Abschied von der Solidarität

Der Kunde lässt sich net betrügen mit Schwarz-Weiß. Er erkennt sehr wohl, dass zwischen solchen Exoten, wie z.B. du es bist und ich einmal war, und vielen Kollegen vor Ort Welten liegen. Man sollte den Kunden net für dumm halten.

Was ich für sinnvoll halte, dem Kunden nahe bringen: es braucht ein gesundes Verhältnis zwischen Fachpersonal (und hier meine ich FACHpersonal) und Assistenzkräften. Wie das Verhältnis ist, sollte sich aus den Arbeitaufgaben ergeben.
„Nicht jede Tätigkeit ist nur deswegen qualitativ hochwertig, weil sie von einer examinierten Pflegekraft durchgeführt wird“

Ein schöner Aufhänger zum differenzieren:
– Primärtätigkeiten (Pflegeanamnese, Pflegeplanung, Pflegeevaluation,
Schulung, Beratung, Anleitung, Unterstützung)
– Sekundärtätigkeiten (Pflegemaßnahmen durchführen, Pflegedokumentation,...)
– Tertiärtätigkeiten (administrative Tätigkeiten, Logistik, Arztsekretariat,...)
Ist mal Graudenz in einem Vortrag zu lesen gewesen- leider net mehr online.

Pflegemaßnahmen durchführen und die Durchführung dokumentieren- wird heute schon vielerorts von Hilfskräften gemacht.
Administrative Tätigkeiten, Logistik, Arztsekretariat- ebenfalls bereits delegiert.
Nur die Primäraufgabe- die findest du im klinischen Bereich kaum verbreitet. Dafür hat Pflege sich der Übernahme ärztl. Tätigkeiten zugewendet.

Wieviel Kräfte brauchst du tägl. um diese Tätigkeiten zu übernehmen? Und müssen es wirklich GuKs sein, oder reichen da auch MFAs? Fragen, denen man sich stellen muss, wenn man die gesundheitsökonomische Entwicklung betrachtet. Wie brisant dies ist, kann man aktuell schön erkennen an den Aktivitäten von Rösler, der versucht, dass System halbwegs am laufen zu halten.

Wieviel GuKs braucht es zur Überwachung der Pflege? Es gibt auch im KH bereits heute die Schichtführung. Zur Überwachung und Kontrolle- braucht es da auf vielen Stationen tatsächlich mehr?

Elisabeth

PS Ich komme aus dem klinischen Bereich und kann mich demzufolge nur darauf beziehen.
 
Sei es nun Essen reichen, Kontrakturprophylaxe bei der Ganzkörperwaschung, Pneumonieprophylaxe bei der Mobilisierung, Thromboseprophylaxe bei der Lagerung usw. usf. So umfassend können das andere Fachdisziplinen nicht leisten. Natürlich kann, und muss sogar, eine Pflegefachkraft neben den Angehörigen auch andere sog. Hilfskräfte anleiten. Aber sie kann diese nur anleiten, weil diese Tätigkeiten eben originär pflegerische Tätigkeiten sind. Und diese Anleitung muss bei jedem Patienten neu erfolgen. Aber auch dann kann die Hilfskraft nur eine unterstützende Funktion einnehmen, weil sie eben nicht den Überblick über all die anderen Komponenten hat. Die Pflegefachkraft führt, während sie "mal eben nebenher" das Essen reicht, nämlich auch ganz viele andere Dinge aus: die Bewusstseinslage einschätzen, die Mobilität, den Ernährungsstatus, Sprache, usw. usf. und die Veränderungen in diesen Bereichen.
Und das soll an Hilfskräfte abgegeben werden?
Hallo Philipp,

genau drauf bezog sich mein Einwand wenn von "der Pflege" gesprochen wird. In der stationären Altenpflege arbeiten bereits bis zu 50% Pflegekräfte ohne Ausbildung. Sie leisten bereits 70% der sogenannten Grundpflege. All das allerdings im Rahmen einer Satt-sauber-Akkordpflege. D.h. in einem grossen und vor allem rasant wachsenden Bereich der Pflege ist das alles längst Realität, wogegen du noch anschreibst.

Das im Rahmen einer Akkordpflege pflegefachliche Argumente, die über satt-sauber hinausgehen, keine Rolle mehr spielen, ergibt sich im Laufe der Zeit automatisch.

Das grundsätzliche Problem ist also, dass sich das Berufsbild der Pflegefachkraft aus (angeblich) ökonomischen Zwängen heraus verändert, und keinesfalls aus pflegefachlichen. Ich habe auch hier schon mehrfach auf Quellen hingewiesen, die belegen,dass es diesen ökonomischen Zwang nicht gibt, sondern nur einen perversen Lobbyismus innerhalb des Gesundheitswesens zu Lasten der Pflege.

„Aus einem modernen Pflege- und Berufsverständnis sowie aus pflegewissenschaftlicher Sicht kann es keine Unterscheidung von Grund- und Behandlungspflege geben.“ Pflege heute. Lehrbuch für Pflegeberufe. 3. vollst. überarbeitete Auflage. Urban und Fischer, 2004, S. 130. Andere Lehrbücher führen die Begriffe Grund- und Behandlungspflege nicht einmal im Stichwortverzeichnis auf, z. B Thieme´s Pflege.Professionalität erleben. 10. völlig neu bearbeitete Aufl. Thieme 2004. Die Pflegewissenschaftlerin Elke Müller stellt in ihrer Monographie „Leitbilder der Pflege“ (Huber Verlag, Bern, 2001) die Unterscheidung von Grund- und Behandlungspflege unter die Überschrift „Der berufsfremde Blick auf Pflege in der Bundesrepublik Deutschland“ (S. 103 ff.).
Ich habe allerdings keinerlei Zweifel, dass sich auch die Pflegewissenschaft dem ökonomischen Druck unterwerfen wird, bzw. dies zwischenzeitlich schon getan hat.

Grüsse
 
Erklär mir die sinkenden Sozialeinnahmen in den nächsten Jahren. Wie bekommst du aus weniger Berufstätigen mehr Geld heraus? Geht ja dabei net nur um die Krankenkassenbeiträge. Pflege, Rente und Alg will auch bezahlt sein.

Siehe: http://www.demografie.sachsen.de/img/freistaat/413_bev_sachsen_alter_gesch.gif

Das sich diese Entwicklung ändern wird, ist net anzunehmen. dafür ist der Trend zum Kind einfach net da. Bös gesagt: die geburtenstarken Jahrgänge bedienen sich an den geburtenschwachen. Dummerweise werden mit dem Fortschreiten der Segnungen der modernen Medizin und dem steigenden Alter der Bevölkerung auch die Kosten steigen.

Und bitte jetzt net wieder das Argument: die Verwaltungskosten der Krankenkassen. Das kommt einem Tropfen auf einem Heißen Stein gleich. Die Kosten für die Pharmaindustrie? Das kannst net ändern, liegt in der Gesellschaftsordnung. ...
Rößler hat es gewagt, die Büchse der Pandora zu öffnen. Man kann einen Blick hineinwerfen. Die Zusatzbeiträge dürfte lediglich der Anfang sein, wenn es um die Finanzierung des Gesundheitswesens geht.

Elisabeth
 
Geld ist im Gesundheitswesen da. Es ist nur eine Frage der Verteilung und der Erlösgenerierung.
Schöne Beispiele sind für mich die steigenden Gehälter im ärztlichen Bereich und die steigenden Gewinner der Pharmaindustrie. Ich rede nicht von den Kosten im Pharmabereich. Zulassungsverfahren usw. sind extrem teuer. Aber diese Zulassungsverfahren werden ja schon seit Jahren kritisiert ebenso wie die Preispolitik. das Geld ist anscheinend da und die Bevölkerung ist anscheinend auch bereit, es auszugeben. Jetzt gilt es eben, dieses Geld anders zu verteilen, indem man z.B. der Bevölkerung ein anderes Bild von Pflege vermittelt. Diese Aussage negiert nicht den unbestreitbaren Demographischen Wandel, stellt diesen aber in ein anderes Licht.
Dass sich die Pflegewissenschaften diesem Druck gebeugt haben, kann ich zum Glück nicht bestätigen. Einer meiner Dozenten ist Mitglied und recht aktiv in der DGP e.V. und mit dem hatte ich neulich noch ein Gespräch genau darüber. Weil ich die Ansicht vertreten habe, dass Assistenzkräfte evtl. auch eine Chance für die Pflege bedeuten können. Und zwar dass die Pflegenden von sog. "unqualifizierten" Tätigkeiten entlastet werden und sich auf "qualifizierte" Tätigkeiten konzentrieren können. Er bestreitet dies vehement und sieht da, wie ich übrigens inzwischen auch, einen Weg in die Deprofessionalisierung. Also da scheinen wir die Pflegewissenschaftler (noch) auf unserer Seite zu haben.
Und Aussagen wie "Das kann man sowieso nicht ändern." klingen verdächtig nach "Das haben wir schon immer so gemacht".
Na, kommt einem das bekannt vor? Und prangern wir das nicht immer an und predigen unseren Schülern dieses Denken abzulegen bzw. bei anderen nicht zu akzeptieren?
Also: ***** huh, Zäng ussenander! wie der Kölner sagt.
Gruß
Philipp
 
Hallo Elisabeth,

wir hatten die Diskussion ja schon:

Deutschland gibt etwa genau so viel Geld für Gesundheit aus wie andere Länder, aber bedeutend weniger für die Pflege, und dass bei einer durchschnittlich älteren Bevölkerung. Da drängt sich mir die Frage auf, wofür denn das Geld ausgegeben wird, wenn nicht für die Pflege? Als nächstes drängt sich die Frage auf, warum gerade bei uns die Pflege offensichtlich einen geringeren Stellenwert innehat? Das alles hat rein gar nichts mit fehlenden Sozialeinnahmen und geringerer Geburtenrate zu tun, wir geben das Geld ja jetzt schon aus, aber eben nicht für Pflege. Und darüber lohnt es sich schon nachzudenken. Eine Lösung lautet zunächst also Umverteilung, Veränderung der Prioritäten.
http://www.krankenschwester.de/foru...tz-bezieher-pflege-einsetzen-zuwanderung.html

liegt in der Gesellschaftsordnung
Zumindest liegen wir, was diese Behauptung angeht, weit auseinander. Das unsere Gesellschaftsordung sich ständig gravierend verändert, ist eine Binsenweisheit. Die Abschaffung der Wehrpflicht ist das aktuelle Beipiel. Die Frage ist doch nur, für welche Veränderungen man sich einsetzt, wofür man bereit ist, zu kämpfen.

Die Frage, was dieser Gesellschaft Pflege wert ist, muss beantwortet werden. Und ich glaube, es handelt sich um eine offene Frage. Ansonsten würde ich auch nicht mehr darüber diskutieren.