ich gewinne mehr und mehr den Eindruck, dass Priorisierung zu den wichtigsten Kompetenzen in der Pflege zählt, mehr noch als früher, und dieser Eindruck entsteht bei mir nicht nur vor dem Hintergrund meiner Berufserfahrung im Handwerk, sondern auch vor dem eigener Erfahrung in der Pflege, professionell und häuslich und Kontakt mit Pflegenden, auch wieder professionell und häuslich.
Die Situation, die Du beschreibst weist auf Strukturmängel hin. Zu wenig Zeit, zu wenig Personal, im Hintergrund zu wenig Geld und zu viele Einsparungsbemühungen.
Das ist bekannt, das geht wie ein roter Faden durch alles, bis hinein ins Familien- und Beziehungsleben von Pflegefachkräften, mit allen bekannten Forderungen und Folgen (Burnout, Pflexit, Notstand). Da stellt sich aber auch die Frage, wie man dem begegnen kann, und da kommt natürlich den Auszubildenden eine besondere Rolle zu. Schliesslich wird man das Problem nicht mit ungelernten und mit Hilfskräften lösen können, und auch nicht mit Abwerbung und Zeitarbeit. Ebensowenig lassen sich aus dieser Strategie Fachkräfte zurückholen.
Auszubildende sind wichtig. Vielleicht sind sie sogar die wichtigste Resource überhaupt, um den Schwierigkeiten und Herausforderungen zu begegnen, aber eben nicht um akute Personalengpässe zu stopfen, sondern um Pflege in 10 Jahren überhaupt noch bewerkstelligen zu können.
Und ich weiß, dass Alltag auf Station nicht das Bilderbuch aus der Theorie ist.
Umso wichtiger finde ich es aber, den Auszubildenden mit einer positiven Haltung zu begegnen und auch positive Orientierung zu geben. Das ist auch in Überlastungssituation noch möglich.
Die andere Seite ist natürlich der Auszubildende selbst. Jemand der Lern- und Leistungsbereitschaft mitbringt auszubilden ist einfach und macht Spaß. Wenn da Defizite bestehen wird das schwierig bis unmöglich, aber da sind auch noch andere in der Verantwortung.
Wie kann das sein, dass ein Schüler seine Lernziele nicht benennen kann? Das ist doch im Grunde Aufgabe der Schule, den Schüler da heranzuführen.
Ich würde das an dieser Stelle klar adressieren, wie übrigens alle 'Probleme', die in der Ausbildung auftauchen oder entstehen. Schüler, Schule, PA, Kollegen, SL und PDL. Jeder ist am Ausbildungsprozess auf seine Weise beteiligt, und da geht's auch nicht um Schuldzuweisung, sondern darum Verantwortung erst zu ermöglichen.
Ich selbst gehe davon aus, dass jeder in seinem Kern eine positive Absicht trägt, und dass man damit auch positiv arbeiten kann, selbst wenn im Status Quo deutliche Mängel sichtbar werden.
Einer 20jährigen gegenüber wäre es vermutlich eine komplexe Aufgabe zu vermitteln, was das konkret bedeutet und bedeuten kann, aber ich denke Du hast da schon weit mehr an Berufs- und Lebenserfahrung und verstehst worauf ich hinaus will.
Ich selbst gehe als Auszubildender übrigens schon mit einer bestimmten Haltung in die Ausbildung, insbesondere auch den praktischen Teil.
Ich erwarte von mir, mich mit allen Kompetenzen und mit Engagement so ins Team einbringen zu können, dass ich als Entlastung wahrgenommen werden kann, und nicht als Belastung wahrgenommen werden muss. Ich wünsche mir, dass Fachkräfte und Patienten von mir sagen können 'Cool, so wünschen wir uns das, so soll es sein.'
Und in Rahmen dessen ist mir das auch nicht entscheidend, ob ich 10 % Anleitung erhalte oder nicht. Ich bin alt und vernetzt genug, mir die entsprechenden Kompetenzen auch anderweitig aneignen zu können.
Ansprechen würde ich es aber trotzdem, wenn's da hapert.
Und - das macht mich vielleicht unbequemer: ich würde heute die Anwendung von Gewalt in der Pflege nicht mehr tolerieren.
Es wird mir nicht mehr passieren einer Stationsleiterin dabei zusehen zu müssen, wie sie mit körperlicher und verbaler Gewalt Grundpflege bei dementen Patienten erzwingt. So hilflos bin ich nicht mehr, und in einer solchen Situation würde mich auch Rang und Weisungsbefugnis nicht mehr interessieren.
Es gibt Grenzen für uns als Menschen und als Bürger, aber innerhalb dieser Grenzen können wir unglaublich viel Positives bewirken und ganz vieles davon hat sehr viel mehr mit unserer Haltung zu tun und sehr viel weniger mit unseren Möglichkeiten.
Und säßen wir beide jetzt in einer hypothetisch denkbaren Arbeitspause zusammen bei einer Tasse Kaffee würd ich sagen 'Komm, lass uns pflegen.'
Und wenn das im hypothetisch denkbaren zweiten Jahr wäre, würde ich auch mal einen Blick darauf werfen, dass der Schüler im ersten Jahr keinen Mist baut.
Team ist ja nicht 'Toll, ein Anderer macht's' - Team ist: wir machen das. Ein jeder so gut es ihm möglich ist in Gemeinschaft.
und jetzt habe ich vor lauter Emphasis ganz vergessen meine Worte sorgfältig zu gendern... mea culpa! Aber mir ist schon bewusst, dass auch meine zukünftigen Kollegen hauptsächlich Kolleginnen sein werden. Und ich Anfänger, so oder so.
Daher auch einfach meine Bitte. Bisschen Raum und Herz für Anfänger