Demenz und Aggression

Jillian

Poweruser
Registriert
29.10.2013
Beiträge
1.380
Beruf
GuKP
Akt. Einsatzbereich
Kurzzeitpflege
Funktion
Dauernachtwache
Der Fall eines Patienten unserer interdisziplinären Station beschäftigt derzeit Pflege und Ärzte. Ein multimorbider Patient, in den 30ern geboren, stark dement, Heimbewohner. Der Mann ist hochaggressiv in einem Potential, das sämtliche Erfahrungen der gesamten Belegschaft in den Schatten stellt. Keinerlei pflegerische Handlungen sind möglich, ohne dass der Patient verbal extrem entgleist: Hure, F*tz*, Drecksau, fette Kuh, und dergleichen sind noch die moderateren Ausdrücke, mit denen er uns belegt. Dazu schlägt er nach uns und hält uns am Arm oder Handgelenk fest, wenn wir ihn pflegen wollen.
Interessant ist, dass er zu Beginn jeder pflegerischen Handlung, wie bspw. Grundpflege, Essen anreichen oder lagern, noch adäquat und freundlich ist und ein nahezu normales Gespräch ermöglicht. Nach kurzer Zeit ist jedoch stets ein Punkt erreicht, an dem er den Hebel umlegt und zum Ekel wird. Dann können wir unsere Sachen einpacken und uns nur noch in Sicherheit bringen. Die Ärzte heben hilflos die Hände und sehen zu, dass sie das Weite suchen.

Ich frage mich nun, woher soviel Hass und Aggression kommen kann. In einer Fortbildung zu Demenz hörte ich einst den schönen Vergleich, dass Demenz das Grundgerüst des Charakters bloßlege und das Fundament der Persönlichkeit offenbare. Was bei diesem Mann zum Vorschein kommt, ist einfach nur abstoßend. Ich erlebe verschlossene, ängstliche, abwehrende und teils auch liebenswürdige Demenzkranke, und mit etwas Fingerspitzengefühl war noch jeder gut führbar. Hier aber komme ich an meine persönliche Grenze. Auch wenn ich weiß, dass diese Aggression nicht mir persönlich gilt, komme ich nur schwer damit klar, dass ich & mein Team diesen Patienten nicht pflegen kann bzw. darf.

Habt ihr Erfahrungen mit hochaggressiven dementen Patienten? Wie geht ihr damit um? Kennt ihr psychologische Erklärungsansätze, die so ein Verhalten rechtfertigen könnten? Wie kann ich mit dem Patienten umgehen, ohne dabei meine eigene Würde zu verlieren oder mich in Gefahr zu bringen?
 
Da steckt noch mehr dahinter. (ADS, Tic, SHT ... ?)
Besorgt Euch vom Heim die Biografie und vom Neurologen/Psychiater die alten Befunde.
 
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Das wird Gottseidank nicht nötig sein, der Patient wird morgen zurück ins Heim entlassen. Dennoch ist mir an einem Verständnis solchen Verhaltens gelegen. Der nächste aggressive Demenzpatient kommt bestimmt.
 
Habt ihr Erfahrungen mit hochaggressiven dementen Patienten? Wie geht ihr damit um? Kennt ihr psychologische Erklärungsansätze, die so ein Verhalten rechtfertigen könnten? Wie kann ich mit dem Patienten umgehen, ohne dabei meine eigene Würde zu verlieren oder mich in Gefahr zu bringen?
Zunächst mal: Ich bin kein Demenzexperte; finde es aber super, daß ihr euch in der Klinik so drum bemüht. Meine früheren Erfahrungen aus der Klinik waren eher so, daß die dementen Pat. eher gnadenlos untergingen...
Erklärungs-/Behandlungsansätze:
- Validation nach Naomi Feil https://www.alzheimer-euskirchen.de...werPoint-Vortrag Validation für den Stick.pdf
- integrative Validation nach Nicole Richard Die IVA nach Richard - Integrative Validation
- personzentrierter Ansatz nach Tom Kitwood Persönlichkeitspsychologie: Die personzentrierte Pflege nach Tom Kitwood
- Modell der Lebensstufen nach Erik Erikson
https://www.uni-bielefeld.de/erzieh...enbriefe/StB_Sprechen_Sie_Demenzisch-2012.pdf
 
Hallo Jillian,

ich lehne mich mal ganz weit aus dem Fenster.

Solchen Patienten, wie Du beschrieben hast, werden Dir gelegentlich begegnen.
Es gibt verschiedene Ursachen, für so ein Verhalten.

Da wurde ein Patient, auf Grund seiner (akuten) Erkrankung aus seinem gewohnten Umfeld heraus geholt (für ihn heraus gerissen) und ins Krankenhaus eingewiesen.

Du kannst den Patienten mehrfach erklären, dass es für ihn notwendig ist, im Krankenhaus zu sein. Bei der Demenz ist das Kurzzeitgedächtnis oft gestört.

Dieses Info wird nur kurz gespeichert, doch schon im nächsten Augenblick vergessen, da es nicht im Langzeitgedächtnis abgespeichert worden ist.

Thema: Meinungsanpassende Medikamente / Sedierung

Ich weis, ich sage: " Das ist doch nicht notwendig". Immer kommen die Patienten sediert aus dem Krankenhaus zurück.

Offen gesagt hast Du / habt Ihr keine Zeit, Euch adäquat, um solche Patienten zu kümmern.

(Ja nu, Ihr seit oft in der Notlage, dass Ihr die Patienten sedieren müsst, ihr habt einfach zu wenig Zeit für die Behandlungs- / Grundpflege, pro Patient.)

Auf jeder Station im Krankenhaus, ist nur ein sehr kleines Zeitfenster für die Grundpflege vorhanden.
Ich vermute mal so ungefähr 10 - 15 Minuten für die Grundpflege.
In der Beatmungs - WG in der ich arbeite, habe ich 60 Minuten - 1 Stunde (sogar noch mehr Zeit) für die Grundpflege, Behandlungspflege, Bolusgabe von Sondenkost, Mobilisierung vom Bett in den Rollstuhl, Inhalation und Sekretmanagement, pro Patient, Zeit.

Es gibt keine Betten - Tage mehr, sondern Fall - Pauschalen, in den Krankenhäusern.

Es grüßt,
pepita - sheep
 
Ich danke euch für eure Antworten und für euer Verständnis @pepita-sheep und @Martin H. Tatsächlich hätte ich für diesen Patienten, man glaubt es kaum, sogar noch viel mehr Zeit haben können (Spätschicht), hätte er mir nur zugestanden, diese Zeit auch sinnvoll für ihn zu nutzen. Eine meiner Kolleginnen meinte, solche Menschen seien schon vor der Demenz Leute gewesen, die man lieber von hinten sieht. Die Demenz spitzt diese Charaktere dann auf die Extreme zu.
Damit kann sie vielleicht richtig liegen. Der Patient hat zwar Kinder, die sich aber von ihm abgewandt haben. Warum wohl, fragt man sich so... für mich eine Erklärungsmöglichkeit.

Wäre absehbar, dass man solche Patienten längere Zeit als die Mindestverweildauer behielte, würden sich auch Techniken wie Validation etc. lohnen, wie oben genannt. Aber mach das eben mal, zwischen Fallpauschale und Personalausfall, mit 20 Patienten pro examinierter Fachkraft. Das ist, wie schon bemerkt wurde, schwierig bis unmöglich, und leider auch so gewollt. Demenzbetreuung hat auf einer Akutstation keinen Raum. Ich bewundere und beneide Häuser, die sich Demenzbetreuer leisten können.

Wie geht ihr persönlich mit solchen Patienten um, in solchen brenzligen Situationen?
 
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Die schlimmste Krankheit ist meiner Meinung nach Demenz, zu vergessen, wer du bist, ist das Schlimmste
 
Vielleicht hat dieser Patient schlechte Erfahrungen in seiner Kindheit oder Jugend erlebt, übergriffiges Verhalten, Missbrauch oder Misshandlung. Er kann dein Verhalten vielleicht nicht einschätzen.
Wir hatten auch Mal einen dementen Patienten,der total aggressiv war, wenn man ihn pflegen wollte. Aber wenn seine Ehefrau dabei war, die auf ihn eingeredet hat war er immer friedlich. Nie habe ich was gemacht. Wenn sie nicht dabei war. So kamen wir einigermaßen mit ihm klar. Die Frau war so alt wie er und 24/7 bei ihm. Die hat mir echt leid getan. Die müsste sich daran gewöhnen tagsüber zu schlafen. Weil nachts war seine Zeit.
Wir haben ihn nachts geduscht und tagsüber schlafen lassen, damit er und seine Frau im Rhythmus bleiben.
 
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