Kurt Marti
Dorfgeschichten 1960
Zürich, Stuttgart: Flamberg, 1965
Er hatte eine Bretterwand gebaut. Die Bretterwand entfernte die Fabrik
aus seinenem häuslichen Blickkreis.
Er hasste die Fabrik. Er hasste die Maschine, an der er arbeitete.
Er hasste das Temo der Maschine, die er selbst beschleunigte.
Er hasste die Hetze nach Akkordprämien, durch welche er zu einigen
Wohlstand, zu Haus und Gärtchen kam.
Er hasste seine Frau, sooft sie ihm sagte, heute nacht hast du wieder
gezuckt. Er hasste sie, bis sie es nicht mehr erwähnte.
Aber die Hände zuckten weiter im Schlaf, zuckten im schnellen Stakkato
der Arbeit.
Er hasste den Arzt, der ihm sagte, sie müssen sich schonen, Akkord ist nichts mehr für sie.
Er hasste den Meister, der ihm sagte, ich gebe dir eine andere Arbeit,
Akkord ist nichts mehr für dich.
Er hasste soviele verlogene Rücksicht, er wollte kein Greis sein, er wollte
keinen kleineren Zahltag, denn immer war das die Hinterseite von soviel
Rücksicht, ein kleinerer Zahltag.
Dann wurde er krank, nach vierzig Jahren Arbeit und Hass zum erstenmal krank.
Er lag im Bett und blickte zum Fenster hinaus. Er sah sein Gärtchen, er sah
den Abschluss seines Gärtchens, die Bretterwand. Weiter sah er nicht, nur den Frühling im Gärtchen und eine Wand aus gebeizten Brettern.
Bald kannst du wieder hinaus, sagte die Frau, es steht jetzt alles in Blust.
Er glaubte ihr nicht. Geduld, nur Geduld, sagte der Arzt, es kommt schon wieder. Er glaubte ihm nicht. Es ist ein Elend, sagte er nach drei Wochen zu seiner Frau. Ich sehe nur das Gärtchen, nehmt einmal zwei Bretter aus der verdammten Wand, damit ich was anderes sehe. Die Frau erschrak.
Sie lief zum Nachbarn. Der Nachbar kam und löste zwei Bretter aus der Wand. Der Kranke sah durch die Lücke hindurch, sah einen Teil der Fabrik.
Nach einer Woche beklagte er sich, ich sehe immer nur das gleiche Stück Fabrik, das lenkt mich zuwenig ab.
Der Nachbar kam und legte die Bretterwand zur Hälfte nieder. Zärtlich ruhte der Blick des Kranken auf seine Fabrik, er verfolgte das Spiel des Rauches
über dem Schlot, das Ein und Aus der Autos im Hof.
Nach 14 Tagen befahl er, die stehengebliebene Hälfte der Wand zu entfernen.
Ich sehe unsere Büros nie und auch die Kantine nicht, beklagte er sich.
Der Nachbar kam und tat, wie er wünschte. Als er die Büros sah, die Kantine und das gesamte Fabrikareal, entspannte ein Lächeln die Züge
des Kranken. Er starb nach einigen Tagen.