen, und meine Kollegen sind wahnsinnig nett und hilfsbereit und auch nachsichtig mit mir ;)
Gerade weil ich aus so einem stressigen Bereich komme.

Nebenbei studier ich an der Fernuni Hagen Psychologie (B.Sc.) in Teilzeit, quasi als Hobby in meiner Freizeit. Das habe ich vor etwa einem Jahr begonnen, habe zwei Module bereits bestanden und bin (endlich!) im 2. Fachsemester. Ob ich in die Richtung später beruflich was machen will - ehrlich gesagt keine Ahnung. Im Moment wüsste ich viele Dinge, die mich interessieren. Aber ich hab das Gefühl dass mir auch die Sachen, die ich bis jetzt im Studium gelernt habe und vor allem die, die ich gerade lerne (mache momentan Allgemeine und Biologische Psychologie) auch in der Psychiatrie total viel bringen.
Ich hab in deinem Profil gelesen dass du selbst Psychologin bist, daher verstehst du ja sicher, was ich meine.
So, genug von mir, falls noch mehr Fragen bestehen, immer her damit.
Ansonsten werde ich auch gerne weiter aus dem Verlauf erzählen, wie es mir als Intensivtante in der Psychiatrie ergeht.
Gruß und schönes Wochenende,
Paula

*Edit: Achso, ich hab übrigens wegen der Chilis mit der Patientin geredet, ich habe ihr erklärt dass ich darüber nachgedacht habe, und dass ich denke, dass sie es schafft sich die Chilis allein zu besorgen. Also dass ich mein Angebot nicht vergessen hatte, sondern quasi die Einsicht hatte dass es besser für sie wäre, wenn ich ihr nicht bei etwas unter die Arme greife, was ich ihr eigentlich selber zutraue. Sie hat das auch total positiv aufgenommen und ist übers Wochenende zu Hause, da bin ich mal gespannt ob sie mit Chilis zurückkehrt!
 
Ich fände es gut wenn gerade auf Akut-Stationen sogenannte Skills-Koffer geben würde.

Zwar sind viele Akut-Stationen mit einer Grundausstattung ausgestattet,
aber dennoch wäre eine Schulung diesbezüglich vielleicht auch angebracht.

Ich habe es desöfteren auch erlebt das viele Pflegekräfte gar nicht wissen was Skills sind bzw. so Skills wie Chilli und Co. mit sich selbstverletzen wollen gleichsetzen.

Wo ich mir dann auch dachte: ''Ja wie etz?''

Aber meine Erlebnisse lassen sich - denke ich - auch nicht verallgemeinern.

Aber es ist schon erstaunlich, dass selbst auf der Stationen oftmals solche Unstimmigkeiten herrschen.

Das ist jetzt keine Beleidigung - sondern eine Feststellung!
 
Ich finde das auch schade, lolobea.
Wir geben den Patienten Listen mit möglichen Skills, geben ihnen aber nur wenig Möglichkeiten diese bei uns direkt auszuprobieren.
Gummibänder zum Flitschen haben wir da, aber Ammoniak-Ampullen zB können wir nichtmal in der Apotheke bestellen, und Chilischoten gibt es im nahegelegen Supermarkt nicht. Ganz zu schweigen von Patienten die die Station nicht verlassen sollen (wir sind eine offene Akutpsychiatrie), die aber den Drang haben sich zu verletzen.
Die kriegen dann Tavor, weil sie keine Möglichkeit hatten Skills auszuprobieren.
Naja, bei uns ist vieles im Wandel, meine Stationsleitung hat viele Ideen und ich denke in Zukunft wird sich einiges ändern, vllt auch das! :)
 
He, Paula,

ich lass das Puschel mal weg, obwohl natürlich der gesamte Nick cool klingt, das hab ich nun davon. Hier ist seit drei Tagen die Rede von Chillies, na, lange Rede, kurzer Sinn, grade komme ich vom Einkaufen und warum bin ich wohl hauptsächlich dahin gegangen? Rischtisch, rot und grün, scharf und oberlecker. Wenn ich hier fertig bin mit Schreiben, dann geh ich in die Küche und wenn ich fertig bin, ist die Oberlippe mitsamt Pharynx etwas ertaubt...:sdreiertanzs:
Das du mit der Patientin geredet hast, find ich sehr cool.
Was dein Studium betrifft, na, was soll ich sagen, ist es nicht spannend und toll, wobei es natürlich auch Aspekte gab wie Statistik oder so, da mußte ich mich durchquälen. Die eigentliche Spezialisierung, wenn es denn die Klinik sein soll, erfolgt ja viel später.
Erstaunlicherweise, ich hätte dich nämlich älter eingeschätzt, scheinst du noch ein junger Hüpfer zu sein.:D Sei bloß froh.
Na, da wünsch ich dir aber viel Freude am Studium und an der Arbeit und freu mich immer, dich zu lesen.
Bis bald mal,
Marty
 
Hihi, ja das stimmt Marty, ich bin junge 24 Jahre alt ;) Aber schön wenn ich hier älter wirke, denn im Krankenhaus fragen mich die Patienten immer wann ich denn fertig mit der Ausbildung sei... ;)
Das Studium finde ich super, klar ist es treckenweise langweilig, aber das ist wohl immer so im Leben. Auch Statistik fand ich okay, hab da auch ganz gut bestanden, auch wenn ich jetzt nix mehr kann...
Ob ich Klinische Psychologie machen will - ich denke nicht. Ich studier ja in Hagen an der FU, da gibts keine Klinische, ich müsste also an eine Präsenzuni wechseln, möchte aber erstmal lieber arbeiten.
Aber es kann viel passieren im Leben, da muss man immer offen bleiben :)
 
hallo
@aquarius 2 war einfach nur dumm gelaufen, abends in der Ambulanz, junges Mädel, so zwanzig, Schnittverletzungen an den Armen, wir haben sie versorgt und die Mutter zwecks Abholung angerufen, da das Mädel bereits ambulant in psychiatrischer behandlung war ......

ich sollte sie ein wenig im Auge behalten, damit sie nicht nochmal Dummheiten macht

also ein bißchen smalltalk, wirklich nur smalltalk, da ich auch eigentlich für diese Form der "Schnitzereien" kein Verständnis habe

aber ab da begann ca. ein halbes Jahr totaler Terror, sie hatte sich in mich verliebt und wollte immer zu mir, ich hab sehr schnell den Braten gerochen und bin in der totalen Versenkung verschwunden ........ war eben nicht da

sonst wäre es alles noch viel schlimmer geworden

die Arbeitszeiten waren toll, nur mit Kontrolle, weg vom Fenster, weg von den Türen, raus nur mit vorheriger Kontrolle durch jemand anders oder mit Begleitung ........... jeden zweiten Tag Polizei im Hause

wenn ich es nicht selber erlebt hätte, würde ich nicht glauben das es soetwas in einem normalen KH gibt

viele Grüsse
Bully
 

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