Moralische Dilemmata

Da kann man sehr wohl der Meinung sein, dass das Ungeborene das Recht zu leben hat (vor allem handelte es sich ja bei diesem Fall um ein Kind in der 39. Schwangerschaftswoche).
Das Problem ist das Formaljuristisch erst das geborene Leben, als selbstständig oder durch andere vertreten eine eigenständige Rechtsperson darstellen kann.
Vor der Geburt ist das Kind gemäß dem deutschen Recht einem Körperteil der Mutter gleichgestellt mit der Ausnahme, dass es nur bis zur 12 Woche abgetrieben werden darf, außer bei medizinischen Indikationen.
Wenn ich mich ihrer Argumentationslinie anschließen würde, so würde der medizinische Grundkonsens zerstört, welcher beinhaltet Mutterwohl vor Kindswohl. Das in diesem Fall die Betrachtung der zu schützenden Güter eindeutig beim Kind liegt, steht außer Frage.
Nur was würden sie sagen, wenn die von ihnen formulierte Ansicht sich durchsetzen würde, weil dann wäre es mit der Selbstbestimmung der Schwangeren dahin.
Interessant wäre nur wie ein Gericht entscheiden würde, wenn das Kind seine Mutter in der Folge wegen körperlicher Gebrechen infolge der nicht Durchführung des Kaiserschnitts verklagen würde.
Denn dann könnten Kinder bei zugestehen von Schadensersatz gegen den Vater wegen Rauchen im Zuge der Schwangerschaft seiner Partnerin, Alkoholgenuß um den Zeugungszeitpunkt usw klagen und die Mutter hätte ab der Zeugung garkeine Rechte mehr, sondern dürfte nur noch entsprechend der Guideline leben und sich ernähren um etwaige Schadensersatzansprüche abzuwehren.
Auch wenn das von mir skizzierte Szenario eher unwahrscheinlich ist, so könnten Überlegungen doch dahin führen.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass niemand gegen seinen Willen zu einer OP gezwungen werden kann, es sei denn ein Psychiater und / oder ein Gericht stellt die Unzurechnungsfähigkeit fest.
Somit haben wir ein Problem, dass um dies festzustellen eine Gefahr für das Leben der Mutter ohne Kaiserschnitt gegeben sein muss. Wenn es "nur" das Kind betrifft, so ist dies dem Recht entsprechend egal.
Sr. Isabel ich gebe dir Recht, dass manches mal Untersuchungen durchgeführt werden, die kein Ziel mehr haben. Weil klar ist, dass alles final endet in absehbarer Zeit. Das Problem ist nur, es muss alles getan werden um das Leben zu erhalten. Da nicht selten die Angehörigen direkt mit dem Staatsanwalt drohen, nach dem Motto: Euthanasie usw. auf der anderen Seite habe ich eben Bedenken im Bereich der Allokationsethik, weil hier die begrenzten Ressourcen als Mittelpunkt angesehen werden und somit die Frage gestellt wird:
- ist ein TEP bei einer mobilen 70 jährigen noch gerechtfertigt, es bringt ja keinen Gewinn mehr
- muss mit 60 noch ein Bypass gemacht werden bei einem Rentner, weil dadurch dessen Arbeitsproduktivität nichtmehr gesteigert wird und somit keine Wertschöpfung mehr stattfinden wird
usw.
Auf der anderen Seite wird bei der 96 jährigen, wo es bezahlt wird alles gemacht. Mir stoßen die .at Sonderklasse und .de Privatpatienten auch auf, nur ist dies leider das System, wo man nur sehen kann, dass die Auswüchse abgemildert werden.
 
@hk-um: Es ging ja im Fallbeispiel gar nicht um den rechtlichen Hintergrund, sondern darum, verschiedene ethische Grundprinzipien zu erörtern. Ethik und Recht ist nicht das Gleiche, bzw. hat man sich bei einer festgeschriebenen Rechtsgrundlage bereits auf ein bestimmtes ethisches Prinzip geeinigt.

Wenn es richtig verstanden hatte, hat im beschriebenen Fall übrigens der Chefarzt angeordnet: Patientin festhalten, Kanüle rein, sedieren und Kind holen; die Patientin sei aufgrund ihrer Phobie vorübergehend nicht einsichtsfähig. Es stand nicht da, ob die Patientin im Nachhinein die Klinik oder den Arzt verklagt hatte (wenn's meinem Kind gut gehen würde, würde ich es sicher nicht tun).

Ist aber in Australien passiert, also wäre das deutsche Recht ohnehin nicht anwendbar.
 
Das angloamerikanische und somit als Commonwealth Staat auch das australische Rechtssystem steht auf einem anderen Grundkonsens als das deutsche.
Nur solange das Gesetz so ist wie es ist, ist man an dieses Gebunden! Einzig durch ein Gericht und in diesem Fall allein das Bundesverfassungsgericht könnte hier den Gesetzgeber auffordern für Rechtssicherheit zu sorgen, weil auch das GG tangiert wird. Bis der Instanzenweg jedoch abgeschlossen ist, geht das Kind mindestens in den Kindergarten, wahrscheinlich sogar schon zur Schule.
Die andere Möglichkeit wäre. dass der Gesetzgeber von sich aus handelt. Nur ist dies äußerst selten der Fall.
Denn an sich soll das Gesetz die Sanktionierung moralischer Werte in einem Staat sein, wobei nicht die individuelle Moral, sondern die gesellschaftliche Moral im Mittelpunkt steht.
Von daher kann man Recht und Ethik nicht voneinander trennen, auch wenn manches Recht für mich unethisch erscheint.
So kann z.B. ein Gericht die Einstellung der Flüssigkeitszufuhr anordnen, wenn es und ihre Experten der Meinung sind, dass keine Gesundung des Patienten mehr möglich ist.
Als Arzt hat man hier das Recht, dem Gericht gleich mitzuteilen: "Endschuldigung, aber ich lehne die weitere Behandlung des Patienten ab. Weil ich es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren kann ihn verdursten zulassen. Auch in dem Wissen, dass der Tod des Patienten in absehbarer Zeit erfolgen wird und dieser ohne Flüssigkeitssubstitution sich beschleunigt, sind für mich die vorherrschenden Ansichten, dass der Patient nicht leidet nicht ausreichend begründet."
 
Ich hab dann hier jetzt auch mal ein moralisches Dilemma....( nicht wirklich ) aber doch vielleicht mal diskussionswuerdig.

Wir machen gleich ein Femurnagel be einem Pat. der seine Freundin die in der 23 schwangerschaftswoche war, erstochen hat.... 2 Tote.....:( plus auf der Flucht vor der Polizei 2 weitere Frauen die schwanger waren bei einem von ihm verursachten Verkehrunfall getoetet.

Macht total 6 Tote.....

usnurse
 
Hi, ich hätt da mal ne Frage: Ist eine Krankenschwester, die auf der Geburtenstation arbeiten, verpflichtet bei Abtreibungen zu helfen? Das wäre ja auch ein moralisches Dilemma. Schließlich geht bei einigen Menschen Abtreibung gegen ihre moralischen Werte.
Darf eine Krankenschwester dazu "gezwungen" werden, sozusagen, sie verliert ihren Job wenn sie da nicht mitmacht?

Danke für die Antworten, lG
 
Ich kenne es nur von der ärztlichen Seite, gehe aber davon aus, dass dies bei DGKS auch gilt und daher müßte eine Verweigerung möglich sein.
Nur wird der Dienstgeber ihnen dann schon erklären, dass sie sich doch ein anderen Tätigkeitsbereich oder ein kirchliches Krankenhaus als Arbeitgeber suchen sollten.
 
Niemand darf gezwungen werden, bei einem Schwangerschaftsabbruch mitzuarbeiten, auch PflegerInnen nicht. Deswegen dürfen sie, laut Gesetz, nicht benachteiligt werden. Wenn dies zu Lasten des AG geht, wird der aber eine Versetzung auf eine andere Station nahe legen.

Noch ein moralisches Dilemma:

Demente Patienten erhalten bei gleicher Diagnose nur die Hälfte an Schmerzmedis wie gleichaltrige, nichtdemente Patienten mit der gleichen Erkrankung (also ähnlicher Schmerzlast).
 
Moin,
da fallen mir nach 30 jähriger Berufserfahrung so einige moralische Dilema ein:
Notaufnahme, Kind mit Bauchschmerzen, wo schon fast die Diagnose "akute Appendicitis"auf der Stirn blinkt. Chrirug schickt das Kind aber erstmal zum Kinderarzt. Nach 3 Stunden Schmerzen und diversen Untersuchungen - OP.
Immer noch Notaufnahme: Akutes Abdomen, bis sich die Herren Doktoren einig waren - internistisch oder chirurgisch - ist uns so mancher Patient vor Schmerzen kollabiert.
Häuslische Pflege: älteres Ehepaar, beide Z.n. Apoplex, geheingeschränkt, aber noch mobil, werden von den Kindern in der Wohnung eingeschlossen, damit sie nicht das Haus verlassen.
weiter Häusl. Pflege: depressiver Pat. (50J) Eltern haben die Vormundschaft, lehnt auf einmal seine Tabl. ab und legt sich ins Bett. Pflegedienst und Krankengymnastik kommen ins Haus, Pat. wird wieder etwas mobiler und würde wohl auch wieder seine Medi. nehmen. Eltern verweigern diese, beim nächsten Depressiven Schub legt sich Pat. ins Bett und isst nicht mehr. Eltern akzeptieren den Wunsch des Pat. Dieser ist nach 5 Monaten verhungert.
Und mein persönliches und schlimmstes moralisches Dilema:
Will morgens zum Dienst und meinem Kind geht es so schlecht, das es nicht zur Schule kann. Keiner greifbar, Kollegen schon auf Tour und ich steh da! Oder hast grad einen Patienten unter der Dusche und die Schule ruft an: Kind verunfallt.....
Könnte noch Stunden lang fortführen.
LG Elie
 
Bei der Geschichte mit dem verhungerten Patienten klappt mir die Kinnlade runter. Ist das tatsächlich so passiert? Wusste der behandelnde Arzt davon? In solchen Fällen muss es doch die Möglichkeit geben, den Eltern die Vormundschaft zu entziehen. Wenn man als "selbstständiger" (also ohne Vormund) Mensch beschließt, nicht mehr zu essen, wird man doch auch auf die Psychiatrie gelegt. In deinem Fall müssen ja auch Außenstehende Bescheid wissen: erst einmal du als Vertreterin des Pflegedienstes, dann die KGs, dann der behandelnde Arzt, der ja auch die Medis verschreibt.
 
Hallo Tabea,
ja, ist so passiert. Alle wussten Bescheid, vom Hausarzt über die Verwandten die es noch so gab, bis hin zu amtlichen Stellen. Da bei Befragung der Patient angab nichts mehr zu sich nehmen zu wollen, wurde sein Wunsch respektiert. Frag nicht was wir als Pflegepersonal uns für einen Kopf gemacht haben!
Habe damals auch hier Rat gesucht, gibt einen langen Thread dazu.
Aber es ist doch so, als Krankenpflegepersonal sitzt du doch immer zwischen den Stühlen. Zwischen Arzt /Patient, Patient/Angehörige, Patient/PDL und zu letzt Patienten / Familie (die eigene). Darauf wirst du aber in der Ausbildung nicht vorbereitet, da fällst du ins kalte Wasser. Entweder du kriegst ein dickes Fell, oder wirst krank und hörst auf.
LG elie
 
Ich kann mir gut vorstellen, dass das für euch als Pflegekräfte eine schwierige Situation war. Ich bin nur sehr baff, dass der Patientenwunsch in diesem Fall respektiert wurde. Ich habe eher die Erfahrung gemacht, dass lieber einmal zu oft künstlich ernährt wird, auch wenn es nicht dem Patientenwunsch entspricht.
Könntest du mir vielleicht den Link zum Thread schicken? Würde ihn mir gern durchlesen und für die Fragestellerin ist es sicher auch ein interessanter Fall.