Allumfassende Pflege gleich professionelle Pflege

Kann es sein, dass du vielmehr kompetentere Pflege einforderst?(im Sinne von fachlicher und persönlicher Weiterentwicklung?)
Ja, das stimmt, besonders in der persönlichen Weiterentwicklung! Denn so wird sie wirklich umfassend, ganzheitlich, allumfassend, was auch immer hier als Aussage bevorzugt wird.
Alles was in der Gesellschaft geschieht, wird sich in der Pflege, wie auch in allen sozialen Berufen widerspiegeln. So wie wir innerlich gestrickt sind, was die Gesellschaft an Werten beachtenswert findet und einfordert (oder auch nicht), hat gerade dort seine besonderen Auswirkungen. Die Qualität aller sozialen Tätigkeit, auch die in der Pflege, ist die Nagelprobe auf den inneren Zustand unserer Gesellschaft. Professionelle Pflege ist daher eigentlich nicht ohne berufs- und gesellschaftspolitisches Interesse zu verwirklichen denn sie findet mitten in der Gesellschaft statt und alle Menschen haben Kontakt mit ihr. Die Rahmenbedingungen (auch innerbetrieblich) sind eben auch sehr wichtige Faktoren, die den Pflegeprozess gelingen lassen oder nicht. Professionelle Pflege ist meiner Meinung nach mitnichten allein die Vervollkommnung technischer und medizinischer Pflegefähigkeiten. Das wäre erheblich zu wenig.
Man kann auch sagen: um die Pflege wirklich professionell zu machen, bedarf es eines essentiellen sozialen Umbruches unserer Gesellschaft. In diesem Prozess stecken wir und das macht die Sache so kompliziert aber auch so spannend.

Herzlichen Gruß
vom
Unitarier
 
...gut, das habe ich verstanden, und dem stimme ich auch weitestgehend zu.

Man kann auch sagen: um die Pflege wirklich professionell zu machen, bedarf es eines essentiellen sozialen Umbruches unserer Gesellschaft. In diesem Prozess stecken wir und das macht die Sache so kompliziert aber auch so spannend.

Das ist jedoch eine gewagte Aussage. Unsere Gesellschaft befindet sich im Umbruch, was sich unter anderem in wesentlichen Veränderungen unseres Gesundheitssystems verdeutlicht.
Pflege ist professionell, die Frage ist nur, wie sie sich den, sich ändernden Bedingungen stellt, und inwiefern es dabei den Pflegenden gelingt ihre Kompetenzen wahrzunehmen, darzustellen und weiterzuentwickeln.

Grüsse
 
Das ist jedoch eine gewagte Aussage. Unsere Gesellschaft befindet sich im Umbruch, was sich unter anderem in wesentlichen Veränderungen unseres Gesundheitssystems verdeutlicht.
Das stimmt auch. Da spielen viele Faktoren eine Rolle, nicht nur das demographische Problem. Es sind aber auch andere Überlegungen, die zu Veränderungen im Gesundheitssystem führen. Es ist eine Notwendigkeit auf bisher immer wieder verdrängte Probleme zu reagieren, die eigentlich schon längst erkannt waren. Das hat auch was mit Werte und Orientierung zu tun. Z.B. was sind uns alte Menschen wert? Wie soll der Mensch leben, damit das Volk gesund bleibt und die Kassen nicht bis an die Leistungskraft überlastet werden? Wie gestalten wir unsere Vorsorge, um gesund leben zu können? Wie erziehen wir unsere Kinder zu einer gesunden Ernährung? Wieviel Pflegepersonal werden wir in der Zukunft brauchen, um die menschliche Zuwendung geben zu können, die ein Mensch in der Not braucht? Wieviel Geld ist nötig, um eine professionelle Pflege und Medizin zum Wohle aller zu gewährleisten? Usw. usw. usw. ... Indem wir aktiv unser eigenes Selbstverständnis verändern ("essentieller sozialer Umbruch") werden andere Systeme gezwungen darauf zu reagieren.
Übertragen könnte man vielleicht auch sagen: Wenn das Pflegepersonal seine eigene Situation verändert und aktiv nötige Veränderungen einfordert, verändert sich das System in dem gearbeitet wird.

Herzlichen Gruß
vom
Unitarier
 
Wie soll der Mensch leben, damit das Volk gesund bleibt und die Kassen nicht bis an die Leistungskraft überlastet werden?

Wann ist ein Mensch gesund?

Wieviel Pflegepersonal werden wir in der Zukunft brauchen, um die menschliche Zuwendung geben zu können, die ein Mensch in der Not braucht?

Wieviel Zuwendung will der Mensch überhaupt? Und ist der Anspruch alles Leid der Erde lindern zu wollen nicht ein wenig zu hoch gegriffen?

Wieviel Geld ist nötig, um eine professionelle Pflege und Medizin zum Wohle aller zu gewährleisten?

Wie sollte das vorhandene Geld sinnvoll verteilt werden? Und muss jede pflegerische Leistung nur von fachkräften erbracht werden? Hat der Laie keine Möglichkeit Zuwendung zu geben?

Mir ist das Ganze ein wenig (zu viel?) idealistisch? Die Ansichten erscheinen mir mehr als weltfremd. Darf ich fragen, in welchem Bereich du arbeitest? Wie stellst du dir ein reformiertes Gesundheitswesen vor?

Elisabeth
 
Hallo Elisabeth!

Ich bin jetzt selbständiger Krankenpfleger und med. Fußpfleger in der ambulanten Krankenpflege und in der Altenpflege. Alles weitere siehe Profil. Ich habe schon viel gemacht in der Pflege.

Mag sein das Dir das zu idealistisch vorkommt. Doch: einem Philosophen wird man kaum vorwerfen können, das jenes, was er postuliert auch noch bis ins letzte leben sollte um glaubwürdig zu sein. Es geht doch darum etwas zu beschreiben, wonach wir streben sollten und es geht darum Zusammenhänge aufzuzeigen. Das hilft!
Ansonsten, relativieren kann man alles mögliche und man kann auch so lange sein Haar über die Suppe schütteln, bis man eins darin findet. Und den anderen kritisieren lässt sich auch immer leicht. Aber es gibt mindestens so viel Gründe etwas zu tun wie es zu unterlassen. Da finde ich es besser sich zu bemühen so viel wie möglich umzusetzen. Das ist schon eine ganze Menge und schwer genug. Jedenfalls braucht man sich hinterher nicht vorwerfen zu lassen, nur andere machen gelassen zu haben.
Ich denke Du verzeihst mir, wenn ich nun kein explizierter Experte zur Reform unseres Gesundheitswesens bin. Das können andere weitaus besser, hoffe ich, bestimmt sogar.


Herzliche Grüße
vom
Unitarier
 
Mag sein das Dir das zu idealistisch vorkommt. Doch: einem Philosophen wird man kaum vorwerfen können, das jenes, was er postuliert auch noch bis ins letzte leben sollte um glaubwürdig zu sein. Es geht doch darum etwas zu beschreiben, wonach wir streben sollten und es geht darum Zusammenhänge aufzuzeigen. Das hilft!
Schon, aber leider nicht bei der Abgrenzung von der laien- zur professionellen Pflege.

Ulrich
 
Hallo Unitarier,
wenn ich mir wünschen könnte wie ich gepflegt werden will, setzt das einen Idealzustand in unserem Beruf in materieller und ideller Hinsicht vorraus.
Beides wird nie erreichbar sein, sondern es wird immer die Ökonomie der Taktgeber sein.
Kurz und gut: Ich kann Elisabeth Denise nur zustimmen und wünsche dir weiterhin angenehme Träume.
Ich finde die Überschrift über das Thema übrigens schon unprofessionell.
( Willst du Patienten "zwingen" sich nach deinen Vorstellungen pflegen zu lassen?)
MfG
rudi09
 
Hallo rudi09,

1) siehe meine Signatur und
2) ich behaupte, gegen eine dem Humanismus verpflichtete Pflege kann niemand etwas einwenden. Dazu kann niemand "gezwungen" werden. Man tut dies aus Selbstverständlichkeit.
Gewiß: die Ökonomie setzt Grenzen. Es ist ja auch nicht von mir gemeint, das alle Wünsche eines Patienten erfüllt werden müssten. Aber was unverzichtbar ist, ist die Zeit für Zuwendung, Fürsprache, Mitgefühl und pflegerisches Können und eine ganzheitliche Lebenshaltung und Lebensgestaltung.

Gruß
Unitarier
 
Hi @ all,

könnte es sein, dass hier (evtl. desillusionierte ) Realos und (idealistische und dadurch evtl. von anderen als blauaäugig empfundene) Visionäre aufeinander prallen?

@ Unitarier:
Ich verstehe dich so, dass du unter professioneller Pflege auch verstehst, dass sie mehr für sich selber tun sollte, sowohl im direkten Arbeitsumfeld, in der Politik als auch privat.
Außerdem möchtest du hier diskutieren, ob und unter welchen Bedingungen eine optimale Pflege geleistet werden könnte.
Beides steht in unmittelbarster Verbindung zueinander.

@ Elisabeth:
Ich sehe da auch einen gemeinsamen Nenner zwischen euch, nämlich die Ansicht, dass Pflege sich unnötig unter den Scheffel stellt. Sorry, falls ich dich da falsch interpretiert habe.

@ rudi09:
Es geht - glaube ich - hier nicht darum, dass wir die Patienten dazu zwingen sollten, sich nach "unseren" Vorstellungen pflegen zu lassen. Es geht im Gegenteil darum, dass der Pflegebedürftige eben als integres Gegenüber wahrgenommen und in genau dieser Einzigartigkeit angenommen und im Einklang mit seinen eigenen Wertvorstellungen gepflegt wird.

Ja, ich habe noch mit Juchli gelernt. Und empfand ihre Vorstellung von der Ganzheitlichkeit eigentlich für mich als schlüssig, wenn ich jetzt auch keine Definition liefern kann.
Irgendwo steht bei ihr auch, dass jeder als der pflegt, der er selber ist. Da haben wir doch die Integrität der Pflegenden als Partner neben der Integrität der Pflegeempfänger.

Wo ist das Problem? Außer, dass Unitariers Visionen auf die Wunschliste gehören. Aber einklinken kann sich da jeder: Wie wäre meine Idealvorstellung?
Kann ich sie wenigstens im engeren Umkreis umsetzen?
Welche Ideale bzw. mir wichtigen Wertvorstellungen kann ich auch auf lange Sicht durch den Pflegealltag retten und für mich bewahren?

Mir persönlich geht es so, dass ich vieles von dem erlebten Negativen nur so weit an mich heranlasse, dass es mich nicht zerstört. Wenn ich mir täglich sage - wie es so viele Kollegen tun: Alles Murks, früher war alles besser, alles wird schlechter, verdammter Job, usw., ihr kennt bestimmt noch andere Variationen davon - dann wird das auch so sein. Selbsterfüllende Prophezeiung.

Ich möchte jetzt ungern als Träumerin dastehen, ich weiß selber, wie hart die Arbeit und die Bedingungen sind. Aber das Träumen und die Selbstachtung lasse ich mir von diesem System nicht nehmen. Und ganz ohne Visionen geht es m.E. auch in der Pflege nicht weiter.

Für heute liebe Grüße von
Berthild

PS: By the way: Unitarier träumt noch, obwohl er seit dreißig Jahren professionell pflegt
 
Hallo Berthild,

genau das. Was das Pflegefachwissen angeht, so ist das keine Frage, das sollte man haben bzw. muss man haben. Aber was nützt dieses, wenn die Bedingungen drumherum die Anwendung dieses Pflegefachwissens behindert? Um das durchzusetzen erscheint mir der persönliche Einsatz des Pflegepersonals im Sinne von Zivilcourage entscheidend zu sein. Wir pflegen nicht für eine Obrigkeit und schon gar nicht zum Gottgefallen, sondern die Pflege ist für den Menschen und für sonst niemanden da. Nur wenn ich nicht selbstbewußt sondern eher selbstunsicher bin, dann bin ich leichter bereit den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Nur keinen Ärger machen, man will ja Geld verdienen und nicht arbeitslos werden. Ich verstehe das, ganz bestimmt. Aber es fördert nur den Frust, den man ja eigentlich bekämpfen will.
Ich bleibe dabei: eine ganzheitliche Lebenseinstellung hat eine ganzheitliche Pflege zur Folge. Man muss sich aus diesem Grunde einsetzen, nicht weil man Ärger oder anderen das Leben schwer machen will, sondern aus innerer Notwendigkeit aus dem Gefühl des Nicht-anders-könnens heraus. Ich bin auch der Meinung, das humanistisches Verhalten niemals ein Idealwert sein darf, den man nicht erreichen kann. Es ist ein Wert, den wir erreichen müssen und können. Und warum? Global und tiefenpsychologisch betrachtet: um uns (als Mensch) zu retten!
Ansonsten schmort weiter im eigen Saft und seid gefrustet. Dann ist Euch auch nicht mehr zu helfen. Dem kranken und alten Menschen ist nicht damit gedient - keinesfalls.

Herzlichen Gruß
vom
Unitarier
 
@Unitarier
Deinen Worten stimme ich voll und ganz zu. Allerdings scheinst du einen wichtigen Punkt nicht zu berücksichtigen.

Erkläre mir bitte, wie ich deine Worte umsetzen soll, wenn mein Arbeitgeber da anderer Meinung ist. Die meisten Pflegekräfte sind Angestellte und dem heutigen Wahn, mit immer weniger Personal immer mehr Arbeit zu schaffen, ausgeliefert. Zivilcourage ist ein gutes Stichwort. Aber spätestens dann, wenn es dich deinen Arbeitsplatz kostet hast du ein großes Problem.

Immerhin brauchen auch Pflegekräfte ein regelmässiges Einkommen mit dem sie ihren Lebensunterhalt zahlen können. Egal wie wir es drehen und wenden.

Das Zauberwort ist für mich immer noch das Wörtchen Zeit. Ich benötige genügend Zeit, um den Patienten professionell zu pflegen. Nur dann kann ich wirklich auf seine Bedürfnisse eingehen. Wenn mir die Zeit fehlt, muß ich Kompromisse machen, um die Zeitvorgabe einhalten.

Solange wir weiterhin im Akkord arbeiten müssen, wird niemals eine wirklich professionelle, umfassende Pflege möglich sein. Wenn eine 95 jährige Patientin ihren Oberkörper am Waschbecken im Zeitlupentempo gerne selbst waschen möchte, kann ich nicht darauf eingehen, weil ich dieselbe Arbeit mindestens 4x so schnell ausführen kann.

Und genau das wird auch von mir erwartet. Nicht nur von meinem Arbeitgeber, sondern auch von den Geldgebern wie die Krankenkassen, die Zeitkorridore für die einzelnen Arbeiten vorgeben. Da heutzutage nur noch Pauschalen gezahlt werden und nicht die effektiv geleistete Arbeit in Verbindung mit der verbrauchten Zeit, ist der Begriff professionelle Pflege nur noch eine Farse. Theorie und Praxis klaffen immer weiter auseinander. Aber immer wieder wird der Fehler begangen, Theorie und Praxis nicht als Einheit anzusehen.
 
die Ärztekasino's wurden mitte der 60er Jahre im letzten Jahrhundert abgeschafft.
das wäre schön gewesen, ich habe die Ärztecasinos allerdings noch Mitter der 80er Jahre in einem Münchner KH in der Ausbildung erlebt
Das Pflegepersonal hat kein richtiges bzw. ein erheblich zu weniges Standesbewußtsein. Das ist historisch bedingt und hat die Kirche bzw. das Christentum zu verantworten. Pflege wurde als gottgefällige Tätigkeit angesehen und was gottgefällig zu sein hatte, das hat dann die Kirche oder haben deren Vertreter (Vorgesetzte in der Pflege - Stichwort konfessionell gebundene Häuser wie Diakonie und andere) bestimmt.
ich glaube nicht dass man das heute noch auf die Religionen schieben kann. Zumindest ein Tätigkeitsvorbehalt hätte mir schon ausgereicht. Aber solange jeder das machen kann was eine ausgebildete Pflegekraft macht hab ich auch Schwierigkeiten selbstbewusst zu sein

Interessant ist auch folgende Tatsache: Es geschieht sehr häufig, das Ärzte Schwestern (oder umgekehrt) heiraten. Das Pfleger Ärztinnen heiraten (oder umgekehrt) kommt wohl recht selten vor.
naja, das mag aber auch schlicht und einfach an unserem antiquierten Rollenverhalten liegen, bei dem -falls Nachwuchs kommt- die Frau eine bestimmte Zeit zu Hause bleibt um sich ums Kind zu kümmern.
Ein Arzt kann einer KS die zu Hause bleibt sicher leichter den Lebensstandard bieten den sie gewohnt ist als andersrum.
btw: glaube ich dass das ausserdem mehr an den Pflegern liegt. Faszinierenderweise haben Männer gerne mal ein Problem mit einer gesellschaftlich "höher stehenden" Partnerin
 
@Unitarier

Erkläre mir bitte, wie ich deine Worte umsetzen soll, wenn mein Arbeitgeber da anderer Meinung ist. Die meisten Pflegekräfte sind Angestellte und dem heutigen Wahn, mit immer weniger Personal immer mehr Arbeit zu schaffen, ausgeliefert. Zivilcourage ist ein gutes Stichwort. Aber spätestens dann, wenn es dich deinen Arbeitsplatz kostet hast du ein großes Problem.

Das ist wahr, leider. Das Wesen von Zivilcourage ist, das man nur Ärger hat, man bekommt kein Lob und andere fallen einem noch in den Rücken und zusätzlich kann es geschehen, das man dem Mobbing ausgesetzt wird oder gar den Arbeitsplatz verliert.
Man kann lediglich versuchen sich emotional zurückzuhalten und stringend auf der Sachebene zu argumentieren und das ohne Unterlass. Man kann auch versuchen, sich in den Betriebs,- oder Personalrat wählen lassen und zusätzlich in die Gewerkschaft eintreten. Wenn alles nicht gelingt und man sich selbst überhaupt nicht mehr mit den Arbeitsbedingungen anfreunden kann, dann bleibt nichts anderes übrig, als den Beruf zu wechseln oder den Arbeitgeber oder sich selbständig zu machen. Letzteres wäre eine Abstimmung mit den Füssen. Wenn viele diesen Weg gehen, dann fängt der Arbeitgeber und die Öffentlichkeit an nachzudenken. In der Öffentlichkeit (Fernsehen, Zeitung, Radio, Internet usw) fängt man ja an über die Folgen der Zustände in den Altenheimen und Krankenhäusern zu diskutieren. Sogar Spielfilme werden darüber gemacht, wie neulich über die Zukunft der Pflege und des Gesundheitswesens. Wie hieß der Film nochmal, liegt mir auf der Zunge, komme jetzt nicht drauf.
Das ist der schwere Weg, den ich meine!

Solange wir weiterhin im Akkord arbeiten müssen, wird niemals eine wirklich professionelle, umfassende Pflege möglich sein. Wenn eine 95 jährige Patientin ihren Oberkörper am Waschbecken im Zeitlupentempo gerne selbst waschen möchte, kann ich nicht darauf eingehen, weil ich dieselbe Arbeit mindestens 4x so schnell ausführen kann.
Da kann ich Dir nur zustimmen. Übrigens: ich bin diesen Weg gegangen, den ich oben beschrieben habe. Jetzt bin ich selbständig in der med. Fußpflege und ich bin voll und ganz zufrieden. Aber ich bin immer noch Fachkrankenpfleger und es ist nicht so, das die Pflege am Bett jetzt voll und ganz für mich verschwunden ist. In meiner Tätigkeit fallen auch andere pflegerische Tätigkeiten an, die sich als Folge oder als Vorbereitung in der Fußpflege darstellen. Wenn jemand zu Hause bettlägerig ist und ins Bett gemacht hat, dann kann ich nicht einfach meine Fußpflege machen und den Rest der ambulanten Pflege überlassen, um nur ein Beispiel zu nennen. Da ist die Hilfe jetzt erforderlich und dafür werde ich vom Patienten bezahlt und könnte es auch nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.

Und genau das wird auch von mir erwartet. Nicht nur von meinem Arbeitgeber, sondern auch von den Geldgebern wie die Krankenkassen, die Zeitkorridore für die einzelnen Arbeiten vorgeben. Da heutzutage nur noch Pauschalen gezahlt werden und nicht die effektiv geleistete Arbeit in Verbindung mit der verbrauchten Zeit, ist der Begriff professionelle Pflege nur noch eine Farse. Theorie und Praxis klaffen immer weiter auseinander. Aber immer wieder wird der Fehler begangen, Theorie und Praxis nicht als Einheit anzusehen.
Auch hier gebe ich Dir recht! Aber wir können uns nicht zurücklehnen und resignieren. Das Humanistische Prinzip steht unanfechtbar an allerhöchster Stelle aller Werte. Gerade eine Gesellschaft, die verroht, die über Werteverlust klagt und den Untergang des Anstandes bedarf der Initiativen und der Orientierung. Wir dürfen sie und damit uns selbst nicht verraten. Ich sagte es schon mal: Es gibt genügend Gründe etwas zu unterlassen, aber ebenso viel Gründe etwas zu tun. Oder anders gesagt: Wer etwas wirklich will, der findet Wege, wer nicht will, der findet Gründe. Und wer kämpft, der kann verlieren, wer aber nicht kämpft, hat schon verloren.
Es geht ja auch darum, die Gesellschaft zu verändern, aus der heraus dann mehr Menschlichkeit möglich ist und dies eben nicht nur in der Pflege.
Herzlichen Gruß
vom
Unitarier
 
ja, er wird darüber nachdenken wie froh er ist die ganzen kritischen Geister losgeworden zu sein.
Frischfleisch (im Sinne von Berufsanfängern gibts genug)

Das stimmt, ich weiß das. Aber es ist nur eine Scheinlösung und die Arbeitgeber wissen das alle. Wie heißt das so schön: Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht.

Herzlichen Gruß
vom
Unitarier
 
Hallo zusammen!
Vielleicht kann ich hier nochmal zwei Beispiele aus der Praxis anbringen, die sich bei mir zugetragen haben.

Auf der Inneren Station, auf der ich auch gearbeitet habe, gab es eine ziemlich untergewichtige Frau, die sich sehr Sorgen über ihren Zustand machte. Sie grübelte viel und litt sehr darunter. Als Reaktion verabreichte man ihr Neurocil und hat sie so regelrecht "abgeschossen". Das führte dazu, das sie nicht mehr aus dem Bett kam und völlig fertig und schwach war. Aufgrund ihres ausgezehrten Zustandes war sie deshalb dekubitusgefährdet. Deshalb habe ich in meiner Schicht immer eine adäquate Lagerung bei ihr durchgeführt. Solange ich da war, ging das. War ich jedoch nicht in der Schicht, schwupps verschwanden die Lagerungshilfsmittel aus dem Bett, das Neurocil wurde aber weitergegeben. Nach drei Tagen ist mir dann der Kragen geplatzt. Ich habe mit der Stationsschwester gesprochen und mein Unverständnis über die Tatenlosigkeit des Personals angebracht, mich beschwert über die Aufhebung der Lagerung durch entfernen der Lagerungshilfmittel und erklärt, ich ginge jetzt zum zuständigen Stationsarzt und sage ihm, er möge das Neurocil streichen und bat die Stationsschwester zu veranlassen, der Frau stattdessen mehr Zuwendung zu geben und in meiner Schicht würde ich, was mich angeht, mir dafür einfach die Zeit nehmen. Wäsche, die einsortiert werden muss und die Spüle, die gesäubert werden soll, kann dann noch auf den Abend, kurz vor den Feierabend verschoben werden, das hier sei für mich jetzt wichtiger, argumentierte ich. Tatsächlich wurde das Neurocil gestrichen und die Situation verbesserte sich. Da allerdings stand die Stationsschwester hinter mir, aber erst nachdem ich etwas in Gang gesetzt hatte.
Auf diese Weise habe ich es geschafft, die Frau aus dem Bett zu bekommen. Sie erholte sich rasch und konnte auch dann bald wieder nach Hause. Sie aß jetzt auch wieder mehr. Sie war mir dafür sehr dankbar und hat es bis zu ihrem Tode nicht vergessen. Sie verstarb zwei Jahre später, nachdem ich, nach dem Aussteigen aus dem Krankenhaus, sie noch in der Fußpflege betreuen konnte.

Oder dies hier: auf unsere Station wurde eine junge Frau eingeliefert, die eigentlich einen psychiatrischen Notfall darstellte. Das interessierte aber offenbar keinen und von der Station hat man die Verlegung auf unsere Station einfach hingenommen und sich nicht beschwert, obwohl hier für sie definitiv keine Ressourcen vorhanden waren, sie fachgerecht aufzufangen und zu betreuen. Sie brauchte ständig jemanden um sich. Das hatte der Stationsarzt zu verantworten. Zu dem konnte ich nicht hingehen, denn der wollte davon nichts wissen und war auch gar nicht ansprechbar deswegen. Ich bin dann einfach zum Chefarzt der Inneren gegangen und habe ihm gesagt (dabei habe ich die Stationsschwester übergangen, denn die hat, von mir darauf angesprochen, nur mit den Achseln gezuckt), das wir (ich habe einfach frecherweise diese Formulierung gewählt) nicht in der Lage sind, uns fachgerecht um die junge Frau zu kümmern und das wir die Folgen dieser Tatsache im Sinne von gefährlicher Pflege ablehnen. Die Frau hätte eigentlich nichts bei uns zu suchen und müsste in die Psychiatrie. Dort bekäme sie die Hilfe, die sie jetzt dringend bräuchte.
Na, da war was los hinterher! Den Chefarzt "angemacht" und den Stationsarzt und die Stationsschwester "übergangen". Da hatte ich ganz schlechte Karten. Aber: es dauerte keine zwei Stunden, da war die junge Frau verlegt und zwar dahin, wo sie hingehört. Und das ganze Theater nur, damit ein Bett belegt wurde auf der Station. Das war noch vor der Fallpauschalenregelung.
Zum ****en fand ich das! Die Folgen für mich habe ich gar nicht überlegt in der Situation, denn ich war mir sicher: es gab kein Argument, das mich widerlegen könnte und darauf setzte ich und so habe ich auch auf die nachfolgenden Angriffe argumentativ reagiert. Meinen Arbeitsplatz habe ich nicht verloren, aber irgendwie war ich doch isoliert.

Herzlichen Gruß
vom
Unitarier
 
Hallo stormrider,

genau das:

stormrider schrieb:
Das Zauberwort ist für mich immer noch das Wörtchen Zeit. Ich benötige genügend Zeit, um den Patienten professionell zu pflegen. Nur dann kann ich wirklich auf seine Bedürfnisse eingehen. Wenn mir die Zeit fehlt, muß ich Kompromisse machen, um die Zeitvorgabe einhalten.

Nicht, dass - auch in meinem Arbeitsbereich der Reha - die Veweildauer geschrumpft ist, ist das Problem. Aber dass jede Berufsgruppe - und nicht nur die Pflege - quasi auf zeitliche Einheitsportionen reduziert wurde. Das erinnert mich irgendwie an Momo und die grauen Herren. Denn die Patienten rehabilitieren sich zum Teil selber, wenn ich ihnen die Möglichkeit - und dazu gehört auch ein zeitlicher Rahmen - dazu gebe.

Ich versuche immer wieder, diese Erkenntnis auch nach oben zu tragen. Die Antwort lautet jedoch unisono: Wir müssen Prioritäten setzen (heißt: noch mehr weglassen), kleinere Ziele wählen (Ansprüche herunterschrauben an mich und das Team und den Rehaerfolg), mehr Absprachen treffen (mit wem? Jeder hat die doppelte Patientenzahl zu versorgen wie vor drei Jahren) und mehr delegieren (hier wieder: an wen denn noch?).

Insofern scheint die Situation ausweglos. Ich habe auch keine wirklich zündende Idee, wie man diesen alltäglichen Dauerstress kappen könnte. Ich setze meine eigenen Energien ein, um zu kompensieren. Genau genommen lebe ich von der Substanz. Ja, ich bin ratlos. Und so ergeht es dem Gros der Pflegenden. Wir sind also modernes Kanonenfutter. Aber gleichzeitig spüre ich genau, dass ich das für mich so nicht stehen lassen kann und will.

In solch einer Gedankensackgasse komme ich immer wieder auf die aus meiner Sicht zwingend notwendige Gründung einer Pflegekammer als Lobbyinstrument. Mir ist bewusst, dass auch dies sehr kontrovers diskutiert wird. Aber die Berufsgruppe ist so immens groß, dass sie - gäbe es ein solches zentrales Instrument - politisches Gewicht auf die Waage brächte, das nicht ignoriert werden kann. Da habe ich den ketzerischen Gedanken, dass die Gründung einer solchen Instanz evtl. gezielt vereitelt werden könnte. Oder liegt es wirklich nur an der vorherrschend leidensfähigen Mentalität der Pflegenden? Lasst mich nicht annehmen, dass diese selbstzerstörerische Haltung wirklich der einzige Grund dafür ist ... Stellt euch vor, sie gründen eine Pflegekammer und keiner geht hin ... Es ist unbestritten, dass die Arbeitszeiten und Bedingungen und die fürsorgliche Mentalität in unserer Berufsgruppe nicht gerade streikfreudig sind. Wir richten es immer so ein, dass es irgendwie weitergeht. Vielleicht ist das falsch.

Was hält uns eigentlich davon ab? Die scheinbare Unvereinbarkeit pflegerischer Interessen? Der unendliche Individualismus? Das subjektive Empfinden des Einzelkämpfertums nach dem Motto: Nur was ich selber mache, ist gut gemacht?

Die Diskrepanz zwischen der echten Liebe zum Pflegeberuf und dem, was unsere Gesellschaft heute daraus macht, ist eigentlich nicht mehr hinnehmbar.

Alles Gute für euch und uns wünscht
Berthild
 
Hallo zusammen!
Ich möchte zur Bekräftigung, auch zu dem was Berthild hier geäußert hat mal einige Links hier hineinsetzen, wo in den angebotenen Seiten inhaltlich haargenau das beschrieben wird, worum wir uns zu kümmern haben, bzw. das was ich meine untermauert wird, falls es noch immer nicht verstanden wurde.
Es sei dazu gesagt, dass mir bewußt ist, dass die Texte sich hier auf eine intensive Pflege beziehen, die so auf der "normalen Station" nicht stattfindet. Dennoch wird in den Beiträgen eine wegweisende innere Haltung ausgedrückt, die die Chance bietet, zufriedener und damit professioneller, allumfassend und damit ganzheitlicher im Beruf zu sein. Da kann man sich viel abgucken, auch für die "Normalstation"! Das sei allen Auszubildenden, allen Ausbildern, allen Vorgesetzten und zum besseren Verständnis auch allen Ärzten ans Herz gelegt.

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PS: Die Schreibfehler im Link habe ich nicht zu verantworten, das ist automatisch so geschehen. Warum weiß ich nicht, aber die Links funktionieren, deshalb habe ich da nichts geändert.

Herzliche Grüße
vom
Unitarier :flowerpower:
 
Krankenpflege, Pflege überhaupt, findet nicht außerhalb eines gesellschaftlichen Kontext statt. Ethische Normen und moralische Vorstellungen werden durch diese geprägt. Bösartig könnte man sagen: jedes Volk bekommt die Versorgung die es will.

Ich sehe mich mittlerweile als Dienstleister- nicht als Geschöpf das aus Nächstenliebe handelt weil es sonst kein anderer tut. Und ich versuche meine Kinder so zu erziehen, dass sie begreifen das man vor der Schöpfung Ehrfurcht haben sollte. Mehr kann und will ich für die Gesellschaft nicht leisten. Meine Gesundheit und die meiner Familie geht mir mittlerweile vor.

Um basal arbeiten zu können bedarf es bestimmter Voraussetzungen. Ich erinnere mich an ein Seminar in einer Altenpflegeeinrichtung- dort habe ich mich entschuldigt für meine Ideen als ich deren Arbeitsbedingungen gehört und gesehen hatte.

Elisabeth
 
Hallo Elisabeth!

Krankenpflege, Pflege überhaupt, findet nicht außerhalb eines gesellschaftlichen Kontext statt. Ethische Normen und moralische Vorstellungen werden durch diese geprägt. Bösartig könnte man sagen: jedes Volk bekommt die Versorgung die es will.
Das kann man so sehen. Deshalb sprach ich ja davon, des es einen sozialen Umbruch geben muß. Ein Prozess, in dem wir eigentlich schon drinstecken. Wir sollten das allerdings zu spüren bekommen. Wir sind dabei auch auf politische Führung angewiesen, genauso wie wir in der Verantwortung sind, diejenigen zu wählen, von denen wir am ehesten Erfolge aus den Bemühungen zur Durchsetzung einen Umbruches erwarten können. Das impliziert politisches und berufpolitisches Interesse.

Ich sehe mich mittlerweile als Dienstleister- nicht als Geschöpf das aus Nächstenliebe handelt weil es sonst kein anderer tut.
Nächstenliebe hat seine Grenzen, nämlich dort, wo man selbst überfordert wird. Man wird krank oder rettet sich in die Flucht, was keine adäquate Lösung darstellt. Ich denke, man sollte Pflege mit Hingabe tun bzw. tun können und dürfen. Das meint nicht, das man sich und seine eigenen Bedürfnisse aufgibt. Jeder des Pflegepersonals hat ein Recht auf die Befriedigung eigener Bedürfnisse, was wiederum nicht heißt, dem Personal in allen seinen Wünschen zu Willen zu sein und sie verhätscheln. Wenn das am Arbeistplatz gelingt, entsteht Selbstliebe (natürlich nicht nur da), die wir brauchen, um Schuldgefühle durch insuffiziente Pflege zu eleminieren.
Diese Selbstliebe entsteht nur in einer Umgebung, die mir das Feedback gibt, gebraucht, anerkannt, geliebt und wertgeschätzt zu werden. Diese Rückmeldung muss von uns, dem Pflegepersonal eingefordert werden. Die Zuneigung der Patienten und Angehörigen ist wertvoll, wichtig und essentiell, aber eben nicht ausreichend! Besonders dort wo Kommunikationsstörungen im Pflegeprozess auftreten, ist man auf die Unterstützung der Kollegen, Vorgesetzten und Ärzte besonders angewiesen. Was nützt mir das, wenn der Arbeitgeber, möglicherweise auch Kollegen oder Vorgesetzte andere Vorstellungen haben, aus welchen Gründen auch immer, und gegen die rechtmäßigen elementaren Grundbedürfnisse zur Verwirklichung von befriedigender Pflege verstoßen? Da wird einem das Leben nur schwer gemacht. Was das für Folgen hat, brauche ich wohl nicht näher zu erläutern.
Hingabe ist meines Erachtens jedoch die Essenz des Dienens. Sie kann nur mit Liebe, die in entsprechender Umgebung gedeiht, verwirklicht werden. Dienern, Resignation und innere Emigration dagegen ist Selbstaufgabe und hat nichts mit Liebe und auch nichts mit Eigenliebe zu tun!
Was wäre also gegen eine Dienstleistung mit Hingabe einzuwenden? Tut man das nicht auch, abgesehen vom finanziellen Verdienst, wegen eines guten Gewissens, wegen einer humanistischen Gesinnung und somit auch aus der Erwartung eigener guter Lebensqualität heraus? Ist das nicht auch eigener Lebenssinn?

Meine Gesundheit und die meiner Familie geht mir mittlerweile vor.
Das schließt die von mir beschriebene Haltung keineswegs aus. Beides hängt elementar zusammen, bedingt sich sogar, meine ich!

Herzliche Grüße
vom
Unitarier
 

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