Duzen von Patienten? Erlaubt oder nicht?

Karo Karo

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14.06.2016
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NRW
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Azubi zur GuK, Chemikerin (B.Sc.)
Akt. Einsatzbereich
Zentrale Notaufnahme
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Krankenpflegeschülerin
Guten Abend miteinander!

Ich bin es noch einmal.
Aus aktuellem Anlass möchte ich noch einmal o.g.Thematik anführen.

Ich, Azubine zur GuK (3.Lehrjahr) bin zurzeit auf einer neurologischen Station im Krankenhaus eingesetzt. Der Altersdurchschnitt unserer Patienten liegt da schätzungsweise bei 70-80 Jahren. Bis gestern lag eine junge Patientin bei uns, 20 Jahre alt, die wegen eines epileptischen Krampfanfalls eingeliefert wurde. Diese Patientin hatte neben der bekannten Epilepsie und noch zig andere Vorerkrankungen, u.a. Diabetes mell. Typ I, trägt Schutzhosen bei Harninkontinenz, Nierenleiden, COPD und Z.n. thoraxchirurgischer Intervention bei Pleuraempyem und benötigt Hilfe beim Hosenwechsel und bei GKW.

Mir ist aufgefallen, dass meine Kollegen, so auch die Stationsleitung, die Patientin ausnahmslos und ohne vorher zu fragen immer mit ihrem Vornamen angesprochen und geduzt haben.
Uns wurde in der Schule immer beigebracht, dass man jeden erwachsenen Patienten (ab 16 Jahren ) zu siezen hat.
Ich war natürlich verunsichert da selbst meine Vorgesetzten einfach geduzt haben.

Ich bin dennoch beim Sie geblieben. Auch seitens der Stationsärzte und Oberärzte wurde gesiezt. Die Patientin hat auch nie irgendwas gesagt, wenn sie einfach geduzt wurde oder wie von mir oder den Ärzten gesiezt wurde.

Zudem wirkte die Patientin (auf mich zumindest) sehr kindlich und schüchtern und hatte auch ein Kuscheltier dabei.
Eine geistige Behinderung, Entwicklungsverzögerung o.ä. war aber nicht bekannt.
Hinzu kommt, dass meine Kollegen sie nicht nur geduzt haben, sondern auch immer wieder zwischendurch mit „Mäuschen“ , „Schätzchen“ etc. tituliert haben.
Zum Beispiel: „Mäuschen, wir müssen einmal die Pampers wechseln.“
Das finde ich, geht bei Erwachsenen schon zu weit.
Ist das nicht irgendwo erniedrigend, von „Pampers“ zu sprechen?
Was ich außerdem ziemlich eigenartig fand: Einmal, als die Patientin im Bett gekrampft hat, kamen die Stationsärztin, meine Kollegin und ich. Von der Ärztin hat sie Dormicum i.v. bekommen, und als wir darauf warteten, dass der Krampf sistiert, sagte die Ärztin sowas wie: „Mensch…..die arme kleine Maus.“

Ich fand das sehr eigenartig, da genau diese Stationsärztin die Patientin sonst immer siezt, aber wenn sie sich mit Kollegen im Schwesternzimmer über sie unterhält, heißt es auch von ihr wieder: „Arme Maus, Schätzchen etc.“

Wenn ich jemanden sieze, dann nenne ich denjenigen doch nicht „Schatz/Maus“ etc.?
So…..ich bin jetzt natürlich völlig verwirrt was ich jetzt von dem ganzen halten soll.
Ich habe gestern mal eine nette Kollegin gefragt, warum sie denn die Patientin geduzt hat, darauf antwortete sie: „Ach die ist doch noch so jung und liebenswert.“
Aber das ist doch kein Grund, oder?
Wir hatten zwei Wochen bevor die 20-jährige bei uns lag einen 23-jährigen bei uns, der aber von allen gesiezt wurde.
Was sagt ihr dazu? Meint ihr ich sehe alles zu engstirnig?
Ich bin sehr hin und her gerissen zwischen dem, was uns in der KP-Schule beigebracht wird und dem, was scheinbar in der Praxis gemacht wird.
Und wie kann man das Verhalten der Ärztin interpretieren, dass sie siezt aber trotzdem hinterm Rücken über „das Mäuschen“ spricht? (Fragen kann ich sie nicht mehr, da sie nicht mehr auf Station ist und ich ab nächster Woche woanders eingesetzt bin)

Ich möchte nun mal nichts falsch machen in Zukunft und gerne wissen, wie ich mich am besten verhalten soll. Bitte gebt mir auch Tipps!



Ganz liebe Grüße

Eine verwirrte Karolin

P.S.: ich bin übrigens 23 und würde nicht wollen, dass man mit mir so wie mit der Patientin spricht
 
Die Patientin wirkte jung und hatte ein Kuscheltier dabei, "eine geistige Behinderung sei dir aber nicht bekannt". Sie wird es wohl gewohnt sein, auch geduzt zu werden. Ich finde duzen weder respektlos noch abwertend; und wenn es ein Patient nicht wünscht, wird er es wohl mitteilen oder signalisieren. In der heutigen Zeit wird das "du" ohnehin mehr und mehr salonfähig (Ikea als Beispiel). Kritischer sehe ich es bei Psychiatrie-Patienten oder generell bei Patienten, die Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung von Nähe-Distanz haben. Da bevorzuge ich ausnahmslos und auch bei jüngeren Patienten das "sie". Eine Ausnahme würde ich bei Menschen mit geistiger Behinderung machen - sie sind mit dem Vornamen oft besser zu erreichen und empfinden es selbst als angenehmer. Irgendwelche Kosenamen sind aber überflüssig und müssen nicht sein.
In vielen Fällen also abhängig von Klientel, Station und dem jeweiligen Mitarbeiter. Ich persönlich sieze Patienten grundsätzlich.
 
Ben ist da voll zuzustimmen.

Ich würde mir eher überlegen ob ich dass will. Es gibt ja diese Dauerdutzer, die alles und jeden Duzen. Wenn mich ein Patient dutzt ist mir das egal. Ich weis dass ich ohne Probleme zurückduzen kann und kann mir überlegen ob ich diese "Nähe" aufbauen will. Manchmal mache ich das, manchmal nicht.

Zum Thema Schätzchen/Mäuschen: Würde ich nie gegenüber der Patienten sagen. Das ist infantilisierend. Aber hey, 1. Geschmackssache und wenn sich die Patientin damit wohler fühlt ok. Wie man hinter dem Rücken der Patienten über sie redet ist jedoch etwas ganz anderes. In jedem Beruf lästert man über seine Kunden und Andere. Das ist völlig ok. Solange es der Kunde nicht zu spüren bekommt... Irgendwie muss man mches ja abbauen. Mäuschen zu sagen ist zwar kein Lästern, aber geht in ne Ähnliche Richtung. Deine Ärztin bringt der Patientin gegenüber Respekt auf, dass Zählt doch.
 
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Bei einem Einsatz in einer Reha-Klinik für Querschnittsgelähmte wurden viele der Patienten (mit ihrem Einverständnis natürlich) geduzt. Sie war großteils sechs Monate und länger da, da wurde der Umgang lockerer als bei einem kurzen Aufenthalt, als respektlos habe ich das nicht empfunden.

Bei zwei weiteren Patienten, die das Team längere Zeit immer wieder betreute, waren wir auch irgendwann beim Du. Das waren Ausnahmefälle, im allgemeinen sieze ich Patienten und möchte auch selbst von ihnen gesiezt werden. Aber man kann von Regeln abweichen und dennoch professionell sein. Oder gerade dadurch. "Schatz" oder "Mäuschen" habe ich aber noch keinen Patienten tituliert.

Bei Gesprächen unter Kollegen seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen halte ich für eine gesunde Reaktion. Mitgefühl durch Worte wie "armes Mäuschen" auszudrücken halte ich für legitim, auch wenn es in Deinen Ohren seltsam klingen mag. Hat auch mit Lästern nichts zu tun.
 
Wir betreuen keine Jugendlichen und ich nehme meinen Gegenüber als zu respektierenden, erwachsenen Menschen wahr, wozu das siezen + Nachname in der Ansprache - einfach jederzeit dazugehört.
Werde ich von Patienten geduzt, kommt es darauf an, wer mein Gegenüber ist - ob ich zurechtweise und darum bitte das zu unterlassen - oder nicht. Da es bei mir im Haus üblich ist sich mit dem Vornamen vorzustellen und angesprochen zu werden, ist für einzelne die Hemmschwelle, dann auch noch ins noch weniger distanzierte duzen zu verfallen - niedriger.
Ich mag es grundsätzlich nicht geduzt zu werden.
Ich verstehe mich ebenfalls als erwachsenen Menschen, der zu respektieren ist. Dazu gehört, dass ich als beruflich Pflegende wahrgenommen werde und man mich siezt.
Bin keinesfalls das Mädchen, Schneckchen, sonst was, auch wenn ich im Schnitt 20, 30 Jahre jünger bin als der Durchschnittspatient. Auch wenn das duzen auf dem Dorf üblich ist, gehöre ich nicht zur Dorfgemeinschaft eines Patienten. Ich bin demjenigen ein fremder Mensch. Fremde Menschen siezt man, grundsätzlich. Lernt man so, macht man, eigentlich.
Kommt das duzen von jemandem der das überhaupt gar nicht despektierlich meint, ist das ggfs. o.k. und - selbstverständlich - sieze ich weiter.
Ungefragt zu duzen - Nein. Kosenamen - Nein.
P.S.: ich bin übrigens 23 und würde nicht wollen, dass man mit mir so wie mit der Patientin spricht
Exakt so sehe ich das auch.
 
Individuelle Situationen erfordern individuelle Herangehensweisen... Durchaus gibt's es vereinzelt Situationen in denen ich ein "Du" bzw. den Vornamen auch bevorzuge, die sind wahrlich selten da ich eher zur "Siez-Fraktion" gehöre, dies auch den Kollegen und Schülern versuche zu vermitteln. Aber es kommt meiner Meinung nach auf die Person und das Setting an, "20-jährig und mit Kuscheltier", das hört sich für mich auch eher noch etwas nach einem kindlichen Verhalten an (reine Mutmaßung, ich kenne die junge Frau ja nicht!).
Auch die Aussage der Ärztin würde ich persönlich jetzt rein aus deiner Erzählung nicht als respektlos werten.
Schlussendlich ist für mich wirklich das Setting ausschlaggebend - mit Anfang 20 hab ich auf einer Hämato/Onko gearbeitet, dort waren wir grundsätzlich mit fast allen Patienten in unserem Alter per Du, hat man sich doch oftmals über Monate/Chemozyklen immer und immer wieder gesehen - und manchmal auch für immer verabschiedet, schwierige letzte Tage miteinander verbracht, Angehörige getröstet und letzte Wege begleitet...
Heute in der Psychiatrie geht das natürlich garnicht mehr für mich, anderes Klientel, andere Schwerpunkte, andere Beziehung.
Ich denke, in ein paar Jahren wirst du auch individuelle Entscheidungen treffen, Dinge anders sehn.

LG
Verena
 
Danke für eure Antworten! Ich hab mir noch mal Gedanken gemacht, und denke, dass ich das vielleicht doch etwas zu eng gesehen habe. Ich kannte das Duzen bisher nur von meinem Einsatz auf der PädS (u18).
Meine Kollegen sind übrigens auch nicht die Dauerduzer, wenn ein älterer Herr mit: "Schätzchen" ruft, dann weisen sie ihn schon darauf hin.
Bei der jungen Dame schien es aber anders zu sein, so als wollten die Kollegen eine Art "Vertrautheit" schaffen, ähnlich wie Muttergefühle oder Schutzbedürfnis.
Im großen und ganzen ist es aber wahrscheinlich doch ratsam, wenn wir Pflegekräfte individuell und flexibel auf die Patienten eingehen.
 
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Zum Großteil sieze ich die Patienten.Es gibt aber auch Ausnahmen,wo ich dann (ungefragt) auf das Du übergehe.Das ist immer dann der Fall wenn ich denke dass das duzen förderlich ist für meine (berufliche) Beziehung zum Patienten.Es gibt da bei mir keinen Standard, a la : Demente werden immer geduzt o.ä. Es ist vielmehr eine Bauchentscheidung. Bisher bin ich damit auch gut gefahren.Für mich bedeutet duzen/siezen aber auch nicht zwangsläufig dass ich mehr oder weniger Respekt habe...
 
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Zum Großteil sieze ich die Patienten.Es gibt aber auch Ausnahmen,wo ich dann (ungefragt) auf das Du übergehe.Das ist immer dann der Fall wenn ich denke dass das duzen förderlich ist für meine (berufliche) Beziehung zum Patienten.Es gibt da bei mir keinen Standard, a la : Demente werden immer geduzt o.ä. Es ist vielmehr eine Bauchentscheidung. Bisher bin ich damit auch gut gefahren.Für mich bedeutet duzen/siezen aber auch nicht zwangsläufig dass ich mehr oder weniger Respekt habe...

Was wäre denn so eine Situation wo du "ungefragt" duzen würdest?
 
Wie gesagt: es gibt kein "Schema F" nach dem ich das entscheide.
 
Ich nahm vor kurzem an einer interessanten Schulung teil. Es ging um Demenzkranke. Der Leiter einer Wohngruppe für Demenzkranke erzählte, dass er selbst bei einer einzelnen Person oft von Sie in Du wechsle oder umgekehrt.
Er meinte, es käme auf deren Tagesform an. Empfangen sie ihn morgens schon mit Du, würde er mit Du antworten.
Auch wenn er mit den Leuten im Badezi sei, würde er das Du wählen, denn das ist schon eine immens unangenehme und intime Situation, mit einem fremden Menschen im Bad zu sein und sich von dem auch noch helfen lassen zu müssen, dass er findet, ein vertrauliches Du wäre dann angebrachter,
Hatte ich so noch nie gesehen, fand ich nen interessanten Einwand.
 
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