Pflegebedarf

Elisabeth Dinse

Poweruser
Registriert
29.05.2002
Beiträge
19.809
Beruf
Krankenschwester, Fachkrankenschwester A/I, Praxisbegleiter Basale Stimulation
Akt. Einsatzbereich
Intensivüberwachung
Seit Monaten wird an einer neuen Begriffsbestimmung gearbeitet. Wie definiert der Laie den Bedarf? Wann besteht er? Und wie teuer darf es werden?

Elisabeth
 
Hallo Elisabeth,

Ich vermute der Laie ist nicht in der Lage den Begriff präzise zu definieren. Dies ist eigentlich die Aufgabe der professionel Pflegenden.
Was aber der Laie entscheidet ist ein "gesellschaftlicher Auftrag". Warum gehen Menschen zum Rechtsanwalt? Warum ruf man einen Elektriker? Welche Aufgaben hat ein Pfarrer? Ich glaube nur wenige Menschen, die Dienste dieser Menschen in Anspruch nehmen können deren Aufgabe definieren.
 
Der Pflegeprozess ist eigentlich so angedacht, dass Pflegekraft und Pflegebedürftiger und/oder Angehöriger gemeinsam Ziele festlegen und einen Maßnahmeplan erstellen. Das, was eine Pflegekraft als Problem ansieht, muss für den Betroffenen noch lange kein Problem darstellen und umgekehrt.

FAZ.NET-Frühkritik: Reinhold Beckmann - FAZ-NET-Frühkritik - FAZ

Elisabeeth
 
Der Pflegeprozess ist eigentlich so angedacht, dass Pflegekraft und Pflegebedürftiger und/oder Angehöriger gemeinsam Ziele festlegen und einen Maßnahmeplan erstellen

Leider gibt es für diese Traumvorstellung finanzielle Restriktionen. Wenn genug Geld vorhanden ist, dann kann ich wirklich alles planen, was anbegracht wäre.

So aber, kann ich mit den Pflegebedürftigen nur soviel planen, wie die Finanzen das zulassen. Pflege muß ja nunmal bezahlt werden.
 
Der Pflegeprozess ist eigentlich so angedacht, dass Pflegekraft und Pflegebedürftiger und/oder Angehöriger gemeinsam Ziele festlegen und einen Maßnahmeplan erstellen. Das, was eine Pflegekraft als Problem ansieht, muss für den Betroffenen noch lange kein Problem darstellen und umgekehrt.

FAZ.NET-Frühkritik: Reinhold Beckmann - FAZ-NET-Frühkritik - FAZ

Elisabeeth
Für mich ist es selbstverständlich, dass ich die Patienten mindestens einmal täglich frage, was sie erreichen möchten. Jedoch müssen sie den Pflegeprozess als solchen nicht erkennen. Darauf hinaus wollte ich mit dem Beispiel Anwalt. Die Definition seiner Aufgaben, sowohl seiner Begrifflichkeiten obliegt seiner Berufsgruppe nicht ihm. Das Definieren der Ziele geschieht in Zusammenarbeit mit seinem Klienten
 
Ich kann ganz viel machen... und trotzdem daneben liegen. Unter dem Aspekt Wirtschaftlichkeit ist "viel hilft viel" nicht unbedingt der richtige Ansatz.

Derjenige der eine Dienstleistung kauft, weiß in der Regel, was er vom Dienstleister erwartet. Warum darf das in der Pflege nicht so sein?

Elisabeth
 
Derjenige der eine Dienstleistung kauft, weiß in der Regel, was er vom Dienstleister erwartet. Warum darf das in der Pflege nicht so sein?

In der ambulanten Pflege ist das so.

Der Pflegebedürftige spricht ab welche Leistungen er bucht. Wir rechnen auch über Leistungskomplexe ab.
Wir beraten über a) die Notwendigkeit, weil sonst Shäden entstehen oder b) einfach nur über die Möglichkeiten dessen, was möglich ist.
Entscheidend ist letztendlich aber, was der Kunde wünscht. Ich kann also nicht bestimmen, dass jemand täglich mobilisiert wird, weil ich es aus pflegefachlicher Sicht gut finde. Wenn der Betroffene und seine Familie das nicht will, dann kann ich es auch nicht machen.


Ein Besipiel (Leistungskomplexe Niedersachsen, die sind länderverschieden)

Gebuchte Leistung "Große Pflege"
Dazu kann man auch buchen: "Kämmen und rasieren", muß man aber nicht


Man mann auch täglich "kleine Pflege" buchen, statt täglich "Große Pflege". Wenn jemand entscheidet, dass ihm das genügt, dann ist das seine freie Entscheidung.

Oder der Kunde bucht nur 2 x wöchentlich "Große Pflege" in Form von duschen. Da kann ich 5 Mal der Meinung sein, dass er aber besser 5 mal die Woche duschen sollte.

Wie das Pflegegeld umgesetzt wird, ist alleine Sache der Pflegekunden.
 
Ich definiere den Pflegebedarf über die Selbstpflegedefizite.
 
Ich definiere den Pflegebedarf über die Selbstpflegedefizite.

Das Modell von Orem ist durchaus auf jeden Menschen anwendbar, aber meiner Auffassung nach reicht oft ein Modell nicht aus, um den wahrlichen Pflegebedarf zu ermitteln. Durchaus gefällt mir das Adaptationsmodell von Roy. Ob dies allerdings vollumfassend empirisch belegt wurde? Diese Frage stellt man sich mit diesem Modell schon. Es wurde zwar ausführlich dokumentiert und auch der Pflegeprozess gibt viel Raum und Möglichkeiten. Allerdings sehe ich die Grenzen dieses Modells darin, dass man die Zeit oft garnicht dafür hat und somit wohl eher, wie das Trajectory Modell nach Corbin/Strauss , mehr auf Chronische Erkrankungen bzw. auf Langlieger (auf Intensivstationen z.B.), aber auch auf Altenheime, ambulante Pflege übertragen kann.

Eine Pflegebedarfserhebung ist wohl kaum über ein einziges Modell möglich. Es braucht darüber hinaus, nach meiner Auffassung, ein Stufensystem, was in unterschiedliche Kategorien (also z.B. Zahlen oder über ein Punktesystem) unterteilt wird und entweder anhand von Zahlen oder einem Punktesystem bewertet wird. Dies gibt es in ähnlicher Form schon für Intensivstationen.
 
Ich glaube ich verstehe jetzt was ED meint. Die Anliegen des Klienten definieren den Bedarf. Ja da gehe ich mit dir konform. Die Begriffsdefinition im Sinne eines Gesetzes durfte aber dadurch sehr schwer zu erstellen. Denn eben die Anliegen des einzelnen sind zu komplex um sie präzise und abrechnungsfähig zu beschreiben.
Für mich besteht ein großer Unterschied darin, wie ein Klient seine Pflegebedürftligkeit beschreibt und wie Pflegebedürftigkeit allgemeingültig definiert wird(auch im Sinne des Gesetzes)
 
Der Bedarf allgemein ensteht doch immer aus einem Bedürfnis heraus. Also es muss ein Mangel an knappen Gnütern vorliegen (die BWLer kriegen vermutlich grad schnappartig, aber is so lang her).
Der Kunde bzw. der Patient bestimmt, inwiefern er einen Mangel oder Defizit hat, und ob er somit auch einen Bedarf hat an einer Leistung X.

Was aber wenn eine Person, aus irgendeinen Grund eine Mangel bzw. ein Bedürfnis nicht erkennt?
 
Ich habe den Eindruck, dass wir auf dem Wege der Professionalisierung vergessen haben, dass es um die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen geht.

Btw.- auch im Krankenhaus bezahlt der Kunde die Pflege.

Elisabeth
 
Schappartig= Schnappatmung ;)


@Elisabeth Dinse
In welchem Kontext meinst du das?
Beziehst du dich auf einen konkreten Beitrag?

Das wäre sehr hilfreich zu wissen.
Ich diskutiere hier sehr gerne mit, wenn ich aber den Eindruck gewinne, es werden nur einzelne Aussagen zerpflückt, ohne Zusammenhang und man wird in eine bestimmte Ecke gedrängt, dann werde ich mich lieber wieder zurückziehen. Mir fällt es manchmal schwer, deine Wir- und Uns-Aussagen auch einzuordnen.
 
Ich bezieh mich hier nicht konkret auf einen Beitrag. Mich hat die Talkrunde bei Beckmann und dort die Aussage von Jens Spahn zum nachdenken gebracht. Fussek besteht auf eine generelle Unterversorgung. Es scheint, als wenn er sich in letzter Zeit hier vor allem auf Aussagen von Pflegekräften bezieht. Dagegen stehen aber die Erfahrungen vieler Kollegen in gut geführten Einrichtungen. Dort wird man den Bedürfnissen der Bewohner durchaus gerecht.


Im psychosozialen Bereich kann die Arbeit von Laien gelegentlich ähnlich erfolgreich sein wie die professioneller Helfer. (vgl. Müller-Kohlenberg, 1988 ). Wenn sich Anbieter sozialer Dienstleistungen auf dem Berufsmarkt professionalisieren wollen, versuchen sie deshalb, sich möglichst schnell ein Monopol auf ihre Tätigkeit zu sichern, Konkurrenz durch andere Berufsgruppen zu vermeiden und die alleinige Kompetenz für ihr Fachgebiet zu beanspruchen.
...
Professionelle proklamieren damit ein exklusives Wissen für sich und schaffen bzw. beabsichtigen im Prozeß der Professionalisierung eine abnehmende Klienten- oder Laienkontrolle ihres Handelns. Das erweist sich besonders dann als schwierig, wenn sich die Kompetenz der Profession auf alltägliche Sachverhalte bezieht und wenig standardisierten Regeln unterliegt, d. h. interpretationsbedürftig ist.
...
Professionelles Handeln als Mittel zur Bewältigung des Theorie-Praxis-Problems in der Krankenpflege http://d-nb.info/971801053/34

Beispiel: Wie oft muss man sich waschen? Mehr als einen Tag keine Körperpflege geht gar nicht. Ich erinnere mich an einen Pat., der hat 3 Tage hintereinander jegliche Wäsche verweigert. Am vierten Tag war er soweit hergestellt, dass er wieder selbst ins Bad gehen konnte. Er hat das selbständige Duschen genossen.

Und wenn ich mich auf Beiträge beziehen muss... dann fallen mir die ein, in denen es darum geht, dass der schwierige Pat. die professionell festgestellten notwendigen Maßnahmen verweigert.

Elisabeth
 
Beispiel: Wie oft muss man sich waschen? Mehr als einen Tag keine Körperpflege geht gar nicht.

Wieso geht das gar nicht?

Das kann doch ein jeder selbst bestimmen.
 
Wieso geht das gar nicht?

Das kann doch ein jeder selbst bestimmen.


Sehe ich genauso. Unter Zwang funktioniert das nämlich nicht und deswegen frage ich als Pflegekraft auch, wenn dies möglich ist. Darüber hinaus wasche ich einen durchgängigen Patienten/in nur dann, wenn dieser führbar ist. Darüber hinaus nehme ich einem PatientenIn nicht die Körperpflege ab, wo er mit seinen gesunden Händen und Armen hinkommt. Zudem überlasse ich dem PatientenIn dann selbstverständlich auch die Entscheidung. Einen Zwang zur Körperpflege gibt es bei mir nicht mehr. Früher war ich sozusagen ein Lemming. Heute bin ich eine professionelle Pflegekraft, die die Ressourcen nutzt.
 
Aber wir kenne sie doch alle, die eifrige Pflegekraft, welche vom Glauben abfällt, wenn nicht jeder Patient jeden Tag frisch gschniegelt und gebügelt im blütensauberen Bett liegt.
Ich biete Patienten, welche zur postoperativen Überwachung ein Nacht bei uns bleiben, selbstverständlich die Option sich hier bei uns im Bett zu waschen und unterstütze sie auch gerne dabei, aber ein Muss ich das nicht.
Was glaubt ihr was ich mir anhören kann, wenn der Patient am Vormittag dann von der Pflegekraft der Normalstation wieder abgeholt wird und es fand keine Ganzkörperwäsche statt?
Teilweise gab es da schon Schwachsinnvorgaben, nach den Beschwerden, dass die Patienten von der ITS gewaschen werden müssen:knockin:.
Bisher gab es jedoch noch keine Sanktionen für mich....
 
Das Waschen wird überbewertet. Allerdings zählte ich immer eigendlich zu denjenigen Lemmingen, die den PatientenInnen geschniegelt und gebügelt an die Zwischenintensivstation übergeben hat. Die peripheren Stationen sind dahingehend in der Kardiochirurgie oft lässiger drauf. Meine Erfahrung!
 
Es werfe der den ersten Stein, der ohne Sünde ist. Wir wollen gerne perfekt sein und sind doch oft gefangen in den Stationsritualen. Es ist einfach, davon zu reden, dass man den alten Zopf abschneiden muss. Schwer wird es, wenn die ganze Station diesen Zopf verteidigt.

Elisabeth