um ein wenig zu meinem Ausgangsthema zurück zu kommen:
ich habe mich heute mit einem Suchttherapeuten unterhalten.
Alkoholmissbrauch/ Alkoholismus ist eine der häufigsten psychiatrischen Diagnosen, und geht meistens mit anderen psychischen Erkrankungen einher.
Abgesehen von einer Vielzahl sozialer Folgen, die nicht nur den/ die Erkrankte/n betreffen, führt Alkoholmissbrauch zu einer Vielzahl somatischer Probleme von denen Leberzirrhose und das Korsakov-Wernicke-Syndrom nur zwei darstellen.
Alkohol schädigt das Kardiovaskuläre System und beeinträchtigt durch die Überbeanspruchung der Leber sehr viele metabolische Funktionen, unter anderem auch die des Immunsystems. Chronischer Alkoholmissbrauch wirkt also immunsuppressiv. Darüber hinaus werden Leber und Milz geschädigt.
Im Bereich Chirurgie und Anästhesie spielt das noch mal eine besondere Rolle, da das Alkoholadaptierte und geschädigte Nervensystem andere Berechnungen der Anästhetika erfordert, aber auch bei therapeutischer Medikation muss das mit bedacht werden, da Medikamente zahlreiche Wechsel- und Nebenwirkungen mit Alkohol haben.
Außerdem führt Alkoholmissbrauch zu einer Reduktion vieler Tätigkeiten, die man perfekt in Orems Theorem der Selbstpflege einsortieren kann, zB Bewegung/ Ruhe, Ernährung und Körperpflege.
Unter dem Strich also kann man sagen:
Alkoholmissbrauch ist im somatischen Bereich von Medizin und Pflege ein Riesenproblem.
Und wir ignorieren das weitestgehend.
Wir verschliessen die Augen vor dem Elefanten im Raum.
Hinsichtlich des Umgangs mit Alkoholkranken Menschen gibt es im Bereich der Suchttherapie vorklinisch keine eindeutigen Handlungsempfehlungen, weil der Impuls der Behandlung von den Erkrankten kommen muss.
Als Konsens (und als Empfehlung von zB Berufsgenossenschaften) aber gilt es, das Thema wo immer Auffälligkeiten entstehen direkt anzusprechen, dabei aber Stigmatisierung zu vermeiden.
Es wird davon ausgegangen, dass Hilfe und Behandlung erst dann greifen können, wenn den Menschen das Problem wirklich bewusst ist, und diese Hilfe mindestens in Erwägung gezogen wird.
Allerdings, und das ist der springende Punkt! kann das direkte Ansprechen des Problems das Bewusstsein für die Problematik fördern. Dabei sollte dieses Ansprechen möglichst bewertungsfrei und nicht stigmatisierend sein, um Abwehrreaktionen zu vermeiden.
Man sollte also niemanden direkt ins Gesicht sagen, dass er Alkoholiker ist, oder ihn gar als Säufer oä titulieren.
Aber, und das ist die gute Nachricht: in Deutschland ist die Zahl der Anlaufstellen für Menschen mit problematischen Alkoholkonsum ziemlich groß, und das ist auf professioneller Ebene auch sehr niedrigschwellig gehalten. Es findet sich fast überall die Möglichkeit mit speziell dafür ausgebildeten Menschen relativ kurzfristig Erstgespräche führen zu können, in denen der eigene Konsum gemeinsam reflektiert und falls gewünscht Unterstützung für den gesamten therapeutischen Prozess gefunden werden kann.
In der Praxis gestaltet sich das häufig langwierig, weil es häufig zu Rückziehern, Rückschlägen und Rückfällen kommt, aber selbst darauf ist man vorbereitet, und wird auch darauf vorbereitet.
Wir haben als Gesellschaft vor allem in Form professionell geführter Selbsthilfeeinrichtungen und -Gruppen ziemlich gute Möglichkeiten Menschen mit problematischen Alkoholkonsum zu helfen.
Weil's offensichtlich für dieses Riesenproblem in der Pflege kein echtes Bewusstsein gibt und folglich auch kein Assessment und keinen Handlungsbaum, muss ich den wohl selbst finden, und auf mehr oder weniger offensichtliche Anzeichen von Alkoholmissbrauch achten.
Oder auch einfach fragen.
Eindeutiges Indiz dafür sind natürlich bestimmte Parameter im Blutbild.
Ich bekomme dazu noch weitere Informationen, sowohl wie man es im Gespräch und Verhalten besser erkennen kann, als auch Informationen über die Laborwerte, und Quellen zu den somatischen Folgen.
Und wenn die Hinweise sich verdichten, werde ich es wohl auch dokumentieren.
Was den Menschen betrifft, den es betrifft: Aufklärung über gesundes und gesundheitsförderndes Verhalten gehört mit zum Aufgabenfeld der Pflege. Und über die entsprechenden Anlaufstellen muss ich mich zwar auch noch schlau machen, aber das wär's auch, was ich den betreffenden Menschen ans Herz legen würde.
Und ihnen Mut machen.
Alkoholismus, oder etwas weniger stigmatisierend ausgedrückt 'problematischer Alkoholkonsum' ist kein Charakterfehler, sondern eine soziokulturell geförderte komplexe Erkrankung. Aber man kann etwas dagegen tun, indem man etwas für sich tut, und man kann eine Menge Unterstützung dabei finden, die nichts kostet, die nicht verurteilt und die nicht droht.
Diese Menschen sind nicht allein, selbst wenn ihr Problem von der professionellen Pflege (und Medizin) systematisch übersehen wird.
Im Übrigen gilt das auch für andere Abhängigkeitserkrankungen, und - darauf wurde ich besonders hingewiesen - auch für Frauen, denen es oftmals gelingt ihren Alkoholmissbrauch sehr viel besser zu verbergen als Männern, nur dass es halt trotzdem einen somatischen Rattenschwanz nach sich zieht.
Und, so ich den Raum dafür finde, will ich auch noch versuchen, Kontakt zu den Leuten vom DNQP zu bekommen. Professionalität und Tradition hin oder her... ich finde, wenn da ein Problem ist, dann sollte man es auch ansprechen, und es wird zwar wenig bringen, wenn ich damit ankomme, aber wenn es niemand tut, dann stehen wir in 50 Jahren noch schulterzuckend da, und berufen uns darauf, dass uns psychiatrische Ursachen im somatischen Bereich nichts angehen, weil strikte Trennung von Fachbereichen und so weiter.