Ileusruptur: natürliche Todesursache?

Jillian

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Meine Frage würde sicher auch gut in den Bereich Leben und Tod im Krankenhaus, Umgang mit Sterbenden passen, aber hier ist er auch gut aufgehoben:

Mich beschäftigt der Fall einer Patientin. Ich möchte dazu eure unvoreingenommene Meinung hören.
Zur Vorgeschichte: Patientin kommt als Elektivaufnahme zur routinemäßigen Colo. Colo findet statt. Pat. hat auch danach persistierende schleimige Diarrhoen, Labor findet Clostridien. 10tägige Behandlung mit Vancomycin folgt, Stuhlprobe negativ. Pat. kann nun gar nicht mehr abführen, sämtliche abführenden Maßnahmen wie Laxans, Bifiteral, Rizinusöl schlagen nicht an. Pat. klagt über pralles Abdomen, Auskultation klingt hohl und metallisch. In der Bildgebung sind klassisch stehende Darmschlingen zu sehen, V.a. mechanischen Ileus, chirurgisches Konsil steht noch aus.
Nun ist Wochenende, ich habe Nachtdienst. Samstag nachmittag erhält Pat. eine Entlastungssonde gelegt, diese fördert reichlich stuhligen Mageninhalt, knapp 2l in einer Schicht. Pat. erbricht nebenher, Vomex und MCP wirkungslos. Ich beginne meinen ND, Pat. hat stärkste Schmerzen, Schwindel, spontane AZ-Reduktion. Info diensthabenden Arzt. Arzt visitiert, hält telefon. Rücksprache mit Hintergrund-Oberarzt. Pat. soll Vanco als Einlauf bekommen, plus dies und jenes als Bedarfsmed per KI. Pat. inzwischen hypoton bei ca. 75/50, Volumengabe schwierig da globale Herzinsuffizienz. Im Verlauf der Nacht wird Pat. leicht somnolent, wiederholte Info an Dienstarzt, auch weil Pat. weiterhin schwallartig Stuhl erbricht und stärkste Sx im Abdomen hat. Bei der letzten Sichtkontrolle gegen 5 scheint Pat. unruhig zu schlafen, reagiert aber auf Ansprache.
Als ich Sonntag abend zum Dienst komme, erfahre ich, dass frühs gegen 8 der Chirurg visitierte, und sofort eine Notfall-OP veranlasste. Der Ileus war rupturiert, etwa 20cm Dünndarm wurden reseziert, Pat. kam auf Intensivstation. Am Abend verstarb sie. Im Totenschein wurde "natürliche Todesursache" angekreuzt.

Was haltet ihr von dem Fall? Habe ich zu wenig den Dienstarzt genervt? Hätte eine frühere OP Leben retten können? Und ist das eine "natürliche Todesursache"? Ich frage mich, ob die/der Pat. unnötig verstorben ist und man durchaus früher hätte handeln können oder müssen. Ich mache mir selten Gedanken über verstorbene Patienten, aber dieser Fall geht mir nicht aus dem Kopf.
 
Zuletzt bearbeitet:
Was haltet ihr von dem Fall? Habe ich zu wenig den Dienstarzt genervt?
Ich denke, Du hast Dein Möglichstes getan. Deine Schuld war es sicher nicht, davon bin ich überzeugt.
Hätte eine frühere OP Leben retten können?
Möglicherweise, ja. Kann man nicht 100% sagen, aber ich denke schon.
Und ist das eine "natürliche Todesursache"?
Meiner Ansicht nach absolut nicht.
Ich bin jetzt mal so ketzerisch: Hättest Du nicht massiv gedrängt und immer wieder den Dienstarzt informiert, dann würde nun vermutlich nicht "natürliche Todesursache" drinstehen. Denn dann wär´s ja mal wieder die blöde Pflege gewesen, die schuld war.
Ich frage mich, ob die/der Pat. unnötig verstorben ist und man durchaus früher hätte handeln können oder müssen.
Ja, "man" (die Ärzte) hätte hier früher handeln müssen.
 
Das würde mich auch beschäftigen...
Der Verdacht auf mech Ileus wird (Freitags??) gestellt und das chirurg. Konsil steht aus, weil WE ist.... oha... finde ich seltsam.... bei uns kommt der Chirurg bei so einer Verdachtsdiagnose sofort, oder aber die Pat kommen sozusagen konsularisch von Station in die ZNA, und werden dort dem diensthabenden Chirurgen vorgestellt, falls der Chirurg keine Zeit hat, auf Station zu gehen.

Ist aber auch ein kleines Haus... da geht das auch schonmal den "kleinen Dienstweg".... manchmal vielleicht besser.

Edit: Ich bin mir aber auch sicher, dass dich keine Schuld trifft.... mehr als dem DA ständig über die Pat zu berichten, kannst du ja nicht machen auf Station.
 
Ich schließe mich meinen Vorrednern an. Du kannst den Patienten nicht operieren. Wenn du ständig nach dem Patienten schaust, AZ und Symptomatik beobachtest und einschätzt und dem Dienstarzt ständig Rückmeldung gibst und ihm auf die Nerven gehst, dass er kommen und sich den Patienten anschauen und was unternehmen soll, dann hast du alles getan, was du tun kannst. Ich kann nachvollziehen, dass dich das beschäftigt, aber auch ich sehe es so, dass du keine Schuld hast.

Eine Ileusruptur nach diagnostiziertem mechanischen Ileus oder zumindest Verdacht darauf würde ich auch nicht als natürliche Todesursache einstufen.
 
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Es ist insofern eine natürliche Todesursache, da der Tod aufgrund einer krankhaften Ursache eintrat. Die Patientin wurde nicht das Opfer einer Gewalttat oder eines Unfalls.

Nichtsdestotrotz hätte eine frühere OP möglicherweise ihren Tod verhindern können.

Könnt Ihr das auf Station aufarbeiten? Supervision? PDL? Chefarzt?
 
Ärztliches Totalversagen auf der ganzen Ebene.

Spätestens bei dem hypotonen Druck und der beginnenden Vigilanzminderung hätte ich den Notfallalarm rausgelassen und ne Intensiv mit ins Boot geholt, völlig egal was mein Dienstarzt dazu gesagt hätte.

Klassischer Fall für ein Medical Emergency Team, was leider in vielen Kliniken noch immer nicht mal im Ansatz funktioniert...
 
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Könnt Ihr das auf Station aufarbeiten? Supervision? PDL? Chefarzt?

Supervision habe ich in unserem Haus noch nie erlebt, ich glaube sowas gibt es hier gar nicht.
PDL und ChA werden sicher noch davon erfahren, denn ich habe mich dazu entschlossen zu diesem Fall eine CIRS Meldung zu schreiben. Wenn das kein Critical Incident war, was dann.

Die unterlassene Hilfeleistung muss den Verantwortlichen angekreidet werden. Ich kann das so nicht auf mir sitzen lassen. Hier läuft viel zu oft viel zu viel falsch, aber nun musste jemand diese Schlamperei mit dem Leben bezahlen. Das muss ein Ende haben. Wenn ich kein Trara mache, machts niemand.
 
Hallo Jillian,

meiner Meinung nach ist es richtig den Vorfall zu thematisieren.

Viel Erfolg!
 
Aber mach dir keine großen Hoffnungen, ändern wird sich nix..... - hab bestimmt 50 CIRS Fälle geschrieben die letzten Jahre, hätt ich auch bleiben lassen können.
 
Ich wünsche dir auf jeden Fall ein offenes Ohr bei einem, der etwas zu sagen hat und viel Kraft bei der Bewältigung dieses Vorfalles.
Letztendlich lernt man auch als „Unschuldige“ aus solchen Vorfällen... das wird dir nie wieder in der Form passieren... das nächste Mal wirst du mit Sicherheit einen Alarm Richtung ITS absetzen oder selbst den Chirurgen dazu rufen oder solange Rabatz machen, bis einer reagiert.
Ich wünsche dir alles Gute
 
Ich kann das so nicht auf mir sitzen lassen.
@Jillian Soll das heissen, sie machen Dir Vorwürfe? Lass das nicht an Dich rankommen, Du hast alles getan. Gefährdungsanzeige ist der richtige Weg, nur so können sie sich nicht rausreden. Die in der Nacht verantwortlichen Ärzte müssen in Pflicht genommen werden, nicht Du!

Aber ich kann nachvollziehen, wie es Dir geht. Hatte auch mehrere Fälle dieser Art, als ich noch "auf Station" war. Die Fragen, ob man etwas anders und damit besser hätte machen können, bleiben. Auch diese Problematik war mit ein Grund, das ich von dort weggegangen bin. Heute, in der Dialyse, habe ich zum Glück ein Team, das mit den Ärzten auf Augenhöhe arbeitet. In Notfällen leiten wir alles ein, während ein Kollege den Arzt ruft, der dann übernimmt. Keiner unserer Ärzte würde sich da uns gegenüber aufs hohe Ross setzen, er käme damit nicht durch.
 
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Hallo Jillian,
mach sofort Aktenkopie bevor wird geändert! Deine Dokumentation kann verschwinden. Ich habe persönlich so was durchgemacht.
 
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Hallo Jillian,
mach sofort Aktenkopie bevor wird geändert! Deine Dokumentation kann verschwinden. Ich habe persönlich so was durchgemacht.
Habe sowas ähnliches auch schon erlebt - eine Ärztin mogelte eine Arztangabe in eine Lücke nachträglich rein.
 
Soll das heissen, sie machen Dir Vorwürfe?

Nein natürlich nicht. Ich bin es, die sich Vorwürfe macht. Die ewige Frage, ob ich nicht doch noch dies oder jenes hätte tun sollen. Den Rea-Funk auslösen zum Beispiel. Dann hätte ich Ärzte vor Ort gehabt! Aber alles Hätte bringt die Patientin nicht wieder ins Leben zurück.
Für die Kopie der Akte ist es nun zu spät. Der Vorfall liegt eine Woche zurück, die Akte liegt im Archiv. Klar, hätte ich Dummie selbst drauf kommen können.

Die CIRS Meldung ging heute raus. Meine STL steht voll hinter mir, sie ist ebenfalls der Meinung dass ich alles richtig gemacht habe, sowohl in der Nacht, als auch mit dieser Meldung. Ändern wird sich nichts, so illusorisch bin ich nicht. Es reicht, wenn dieser Vorfall, wie alle unsere CIRS Fälle, im Intranet für alle lesbar sein wird, und einige Personen ein paar verdammt gute Antworten liefern müssen. Für mich weiß ich jedenfalls, dass ich meine Pflicht getan habe.

Danke für euren Zuspruch!
 
Das mit der Aktenkopie kann ich zwar gut nachvollziehen, aber wenn du von dir aus eine CIRS-Meldung schreibst, wird niemand davon ausgehen, dass du einen Fehler gemacht hast, sonst hättest du ja keine Meldung geschrieben. Also wenn da jemand im Nachhinein in der Akte herummanipuliert, ist das schon sehr auffällig...

Aber der Hinweis ist gut. Ich wäre auch nicht auf so eine Idee gekommen, obwohl es ja eigentlich total naheliegend ist. Sollte man sich mal merken für jeden Fall, wo sich andere falsch verhalten und die Gefahr besteht, dass sie es nachher verdrehen und uns die Schuld in die Schuhe schieben wollen.
 
Hallo@ Jillian,
Meine STL steht voll hinter mir, sie ist ebenfalls der Meinung dass ich alles richtig gemacht habe,
schreib Protokoll, bitte Stationsleitung oder PDL um Unterschrift und Kopie Pflegeberichts. Falls Angehörigen klagen (3 Jahre Verjährungsfrist) bist Du auf der sicheren Seite. Meine Leitung hat damals das gemacht.
 
Meinst du, ob ich die Akte noch mal aus dem Archiv anfordern kann, einfach so? Hab sowas noch nie gemacht.
 
Wie lange ist das denn jetzt her?

Dokumentiert ihr noch auf Papier?

Bevor eine Akte ins Archiv kommt dauert es schon etwas...
 
Versuchs doch über Deine Stationsleitung, wenn die hinter Dir steht. Und falls die Sache informatisiert ist, sollte das Ganze doch noch irgendwie im System und für Dich auffindbar sein (bei uns werden diese digitalen Daten - auch von ehemaligen/verstorbenen Patienten) ewig im Intranet gebunkert). - Und hast Du da für Deine eigenen Einträge nicht auch ein eigenes Passwort, so dass Du - und nur Du - diese Einträge editieren kannst (= andere können nicht drin rumpfuschen, dann hättest Du zumindest den Nachweis, dass Du alles Getan und dokumentiert hast)?
Und falls Andere ihre Daten im Nachhinein aufhübschen, gibt es dafür in der Informatik praktischerweise einen Zeitverlauf der Editionen...Man sieht, wer wann was eingetragen hat. Die Zeiten vom Tintentod sind vorbei!
 
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