Bericht vom Aktionstag in München am 11.10.2007
Wie die Pflege eben ist - Leise und Unscheinbar
so äusserte sich eine Teilnehmerin am Aktionstag von Pflege bewegt Deutschland in München, als ich gefragt habe welchen Eindruck sie vom heutigen Tag hat.
Um 12 Uhr wurde am Münchner Marienplatz im Schatten der Mariensäule, umgeben von zahlreichen Touristengruppen der Aktionstag eröffnet. Einige Stände an denen sich verschiedene Gruppen der Pflege (Kinästhetik, Basale Stimulation, Rehhabilitation und andere) darstellten. Bei der Eröffnung waren ca. 200 Interessierte auf dem Marienplatz.
Ich führte Gespräche mit Bürgern, Pflegekräften aus unterschiedlichen Bereichen und Pflegewissenschaftlern, aber auch mit dem Förderverein zur Gründung der Pflegekammer.
Eröffnet wurde die Veranstaltung mit einer Rede der 2. Bürgermeisterin von München Christine Strobl, die Aufsichtratsvorsitzende der München Stift Altenheime ist.
Frau Strobl wies darauf hin, das 95% der Menschen in der letzten Lebensphase Pflegebedürftig werden. Männer sind dies ca. 20 Monate und Frauen 17 Monate, diese Pflege bezieht sich nicht nur auf das Krankenhaus, sondern auch auf Altenheime und die Pflege zu hause.
Eine Abgeordnete der Grünen stellte fest, dass die Abgeordneten ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, da sich eine wirklich engagierte Pflege nicht lohnt, sondern zu Kürzungen im Budget der Pflegeleistungen führt, wenn ein Patient zum Beispiel durch Pflege von der Pflegestufe 2 in die Pflegestufe 1 eingestuft wird. Die Pflege nach dem Motto "Satt und Sauber" wird gefördert, aber nicht die aktivierende Pflege.
Ich hatte aber auch die Gelegenheit Frau Professor Christel Bienstein zu interviewen, die diese Aktion die ganzen vier Wochen begleitet hat, sie hat hierfür ihren Jahresurlaub genommen und macht dies genauso ehrenamtlich
wie die Anwesenden auch.
Frau Prof. Bienstein konnte während den vier Wochen auch mit Migranten sprechen, die ihre Ansicht von Pflege geäussert haben.
Dass die Medien der Aktion so wenig Beachtung schenkten, liegt Meinung von Frau Prof. Bienstein auch daran, dass keine grösseren Skandale vorliegen.
Sie wertet die Aktion dennoch als Erfolg, da sie im Verlauf der Tour mit vielen Menschen sprechen konnte, die Pflege auch teilweise verdrängt haben.
Aus dem Reisetagebuch in dem Passanten ihre Wünsche an die Pflege aufschreiben konnten, wird von der Universität Wittern/Herdecke ausgewertet, die Ergebnisse werden als Broschüre zur Verfügung gestellt, ausserdem diente das Tourbuch auch zur Verfassung der Zugspritzerklärung die morgen veröffentlicht wird.
Nachdem Flug auf die Zugspitze wird das Bett nicht verschrottet, sondern kann von Interessierten für eigene Aktionen angefordert werden, so dass die Aktion Pflege bewegt Deutschland weiterläuft.
Eine Pflegewissenschaftlerin der Universität Witten/Herdecke stellte ihr Projekt vor sie befasst sich mit Pflegenden Kindern. Das Projekt wurde vom Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit zunächst gefördert da es der Ansicht war, es gäbe keine Pflegenden Kinder. Dies wurde jedoch durch eigene Recherchen widerlegt. Die Suche nach den betroffenen Familien war schwierig, obwohl in NRW alle Kinderarztpraxen und neurologischen Arztpraxen angeschrieben wurden. Es wurden 16 Familien ausfindig gemacht, die bereit waren an dem Projekt mitzuwirken. Die Dunkelziffer der betroffenen Familien wird jedoch weit höher eingeschätzt, da grosse Angst herrscht, dass das Jugendamt eingreift und die Kinder anderweitig unterbringt.
Multiple Sklerose und Erkrankungen des Rheumatischen Formenkreises sind die häufigsten Erkrankungen von denen überwiegend jüngere Frauen betroffen sind.
Durch die Krankheit entsteht eine soziale Isolation. Häufig sind es alleinerziehende Mütter, da sich der Partner sowie der Freundeskreis im Verlauf der Krankheit häufig zurückzieht. Die Pflege der Kinder reicht vom Versorgen der Mutter während eines aktuten Krankheitschubs sowie die Sorge für jüngere Geschwister, dabei wird unter Umständen die Schule vollkommen vernachlässigt. Die jüngste Pflegende ist eine 5jährige die sich um ihre 2 jährige Schwester kümmert, in dem sie diese angekleidet hat und mit essen versorgt hat. Im Rahmen der Studie konnten auch einige mittlerweile Erwachsene ausfindig gemacht werden, die als Kind Angehörige gepflegt haben.
Ein Wunsch der Familien wäre eine zentrale Notrufstelle, bei der sie im Bedarfsfall schnell und unkompliziert Hilfe erhalten könnten.
Diese Studie wird demnächst in Buchform veröffentlicht werden.
Mein Gespräch mit dem Förderverein für eine Pflegekammer Bayern war auch nicht uninteressant. Der Förderverein wurde im Jahr 1990 gegründet. Heute zählt der Verein 140 Mitglieder und 7 Vorstandsmitglieder, die für die Organisation des heutigen Tages mit verantwortlich sind. Auf meine Frage, warum so wenig Pflegekräfte sich in dem Förderverein engagieren, antwortete mir Herr Brocks, dass in Deutschland eine Stammtischmentalität herrscht, Pflegekräfte nicht unbedingt den Mut hätten offen zu sprechen, weil die Angst vor Kritik sehr gross ist. Die Gesamtheit der Pflege stellt sich nicht sichtbar dar. Jedoch wird häufig auf hohem Niveau gejammert. Politiker sind gegen die Gründung der Pflegekammer.
Die Stimmen aus der Bevölkerung waren recht einheitlich, es wäre eine sehr unscheinbare Darstellung der Pflege. Eine Kollegin meinte, wäre dies heute eine Veranstaltung des Bauernverbandes, so wäre im Vorfeld eine grosse Ankündigung durch die Medien gegangen und der Marienplatz wäre voll. Es gäbe ein grosses Podest und ein breites Medieninteresse, so aber war alles leise und unscheinbar.
Schüler der Berufsfachschule für Altenpflege und Krankenpflege St. Korbinian in Baldham und Maria Regina in München präsentierten sich mit der integrativen Ausbildung, auch sie sind in ihrer Freizeit anwesend und müssen den Unterricht an einem Samstag nachholen der heute entfallen ist. Die begleitende Lehrkraft sprach ihren Schülern ihre Hochachtung aus. Was vor drei Jahren ein Modellversuch war, die Doppelausbildung für Alten- und Gesundheits- und Krankenpflege kann heute schon fast als Dauereinrichtung gesehen werden, da bereits der vierte Kurs begonnen hat.
Ich habe auch Passanten befragt, ob sie wissen warum dieser Aktionstag stattfindet, die meisten wussten es nicht, manche dachten es wäre eine interne Veranstaltung. Eine 87jährige Bürgerin meinte, sie findet diesen Tag gut, denn irgendwann wird auch sie Pflegebedürftig sein und nicht mehr ihren Stammtisch in der Innenstadt wahrnehmen können und sie hofft, dass sie dann von engagierten Pflegekräften versorgt wird. Ihrer Meinung nach ist alles davon abhängig ob man sich Pflege selbst finanzieren kann oder nicht. Man wird sich wohl in Zukunft die benötigte Zuwendung erkaufen müssen und sich nicht auf die Leistungen der Pflegekassen verlassen können - Gottseidank, bin ich nicht arm, meinte die Dame.
Manche Aktionen wurden eher als negativ empfunden, so zum Beispiel die Darstellung einer Lachschule, die vielen nur ein säuerliches Lächeln ins Gesicht zaubern konnte, eine Passantin bezeichnete dies als peinliche Aktion, es wäre typisch für die Pflege, sie würde sich für alles hergeben.
Der allgemeine Konsens war, Pflege muss sich endlich trauen und aus dem Schatten hervortreten und sich endlich als eigenständiger Beruf sehen.
Pflege ist nach wie vor ein bevorzugter Frauenberuf, der Schritt vom Dienen zur Dienstleistung ist noch nicht vollzogen, viele Pflegekräfte haben eine Doppelbelastung von Beruf und Haushalt und somit wenig Lust und Zeit sich auch noch ausserhalb des Dienstes sich für Berufspolitisches Geschehen zu engagieren.
Die Perspektive - ist Änderung in Sicht? Ändert sich durch Auswahlverfahren in den Schulen etwas?
Foto: Werner Rathgeber
Bericht: Marlene Sedlmayr
Beschreibung Bilder von links nach rechts:
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Bild 1 Impressionen vom Marienplatz
Bld 2: Frau Prof. Christel Bienstein
Bild 3: Schüler der Altenpflegeschule St. Korbinian in Baldham bei München
Bild 4: Plakat
Bild 5: Impressionen vom Marienplatz
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Bild 1: Mariensäule
Bild 2: Frau Strobl, 2. Bürgermeisterin von München bei der Eröffnung mit Mathilde
Bild 3: In diesem Anhänger reist das Bett
Bild 4: Mathilde in ihrem Bett