Tätigkeitsbericht: Tagesklinik

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Brady

Gast
Ein ganz normaler Montag Morgen in der Tagesklinik. Es ist eine psychiatrische-psychotherapeutische Tagesklinik mit 15 Plätzen mitten in Duisburg-Zentrum.
Wir haben zudem einen hohen Prozentsatz türkischer und kurdischer Menschen in unserer Klinik.

Meistens bin ich schon um 07.45 Uhr auf der Arbeit, mein Dienstbeginn ist um 08:00 Uhr. Da aber ständig Stau auf den Autobahnen ist, fahre ich früher los. Ich bin die erste um diese Uhrzeit im Dienst und schließe die Türen der Tagesklinik auf und am Ende 16:30 Uhr auch wieder zu.

In dieser Zeit schalte ich den PC an, schaue in den Kalender welche Patienten heute zur Aufnahme kommen. Wir haben geplante Aufnahmen (meistens Montags), die Vorauswahl dafür treffe ich in einem Informations-, bzw. Beratungsgespräch.

Um 08.05 Uhr ist die erste Großgruppe; die so genannte Morgenrunde. Patienten die neu sind, begleite ich dorthin. Ich moderiere diese Gruppe. Erkläre den Sinn und Zweck dieser Runde. Vieles was in dieser Runde besprochen wird sind organisatorische Dinge.

Die neuen Patienten bekommen den "Patientensprecher" an die Hand, damit er ihnen noch mal erklärt wo was ist und wie der Ablauf vor sich geht. Macht es auch den „Neuen“ einfacher, wenn ihnen ein Patient zur Seite steht.
Natürlich geht alles nicht reibungslos ab. Der eine neue Patient hat z.B. keinen Einweisungsschein dabei, vergessen, liegt zuhause, falscher Schein …anstelle Einweisung ist es eine Überweisung, usw…Diesen Patienten schicke ich dann wieder los, um den Einweisungsschein zu besorgen.

Dann Patienten, die dann überhaupt nicht zur Aufnahme erscheinen, andere wiederum die Angst bekommen und wieder gehen.
Dann Patienten, die nicht pünktlich kommen, mit denen muss ich mich auseinandersetzen was los war. Angefangen von Bus verpasst oder meine Mutter hat mich nicht geweckt.
Andere wiederum, die sich abgewöhnen wollen pünktlich zu erscheinen, weil sie es ihr ganzes Leben gemacht haben pünktlich zu kommen.
Ich muss dann auf unsere Regeln pochen und diese vertreten.

Bei Patienten die öfter zu spät kommen, bespreche ich dies im Detail. Bei Patienten, die diese Regeln nicht einhalten wollen, können, usw. überlege ich andere Schritte.
Alles was hier passiert ist eindeutig Kommunikation - Interaktion. Auseinandersetzung die schon sehr anstrengend ist.

Abgesehen von den administrativen Dingen, die auch nicht unerheblich sind.

Ein anderer Patient will heute eher die TK verlassen, weil sein Kind heute Geburtstag hat. Wieder Auseinandersetzung….Ich muss entscheiden, wann es gerechtfertigt ist und wann nicht. Ich muss meine Entscheidungen auch im Team vertreten. Ein anderer Patient hat ein Gespräch bei seinem Arbeitgeber, auch hier wäge ich erst die Hintergründe ab.

Dann wiederum überlege ich, ob ich den Patienten anrufe, der heute Morgen nicht gekommen ist. Ist es ein Patient den ich kenne, werde ich auch dieses abwägen müssen. Ein anderer Patient traut sich nicht in die Gruppe; braucht meinen Zuspruch. Versuche es ihm leichter zu machen. Dies muss ich alles bis 8:30 Uhr erledigt haben. Denn dann gibt es gemeinsames Frühstück.

Die Patienten die diesen Dienst des Kaffee kochens und Tische decken haben sind sauer, jemand von den Mitpatienten hat sich vor diesen Dienst gedrückt.
Ich wieder mal hin um zu klären. Andere Patienten übernehmen wieder alles an Aufgaben in der Küche, diese werde ich dann bremsen.

Am Frühstückstisch schaue ich, ob alle Patienten anwesend sind. Nein, natürlich nicht. Ich gehe also los und suche die Patienten die fehlen. Der eine Patient hat keinen Hunger; hätte schon gefrühstückt, der nächste liegt im Ruheraum, will nicht in dieser großen Runde sitzen. Auch mit diesen Patienten setze ich mich auseinander, da es zum Therapieprogramm dazu gehört, an den Mahlzeiten teilzunehmen, auch wenn sie nichts zu sich nehmen.

Es ist alles immer individuell zu klären und auch zu regeln. Ich muss sehr oft schnell entscheiden. Manche Dinge aber kann ich auch verschieben um sie mit ins Team zu nehmen.

Weiter geht’s zum Frühstück. Der junge Patient hat seinen Walkmann in den Ohren. Bitte ihn diese raus zunehmen. Er ist sauer, boh…wenn Blicke töten könnten *gg*. Nun es ist auch wichtig, dass in der Patientengruppe Kommunikation entsteht. Mit Kopfhörern geht das nur sehr schlecht. Ein anderer will nach 5 Minuten den Frühstückstisch verlassen. Ich frage dann nach. Dies gefällt dem Patienten nun gar nicht. Fragt mich dann: „Was denken Sie eigentlich wer sie sind?“. Bleibe ruhig und versuche zu klären, was ihn bewegt.

Nach dem Frühstück mache ich die Papiere für die Anmeldung der Patienten fertig.Um 09:15 Uhr ist die Wochenanfangsrunde. Hier wechseln sich alle Berufsgruppen mit der Moderation ab. Die Themen für die Patienten, die schon länger in der TK sind: „Wie war ihr Wochenende?“ „ Mit welchem Gefühl kommen sie in die TK?“ „Welches ist ihr Thema oder ihr Problem woran sie diese Woche arbeiten möchten?“

Dann ist es wieder meine Aufgabe zu schauen, ob alle Patienten da sind. Hole einige dazu, aus unterschiedlichsten Gründen erscheinen sie nicht von alleine. Obwohl alle einen Therapieplan haben. Der eine aus Angst, der nächste will abbrechen, ein anderer hat die Zeit vergessen, usw…
Diese Gruppe dauert auch bis ca. 10.00 Uhr.

Danach haben wir im Team eine Nachbeprechung der Wochenanfangsrunde bis ca. 10:30 Uhr. Hier wird auch besprochen, in welche Gruppe kommt der Patient. Dieses Aufnahmegespräch dauert ungefähr eine halbe Stunde und wird zu dritt geführt. Patient/Pflege/Arzt.

Dann haben wir schon Mittagsessenzeit und es geht weiter….Sind alle am Mittagstisch?

Dann noch die anderen Patienten, eine Frau hatte Streit am Wochenende mit ihrem Ehemann. Bei dem anderen Patienten hege ich den Verdacht, dass er wieder Drogen genommen hat. Ein Drogenscreening wird angesetzt. Frage ihn auch offen danach.

Diese Gespräche versuche ich dann auch zu planen. Vieles ist aber auch im direkten Kontakt nur möglich und bedarf keines Aufschubs. Ich habe jetzt die grobe Struktur versucht zu beschrieben. Inhaltlich geht dieses so im Detail meiner Arbeit nicht. Weil eben vieles im Prozess entsteht. Durch Gruppendynamik und durch die Intervention jedes einzelnen.


Hoffe, es ist verständlich. Wenn nicht, einfach fragen.

Liebe Grüße Brady
 
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Reaktionen: panki und Admin
Hi Brady,

ich fand Deine Bericht sehr verständlich und anschaulich, wahrscheinlich auch weil mir die Arbeit von meiner vorherigen Station her bekannt ist...

Es ist eine ganz andere Belastung als z. B. die Arbeit auf einer somatischen Station, wo man eher (aber nicht nur...) körperlich an seine Grenzen kommt, weil man die ganze Schicht nur "rumgeflitzt" ist.

Ich erinnere mich noch gut an das Gefühl vor lauter Gesprächen, Klärungen und interdisziplinärem Austausch kaum noch Platz im Kopf zu haben und das dringende Bedürfnis, sich nach dem Dienst körperlich auszupowern, um den Kopf wieder frei zu bekommen.


LG
 
Hallo Brady!

Ich finde deinen Bericht auch recht verständlich.
Nur eine Frage: Es hört sich in deinem Bericht an als würdest du das alles alleine machen... hast du noch pflegerische Kollegen? Machen die das gleiche wie du oder was anderes?

Viele Grüße,
es
 
Hallo es,

ich habe noch eine pflegerische Kollegin mit einer halben Stelle. Diese übernimmt natürlich auch diese Dinge.

Beziehungsweise teilen wir uns dann auch planbare pflegerische Aufgaben ein.

Was natürlich auch nicht immer möglich ist durch akute Situationen, die sofort geklärt und bearbeitet werden müssen.

Leider kommt es oft vor, dass ich alleine im Dienst bin. Bedingt auch durch Überstunden, die meine Kollegin dann wieder abfeiern muss. Deshalb habe ich auch diese Darstellungsform meiner Arbeit gewählt.

Liebe Grüße Brady
 
Hallo brady,
Danke für deinen anschaulichen und interessanten Bericht.
Es ist schon echt spannend wie völlig unterschiedlich unsere Tätigkeitsbereiche und unsere Aufgaben sein können, obwohl wir den gleichen (Basis-)Beruf haben.
liebe grüsse, und wie gesagt...:troesten:
 
Hallo panki,

da hast du auf jeden Fall recht. Unser Beruf ist so vielseitig und interessant, könnte mir nichts anderes vorstellen.
Ich stehe auch oft da und staune, wenn ich Kollegen aus anderen Fachbereichen lese. Es ist gut, dass wir so weitreichend vertretend sind.
Das ist unsere Stärke.

Liebe Grüße Brady:troesten:
 
Hallo Brady, ganz herzlichen Dank fuer Deinen informativen Bericht!:daumen:

Jetzt kann ich mir auch schon eher was unter der Arbeit in einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Tagesklinik vorstellen.

Was passiert eigentlich, wenn ein Patient, bei dem Du entschieden hast, dass er frueher nach Hause darf/ heimgeschickt wird, etwas passiert? Sagen wir mal, er ist in einen Verkehrsunfall verwickelt...

Genauso gut haette die ganze Sache ja passieren koennen, wenn er zur eigentlich vorgesehenen Zeit auf dem Heimweg gewesen waere.
Musst Du dann Deine Entscheidung (des frueher Heimschickens) noch mal rechtfertigen/begruenden?
 
Hallo Aloha,

da hast Du schon recht, ich muss immer gut begründen können warum ein Patient die Tagesklinik eher verlässt. Das werde ich dann auch sehr deutlich dokumentieren.

Meistens sind es aber auch keine spontanen Termine, sondern kann im Team vorher besprochen werden.

Unvorhergehende Fälle, wie Kind ist in der Schule verunglückt, Mutter liegt im Sterben, sind natürlich Fälle wo man demjenigen nicht vorschreibt, sie müssen jetzt hierbleiben.

Es muss schon triftige Gründe geben und das ist immer individuell zu entscheiden.

Besonders deutlich würde es werden, wenn nach der Tagesklinik auch nach der regulären Zeit ein ein Suizid passieren sollte.
Was ich "Gott sei Dank" noch nicht erlebt habe.

Liebe Grüße Brady
 
Danke fuer Deine Antwort!:daumen:

Nachdem man sich ja heutzutage fuer fast jeden „Fall der Faelle“ absichern sollte, habe ich mich gefragt, wie Ihr das macht.
 
Hallo Aloha,

mit dem absichern hast du wohl recht. Gerade bei Menschen, denen es schlecht geht und ich überlegen muss, kann ich sie nach hause lassen, ist es oft schwierig.

Wenn es jemanden so schlecht geht und ich denke, er ist suizidal rufe ich den AVD an und bereite eine Verlegung auf die Station vor. Leider ist es meistens so, dass der Patient diesen Arzt nicht kennt und es ist eine Gratwanderung, einerseits die Beziehung aufrecht zu erhalten und auf der anderen Seite mich auch abzusichern.

Auch so, dass erstmal die Vertrauensbasis einen Knick bekommt, weil er nicht auf eine geschlossene Station will, oder auch so dass ich den Patienten auch die Entscheidung abnehme und sage: "Sie gehen jetzt auf die Station". Dies kann dann auch als eine Erleichterung für den Patienten gesehen werden. Immer wieder individuell.

Liebe Grüße und schönes Wochenende Brady
 
Da spielt die Arbeitserfahrung im psychiatrischen Bereich mit Sicherheit eine sehr grosse Rolle, um solche Entscheidungen treffen und verantworten zu koennen.

Es gibt aber doch sicherlich auch Patienten, die stabil erscheinen, aber es ganz und gar nicht sind. Habt Ihr ein gutes Gespuer fuer solche „schauspielerischen“ Leistungen?

Euch allen auch ein schoenes Wochenende (ich vergesse immer, dass es bei Euch ja schon abends ist – hier ists grad mal 12 Uhr mittags und ich habe den Grossteil des Freitags noch vor mir...:D)!!!
 
Hallo Aloha,

ich habe verstanden wie Du das meinst mit "schauspielerischen Leistungen" und ich denke schon, dass es mit Erfahrung und guten Teamabsprachen zu tun hat.

Nun ist es auch so, dass wir im Vorfeld "stabile" Patienten aufnehmen, aber im Laufe der Therapie auch dekompensieren können. Wie weit das aber so ist, stellt sich auch erst im Verlauf heraus.

Jeder kommt zu uns und hofft, dass es ihm besser gehen soll und es geschieht innerhalb der Therapie, dass Dinge angesprochen werden, die weh tun, die unangenehm sind, die eventuell verletzen, um sie aber auch zu verarbeiten. Denn ohne Gefühle, kann man nichts verarbeiten. Vom Kopf her wissen viele Menschen mehr über sich, aber die Umsetzung ist das Schwierige.

Wo wir auch behaupten, Krisen sind nicht nur schlecht, sondern zeigen uns, dass es so nicht weitergehen kann. Es kann und darf so nicht weitergehen. Es muss eine andere "Richtung" eingeschlagen werden.

Liebe Grüße Brady
 
Hallo Brady!
In welchen Fällen würdest du sofort den Arzt anrufen?
Und kommt es vor, dass Pat. NICHT nach Hause wollen?
 
Hallo Ev,

wenn jemand suizidale Gedanken äußert. Wenn es Dinge gibt, die nur vom Arzt entschieden werden können. Wenn ich denke, dass ich eine Situation nicht alleine entscheiden sollte oder kann. Es ist immer individuell.

Ja, das kommt auch vor, dass Patienten nicht nach Hause wollen und lieber auf die Station gehen.

Liebe Grüße Brady
 

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