"Pflegerische Patientenverfügung"? Gibt es so was?

Neuromaus

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Gibt es sowas wie eine "pflegerische Patientenverfügung"?
Also, dass ich als Patient festlegen kann, was für mich pflegerisch in Ordnung ist und was nicht? Hat mich letztens eine Patientin gefragt, und ich hab gesagt, dass ich es nicht weiß, mich aber mal erkundigen werde.
Schreiben kann man vieles, also klar kann ein Patient sich einen Zettel nehmen, drauf schreiben, was er möchte und was nicht und dem Ganzen den Titel "Pflegerische Patientenverfügung" geben. Aber ist das rechtlich bindend so wie eine "normale" Patientenverfügung?
 
Was meint die Patientin? Will sie die Art der pflegerischen Versorgung festlegen, also ambulant oder stationär, oder will sie bestimmte pflegerische Maßnahmen bestimmen und ablehnen?

Es gibt mindestens eine Intensivstation, die ihre Patienten vor geplanten Eingriffen nach Wünschen bzgl. der Pflege fragt. Gewohnheiten und No-Gos in Bezug auf Körperpflege, Schlafgewohnheiten und solche Dinge. Das ließe sich natürlich nicht vor Gericht einklagen, aber es läge ja auch im Interesse der Pflegenden, solche Wünsche möglichst zu berücksichtigen. (Vielleicht ließen sich Patienten im Delir dadurch rascher beruhigen oder kämen sogar schneller aus dem Delir raus - hat das schon mal jemand untersucht?)
 
Ja, um genau solche Dinge geht es. Es ist eine Jugendliche mit progredienter Erkrankung. Sie kann sich nicht mehr selbstständig versorgen, braucht vollständige Übernahme, kann aber bis jetzt noch eindeutig sagen, was sie will und was nicht. Sie wird es aber irgendwann nicht mehr sagen können.
Vor einiger Zeit hat sie jemanden im Krankenhaus besucht und dabei mitbekommen, dass dort Patienten und eben auch Patientinnen mit nur einer Schutzhose bekleidet ohne irgendeine Abdeckung, sei es ein Patientenhemd oder ein Tuch oder sonst irgendwas im Bett lagen bei offener Tür und auch die Grundpflege bei offener Tür durchgeführt wurde, weil es so warm war (war bei der vorigen Hitzewelle dieses Jahres). Jetzt hat sie total Angst, dass ihr das auch bevorsteht, wenn sie sich nicht mehr äußern kann und nicht mehr in der Kinderklinik ist. Und das kann ich 100%ig verstehen. Klar ist es eine Pflegeerleichterung, wenn man Patienten nicht an- und ausziehen muss. Aber Entschuldigung, wenigstens ein Patientenhemd überlegen muss drin sein und die Tür schließen bei der Grundpflege. Auch schwerstbetroffene Patienten, die vielleicht im Minimal Conscious State sind oder sich aus sonst irgendwelchen Gründen nicht äußern können, haben ja wohl ein Recht auf die größtmögliche Wahrung ihrer Intimsphäre. So wie sie das geschildert hat, hörte sich das wirklich menschenunwürdig an. Das würde glaube ich niemand wollen.
Daher hat dieses Mädchen beschlossen, aufzuschreiben, dass sie bestimmte Dinge für die Pflege verfügen möchte, und das sind so basale Dinge, dass ich es fast eine Schande finde, dass sie das Gefühl hat, das verschriftlichen zu müssen, damit es jemand respektiert.
  • Grundpflege nur bei geschlossener Tür
  • wenn ein männlicher Mitpat. im Zimmer liegt (war dort wohl der Fall), Grundpflege nur mit Sichtschutz (war dort wohl nicht der Fall)
  • nicht unbekleidet im Bett liegen lassen, immer mindestens Shorts und T-Shirt anziehen
  • immer einen Bustier oder BH anziehen (sie hat dort wohl bei der Mitpat. der Angehörigen, die sie besucht hat, mitbekommen, dass diese keine Unterwäsche anhatte und unter der Brust aufgeweichte Haut und einen Pilz hatte)
  • Grundpflege nur durch weibliches Pflegepersonal (ok, das ist nicht ganz so basal wie das andere, da es manchen Pat. ja auch egal ist)
Sie merkt eben, dass es mit ihrer Gesundheit immer mehr bergab geht und macht sich Gedanken über die Zukunft. Und vor einer solchen Zukunftsvorstellung hat sie (nachvollziehbarerweise) Panik. Aber sie hat Zweifel daran, ob es überhaupt etwas bringt, wenn sie ihre Wünsche aufschreibt, oder ob sich sowieso niemand daran halten wird. Deswegen hat sie mich eben gefragt, ob es sowas wie eine "pflegerische Patientenverfügung" gibt und ob es bindend ist, wenn sie sowas schreibt.
 
Es gibt mindestens eine Intensivstation, die ihre Patienten vor geplanten Eingriffen nach Wünschen bzgl. der Pflege fragt. Gewohnheiten und No-Gos in Bezug auf Körperpflege,
Das finde ich total super! Sollte man eigentlich ausweiten. Hat aber nur Sinn, wenn man sich nachher auch dran hält. Bringt ja nichts, wenn die Patientin angibt, dass sie nicht oben ohne bei offener Tür im Bett liegen will, es nachher aber trotzdem so gemacht wird, weil es halt praktischer ist.
Das ließe sich natürlich nicht vor Gericht einklagen
Schade! Sie hat sich nämlich gewünscht, dass ihre Angehörigen die Einhaltung dieser einfachen Wünsche einfordern können. Ihre Vorstellung aus dem akuten Schreck heraus (die sich inzwischen ein wenig abgemildert hat) war, dass sie in ihre "Verfügung" schreibt, dass ihre Angehörigen die Pflegekräfte, die sich nicht daran halten, anzeigen wegen Belästigung oder so. Ihr Argument war: "Wenn jemand mich gegen meinen Willen auszieht, ist das sexuelle Belästigung. Und wenn ich bei klarem Verstand äußere, dass ich das nicht will, dann ist das der erklärte Patientenwille, der berücksichtigt werden muss. Also kann ich das auch so aufschreiben." Inzwischen will sie niemanden mehr anzeigen, aber sie will alles tun, was sie kann, um sich vorzubereiten.
 
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Frag doch einfach mal Frank Spade. Der wird bestimmt eine kostenlose Beratung anbieten können.
 
Leander, dass ist nicht witzig! Dieses Mädchen sorgt sich um ein pflegerisches Konzept, was ihre Bedürfnisse und Wünsche ernst nimmt und respektiert.
Ich war letztens auch als Besucher auf einer Intensivstation und fand es auch sehr irritierend wie manche Patienten dort lagen! Sie wurden versorgt bei offenen Türen, jeder konnte bei der Intimhygiene zusehen...., ist diese Ignoranz normal in der Erwachsenenpflege?
 
Danke @ludmilla.
Sie wurden versorgt bei offenen Türen, jeder konnte bei der Intimhygiene zusehen...., ist diese Ignoranz normal in der Erwachsenenpflege?
Die Frage hab ich mir nach diesen Erzählungen auch gestellt. Ich finde solche Zustände wirklich beschämend. Für den Patienten sowieso, aber auch für unseren Beruf.
Bei uns werden Patienten noch nichtmal während der Grundpflege nackig liegen gelassen. Wenn ich den Oberkörper wasche, bleibt die Hose an, und wenn ich den Unterkörper versorge, das Oberteil. Und für einen VW an der PEG kann man ein Oberteil auch durchaus mal hochschieben und muss nicht die Patientin oben ohne liegen lassen. Oder man kann ihr wenigstens ein Handtuch über die Brust legen. Das ist ja auch kein ernsthafter Arbeitsaufwand und aus Patientensicht ja wohl nicht zu viel verlangt.
 
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Das hörte sich jetzt irgendwie gemein an, fällt mir so beim zweiten Lesen auf. So war es natürlich nicht gemeint. Ich weiß schon, dass es auch wirklich tolle Stationen gibt, wo sehr individuell gepflegt wird. Aber leider habe ich den Eindruck, dass das nicht so häufig ist wie es wünschenswert wäre und bedauerlicherweise der o.g. Zustand viel zu häufig auftritt.
Ein bisschen ernst gemeint war die Frage aber schon. Nämlich ganz neutral ohne jede Wertung. Denn so einige Sachen sind bei Erwachsenen normal, die es bei Kindern eben nicht sind. Angefangen von der Dosierung von Medikamenten. Die 90-jährige Oma mit 45kg bekommt die gleiche Dosis Antbiose wie der 30-jährige Sportler mit 100kg. Das kennen wir von den Kiddies halt gar nicht. Bei uns sind Medikamente immer alters- und gewichtsbezogen dosiert. Und das ist nur eins von vielen Beispielen. Deswegen lag der Gedanke nahe, dass das vielleicht auch so eine Sache ist, die wir Kikras einfach anders bewerten, weil es für uns nicht normal ist, die für andere aber vielleicht Alltag ist, so dass sie das gar nicht als so schlimm empfinden wie wir.
 
  • Grundpflege nur bei geschlossener Tür
  • wenn ein männlicher Mitpat. im Zimmer liegt (war dort wohl der Fall), Grundpflege nur mit Sichtschutz (war dort wohl nicht der Fall)
  • nicht unbekleidet im Bett liegen lassen, immer mindestens Shorts und T-Shirt anziehen
  • immer einen Bustier oder BH anziehen (sie hat dort wohl bei der Mitpat. der Angehörigen, die sie besucht hat, mitbekommen, dass diese keine Unterwäsche anhatte und unter der Brust aufgeweichte Haut und einen Pilz hatte)
  • Grundpflege nur durch weibliches Pflegepersonal (ok, das ist nicht ganz so basal wie das andere, da es manchen Pat. ja auch egal ist)
Die ersten drei Punkte sollten eine Selbstverständlichkeit sein (wobei ich auch Nacht- oder Flügelhemd tolerieren würde), Punkt vier wäre sicher auch kein Problem, jedoch lässt sich Intertrigo auch durch Unterwäsche nicht komplett verhindern (das solltest Du eigentlich wissen).

Punkt fünf ist, je nach Versorgungssituation, halt nicht immer zu gewährleisten, und zumindest Dir sollte bewusst sein, dass die Körperpflege durch einen andersgeschlechtlichen Menschen nicht den Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllt und die Patientin nicht selbst beschließen kann, was eine Straftat ist: Für so etwas gibt es in diesem Land Gerichte. Der Wunsch, wenn irgend möglich von weiblichen Pflegepersonal gepflegt zu werden, darf natürlich geäußert werden.

Was die Dosierung von Medikamenten mit der Intimsphäre der Patienten zu tun hat, erschließt sich mir nicht. Es ist ganz sicher nicht normal, in der Erwachsenenpflege nicht auf den Schutz der Intimsphäre zu achten. Dass in Einzelfällen damit geschlampt wird, kommt sicher vor. Allerdings wage ich die Behauptung, dass Kinderkrankenpflegerinnen auch nicht perfekt sind. Wir sind alle nur Menschen.
 
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Leander, dass ist nicht witzig! Dieses Mädchen sorgt sich um ein pflegerisches Konzept, was ihre Bedürfnisse und Wünsche ernst nimmt und respektiert.
Hier muß ich Dir zustimmen.
Ich war letztens auch als Besucher auf einer Intensivstation und fand es auch sehr irritierend wie manche Patienten dort lagen! Sie wurden versorgt bei offenen Türen, jeder konnte bei der Intimhygiene zusehen...., ist diese Ignoranz normal in der Erwachsenenpflege?
Nein, natürlich nicht.
 
Unsere Patienten liegen auch bei der Behandlung in gemischten "Boxen" (ist leider nicht zu vermeiden). Wir haben allerdings zwischen den Betten Vorhänge, die wir bei Bedarf runterlassen (zum Beispiel auch, wenn wir über ZVK anschliessen, oder wirklich mal jemand eine Bettpfanne braucht). Und wenn unsere Psychologin kommt, können wir sie in eine der Einzel"boxen" legen für das Gespräch.
 
jedoch lässt sich Intertrigo auch durch Unterwäsche nicht komplett verhindern (das solltest Du eigentlich wissen).
Weiß ich auch. Aber das Risiko lässt sich deutlich reduzieren, insbesondere wenn es sich um eine junge Patientin mit straffem Bindegewebe und altersdurchschnittlichem Brustumfang handelt.

und zumindest Dir sollte bewusst sein, dass die Körperpflege durch einen andersgeschlechtlichen Menschen nicht den Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllt
Ja, sicher. Und das konnten wir inzwischen auch der Patientin klarmachen. In der Akutsituation war das einfach eine Art Überreaktion von ihr, weil sie so schockiert von der Gesamtsituation, die sie dort gesehen hat. Und in dieser Überreaktion war sie eben erstmal vollkommen gegen alles, was ihre Intimsphäre verletzen könnte und wollte alles ganz streng und hart geregelt wissen. Das Mädchen ist kognitiv sehr weit für sein Alter und hat das inzwischen ja wie gesagt auch revidiert.

Was die Dosierung von Medikamenten mit der Intimsphäre der Patienten zu tun hat, erschließt sich mir nicht.
Da ist auch kein direkter Zusammenhang. Es ging darum, dass @ludmilla und ich (beide Kikras) ähnlich irritiert von diesen Beobachtungen waren wie ich irritiert von der Sache mit der Medikamentendosierung war. Und dass deswegen der Gedanke kam, ob mich diese Situation vielleicht nur deswegen so stark stört, weil ich sie nicht kenne und jemand, der tagtäglich so arbeitet, das gar nicht als so schlimm empfindet.

Es ist ganz sicher nicht normal, in der Erwachsenenpflege nicht auf den Schutz der Intimsphäre zu achten.
Gott sei Dank! Damit ist mein Weltbild wieder einigermaßen gerettet (*Ironie aus). Ich war nämlich sehr schockiert, das zu hören und hätte eben nicht erwartet, dass Pflegekräfte das normal finden könnten. Aber als dann @ludmilla von der gleichen Beobachtung schrieb, kamen mir Zweifel. Hoffentlich zwei "Einzel"fälle...

Allerdings wage ich die Behauptung, dass Kinderkrankenpflegerinnen auch nicht perfekt sind.
Absolut richtig! ;-)
 
Wir haben allerdings zwischen den Betten Vorhänge, die wir bei Bedarf runterlassen (zum Beispiel auch, wenn wir über ZVK anschliessen, oder wirklich mal jemand eine Bettpfanne braucht).
Mal eine off topic Frage:
Ist "bei Bedarf" auch, wenn eine Patientin oder ein Patient einfach nur den Wunsch äußert, nicht den Blicken eines/einer andersgeschlechtlichen (oder evtl. auch gleichgeschlechtlichen) Mitpatienten/Mitpatientin ausgesetzt zu sein? Oder beschränkt sich "bei Bedarf" auf pflegerische Maßnahmen? Nur rein interessehalber.
 
@Neuromaus Kommt drauf an. Dialysepatienten sind ständig überwachungsbedürftig, da praktisch dauernd die Gefahr eines Kreislaufzusammenbruchs oder sonstwas besteht, ein Vorhang ist dabei ein Hindernis. Hier geht die Notwendigkeit der Überwachung vor. Ich kann ein Problem nur rechtzeitig erkennen und Schlimmeres vermeiden, wenn ich den Patienten sehe.
 
Ah ok. Das heißt, damit ihr die Patienten adäquat beobachten könnt, müssen sie im Normalfall "auf dem Präsentierteller" sitzen, was in diesem Fall aber keine Sache von mangelhafter Wahrung der Privatsphäre ist, sondern aus medizinisch-pflegerischer Notwendigkeit heraus so ist?
 
Richtig. Dialyse ist Intesivpflege. Aber unsere P.atienten, die ja meist seit jahren dabei sind, wissen das und akzeptieren es. Sehr viele fühlen sich sogar unwohl, wenn sie nicht ständig beobachted werden, weil sie wissen, dass jede Sekunde alles vom Schock bis zum Herstillstand eintreten kann (gestern wieder erlebt).
 
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Ausserdem haben die "Langjährigen" mehr oder weniger feste Plätze - das heisst, man kennt sich seit Jahren. Diese Patienten sind während der Behandlung in Kontakt, unterhalten sich miteinander usw. Für viele ist das das ein wichtiger sozialer Faktor, oft die einzige Möglichkeit "unter Leute" zu kommen. Wenn mal einer aus irgendeinem Grund nicht da ist, wird dann auch gefragt, wo er heute sei, wie es ihm gehe...Es gibt da richtig sympathische Grüppchen.
 
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