Haben schon vor eimniger Zeit mal ein Studiumsprojekt mit einigen zusammen durchgeführt ich stell es einfach mal hier mit rein, vielleicht hilft es dir.
ESSSTÖRUNGEN
Einleitung und persönliches Vorwort
Warum schreibe ich eigentlich über Essstörungen? Bis vor zwei Jahren hatte ich keine Ahnung, woher ,,Essstörung" überhaupt kommen. So fallweise hörte ich natürlich über Frauen, die nach dem Essen alles wieder brechen, um ja nicht dick zu werden. Ich hatte keinerlei Bezug zu diesem Thema bis ich vor ca. einem Jahr mehr oder weniger dazu gezwungen wurde, mich mit dem Krankheitsbild näher zu beschäftigen.
Meine Lebensgefährtin wurde von einer gemeinsamen Freundin um ein Gespräch gebeten. Nach langem Zögern sagte sie plötzlich: ,,Du Sabine, ich gehe nach dem Essen immer kotzen!" Momentan war sie natürlich wie vor den Kopf gestoßen, da sie ja wirklich nicht wusste, wie sie nun mit dem ihr entgegengebrachten Vertrauen umgehen sollte. Sie wollte ja auch nichts falsch machen und wusste nicht, wie sie ihr helfen könnte. Mit dem Einverständnis von Michaela - so der Name der Freundin - kam Sabine schließlich zu mir und wir fingen gemeinsam an, uns mit der Problematik mit Hilfe von Literatur und Medienberichten auseinander zu setzen. Dabei wurde uns klar, dass Michaela nach fünf Jahren Ess-Brech-Sucht jetzt offensichtlich dazu bereit war, sich helfen zu lassen, und sie so nicht mehr weiterleben wollte, wie bisher. Typisch für Patienten mit Essstörungen ist eigentlich, das Problem aus Scham vor der Umwelt zu verstecken. Ich schreibe bewusst von Patienten und nicht nur von Patientinnen, obwohl der Großteil der Betroffenen Frauen bzw. Mädchen sind, doch steigt die Anzahl von männlichen Betroffenen stetig an.
Uns wurde auch bald bewusst, dass diese Essstörung von Michaela nur ein Ventil für Vorkommnisse aus ihrer Kindheit waren, die sie bis heute nicht verarbeitet hat. Ich will jetzt nicht näher auf die Ursachen dieser Essstörung eingehen, sondern nur einen Einstieg für diese Seminararbeit schaffen und dokumentieren, warum es für mich interessant ist, über dieses Thema zu schreiben.
Generell ist die heutige heranwachsende Jugend ständig durch die Medien mit dem krankhaften Schönheitsideal, gertenschlank sein zu müssen, konfrontiert. Hier werden falsche Werte und Normen an die jungen Erwachsenen weitergegeben, wie denn ein Körper in der heutigen Zeit auszusehen hat. Fast jedes abgelichtete Model ist eigentlich nicht mehr schlank, sondern meiner Meinung nach eher schon dürr. Auch als Lehrer schadet es nicht, für gewisse ,,Alarmsignale" hinsichtlich Essstörungen sensibilisiert zu sein, um SchülerInnen mit Essstörungen helfen zu können, sofern sich die betroffenen Patienten helfen lassen. Allerdings ist es sehr schwierig, einzelne ,,verdächtige" Schüler auf bloßen Verdacht hin darauf anzusprechen.
Die Literaturhinweise zu dieser Arbeit sind im Anhang ersichtlich. Doch stützt sich der wesentliche Inhalt dieser Arbeit auf Unterlagen und Fakten aus der Praxis.
Das ,,Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul", das ,,AKH" sowie diverse Beratungsstellen waren mir bei der Erarbeitung dieses Themas eine große Hilfe. An dieser Stelle möchte ich mich auch für die ausgezeichntete Kooperation und Hilfestellung der DKS Maria Standl von den Barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul bedanken.
Allgemeines
Die Zahl der Personen, die an extremem Übergewicht, extremem Untergewicht oder gestörtem Essverhalten leiden, steigt ständig. Immer mehr leiden an einem gestörten Verhältnis zum Essen und zu ihrem Körper. Die Beschäftigung mit dem Körper (Sport) und der Ernährung (Diät, Vollwertkost) zeigt sich unter anderem in den Massenmedien, in den Ratschlägen und Artikeln zum Idealgewicht, zum Schlankwerden und zur Diät. Man versucht uns einzureden, dass Erfolg und Glück vom Erreichen eines bestimmten Gewichtes abhängen. Von offensichtlichen Essstörungen sind zum Großteil Frauen betroffen. Jedoch steigt die Zahl der männlichen Patienten immer mehr an.
Vielfach wird die Krankheit vom Patienten selbst allzu oft bagatellisiert. Der Betroffene versucht, seine Beschwerden als normal anzusehen und ist sich nicht darüber im Klaren, was er seinem Körper eigentlich zumutet.
Doch auch im Behandlungsbereich kann es passieren, dass ein Patient kurz abgefertigt wird, und die Intensität der Beschwerden übersehen wird, bzw. die Symptome vom Beginn einer Magersucht (anorexia nervosa) oder einer Esssucht (bulimia nervosa = mit Brechsucht, bulimie = ohne Brechsucht) niemanden auffallen. Wenn diese Symptome anhalten, so kann es beim Patienten zu Isolation, sozialer Unsicherheit, Depression und Verzweiflung führen.
Wann handelt es sich um schwere Essstörungen ?
Die Essstörungen können von unterschiedlicher Dauer sein und das Leben unterschiedlich stark beeinflussen. Essstörungen werden dann schwer wiegend, wenn die Gedanken und Gefühle sich auf das Essen, den Körper und das Gewicht konzentrieren und die Aufmerksamkeit von anderen Bereichen des Lebens weggeht (zB vom Verhältnis zu Freunden, von der Familie, vom Beruf, von der Schule und von Hobbys und Interessen).
Der Schweregrad des Problems hängt nicht nur mit dem Gewicht zusammen, es sei denn, dass dieses extrem niedrig oder extrem hoch ist und der Wasserhaushalt durch Erbrechen bereits gestört ist, also eine gesundheitliche Gefahr darstellt. Bei der Beurteilung des Schweregrades der Erkrankung ist das Verhältnis zum eigenen Körper und zum Gewicht von entscheidender Bedeutung. Oft werden Essstörungen von den Patienten verheimlicht. Das Schamgefühl der Patienten ist stärker als der Wunsch, sich helfen zu lassen.
Wer ist betroffen?
Menschen mit gestörtem Essverhalten
Symptome hiefür sind:
zeitweise totale Nahrungsverweigerung bzw. Nahrungsbegrenzung (zB immerkehrende Diäten) Nahrungsbegrenzung und verschiedene Versuche der Gewichtsbegrenzung mit Abführmitteln, Erbrechen, verstärkte körperliche Aktivität, Einsatz von Appetithemmern gelegentliche Essdurchbrüche mit Erbrechen Fressanfälle mit Erbrechen dauerhaftes kontinuierliches Überessen
Wie viele Menschen unter solchen Essverhaltens-Störungen leiden, lässt sich nicht einmal annähernd schätzen. Zum einen, weil die Abgrenzung zwischen ,,normalem" und ,,gestörtem" Essverhalten schwierig sein kann und zum anderen, weil bei allen bisherigen Erhebungen die Dunkelziffer, das heißt die Zahl der Erkrankungsfälle, die nicht erfasst werden, unbekannt ist.
Menschen mit Gewichtsveränderungen
Das Missverständnis, Essverhaltens-Störungen seien gleichbedeutend mit Gewichtsproblemen, ist weit verbreitet. Essverhaltens-Störungen haben aber nur einen losen Zusammenhang mit typischen Gewichtsveränderungen.
Menschen mit Essstörungen können in ihrem aktuellen Körpergewicht irgendwo auf der Skala zwischen Unter- über Normal- bis Übergewicht liegen. Normalgewichtige mit Essstörungen stoßen daher häufig auf Unverständnis, wenn sie ihr Essproblem ansprechen wollen, und das nicht nur bei Laien, sondern auch bei Ärzten und Sozialtherapeuten. Übergewichtige dagegen erhalten oft ungebetene Diätvorschläge und ,,Magere" den Rat, einfach mehr zu essen.
Das Märchen vom Idealgewicht als Schutzfaktor für die längste Lebenserwartung wird bald endgültig in die Medizingeschichte eingegangen sein. Unabhängig von den medizinischen Erkenntnissen ist aber das image des Schlankseins und damit zwangsläufig das image des Idealgewichts geblieben und es wird von der Werbung kräftig gefördert. Ganze Wirtschaftszweige leben schließlich davon. Schlanksein ist heute verbunden mit den Attributen: gesund, leistungsfähig, attraktiv; bei Männern: sportlich und erfolgreich. Schlanksein ist einfach immer ,,in". Mit einer schlanken Figur wird man in der Gesellschaft nicht ausgelacht, ja sie ist sogar fast schon notwendig geworden. Ist man ,,dick", hat man oft den Spott auf seiner Seite, was bereits im Kindesalter beginnt. Welcher pummelige Schüler wird von seinen Mitschülern nicht gehänselt bzw. oft als ,,blade Sau" geschimpft? Da ist es kein Wunder, dass Essstörungen bereits beim jungen Erwachsenen entstehen, da der junge Mensch sich ebenfalls zu der Gruppe der ,,Normalen" zählen möchte, er möchte ,,Gleichwertig" sein. Einmal schlank, wird man nicht mehr verspottet und gehänselt. Oftmals ist aber der Preis ziemlich hoch, um dieses Ziel zu erreichen bzw. dann auch schlank zu bleiben, ja es geht sogar auf das Konto der Gesundheit und verursacht langfristig bleibende Schäden.
Essstörungen können aber bei allen Altersgruppen auftreten. Magersucht und Esssucht mit Erbrechen lassen sich nach Alter und Schweregrad der Erkrankung folgendermaßen einteilen:
von 9 - 15 Jahre: diese Patienten sind weniger krank; bessere Heilungschancen (bessere Prognose )
von 15 - 20 Jahre: Symptome können plötzlich auftreten; starke Gewichtsabnahme in wenigen Monaten; Aussetzen der Menstruation; schrittweise Vermehrung der Symptome: Abnehmen wird allmählich stärker und zwanghaft; das Essverhalten ist auffällig; Patienten sind oft schwer krank (eventuell Einweisung in psychiatrische Abteilung)
ab dem 25 Lebensjahr: Symptome stellen sich nach und nach ein, können aber chronisch werden;
Die altersspezifische Manifestation von Essstörungen besagt, dass es bestimmte Schwellensituationen in der Entwicklung des Individuums geben muss, die eine bereits angelegte Konfliktproblematik auf der Schiene von Essverhaltens-Störungen zum Ausbruch bringen können. Oder, bezogen auf das Individuum: Bestimmte Persönlichkeitsreifungsdefizite haben bevorzugte Konfliktlösungsstrategien im Zusammenhang beziehungsweise im Umgang mit Essen.
Erscheinungsformen von Essstörungen
Magersucht (Anorexia Nervosa)
Hier sind vor allem das geringe Gewicht und ein ständiges Streben nach Gewichtsreduktion charakteristisch. Auch Konzentrationsschwierigkeiten, sowie Schlafstörungen, eine auffallend niedrige Körpertemperatur und ein schwacher Puls sind auffällig. Viele leiden nach längerem Fasten an Haarausfall, und auf dem Körper zeigen sich Haare und Flaum. Der anorektische Patient verwirrt seine Umgebung oft durch vorgetäuschte Energie. Er wirkt nicht müde und erschöpft - im Gegenteil. Er tritt wie ein durchtrainierter Sportler auf.
Der Magersüchtige leugnet in den meisten Fällen, Probleme zu haben. Er bemüht sich, sein Leiden vehement vor der Gesellschaft zu verbergen. Das macht natürlich die Behandlung um einiges schwieriger. Die wenigsten magersüchtigen Patienten (speziell die Frauen) erleben einen Orgasmus oder haben Freude an sexuellen Kontakten.
Das äußerlich auffallendste Leitsymptom ist die gewollte Gewichtsabnahme beziehungsweise das bewusst stark niedrig gehaltene Körpergewicht durch Reduzierung der Nahrungsaufnahme. Die meisten Betroffenen können die beabsichtigte Nahrungsbegrenzung nicht über längere Zeit aufrechterhalten. Es kommt zu einzelnen ,,Ess-Durchbrüchen" oder zu Episoden von Bulimie, gefolgt von Erbrechen. Typische für Anorexia-Nervosa-Patienten ist, dass die Betroffenen sehr wenig essen. Wenn sie etwas zu sich nehmen, handelt es sich um kalorienarme und gesunde Kost. Sie benutzen oft harntreibende Mittel und Abführmittel, trinken viel Diabetikerlimonade, usw. Dies alles bewirkt, dass die Nahrung den Körper schnell passiert. Die magersüchtigen Patienten überprüfen oft ihr Gewicht und achten darauf, dass der Körper möglichst dünn ist. Wenn die Patienten ein skelettartiges Aussehen erreicht haben, wird es für sie zu einer Art Wettbewerb, am dünnsten zu sein.
Als Folge des Gewichtsverlustes und aus psychologischen Gründen können sich folgende körperliche Symptome entwickeln:
erniedrigte Körpertemperatur niedrige Pulsfrequenz niedriger Blutdruck Knöchelödeme Lanugo-Behaarung (wie bei Neugeborenen) bei Frauen setzt die Menstruation aus sowie eine Reihe von Stoffwechselstörungen
Spätestens bei einem Körpergewicht von unter 40 kg ist wegen der akuten Lebensgefahr unbedingt stationäre Behandlung erforderlich.
Trotz des extremen Gewichtsverlustes erleben die Kranken ihren Zustand nicht als bedrohlich. Im Gegenteil: Sie verteidigen ihn als normal. Die zwanghaft anmutenden permanenten Beschäftigungen, die motorische Unruhe sowie die mit großer Anstrengung vollbrachten sportlichen Leistungen stehen in merkwürdigem Kontrast zu der scheinbar weit fortgeschrittenen körperlichen Schwächung.
Hinter all diesen Störungen des Essverhaltens steht ein ganzes Bündel ursächlicher psychischer und teilweise wahrscheinlich konstitutionell-hereditär bedingter sowie familiendynamischer Faktoren. Je nach therapeutischer Sicht kann man diese Faktoren auf der Ebene des Verhaltens, der Psychodynamik des Individuums bzw. der Kommunikationsstörungen innerhalb der Familie beschreiben. Die ausgeprägte Anorexia nervosa ist somit nicht nur eine Krankheit des Individuums, sondern auch das Symptom gestörter und auf einen bestimmten Niveau fixierter Familienbeziehung.
Esssucht mit Erbrechen (Bulimia Nervosa)
Esssucht ist eine ,,verborgene" Krankheit. Der gewaltige Appetit, das Erbrechen und die Depression, die sie begleiten, werden vor der Umwelt geheim gehalten. Ein ungünstiges Zusammenspiel des Patienten mit seiner Umwelt trägt dazu bei, dass die Esssucht zu einem festen Muster wird und die gefühlsmäßigen Probleme schwer zu lösen sind.
Die Ess-Brech-Sucht wurde erst in den Jahren 1976 bis 1980 begrifflich und inhaltlich von der Anorexia nervosa abgegrenzt und schließlich 1980 von der American Psychiatric Association als eigenständige Erkrankung definiert. Seit der Erstbeschreibung ist das Krankheitsbild unter acht verschiedenen Namen in die Literatur eingegangen. Die inzwischen bevorzugte Bezeichnung Bulimia nervosa leitet sich ab aus den Griechischen Worten Bous (Ochse) und Limos (Hunger), bedeutet also ,,Stierhunger", im übertragenen Sinne ,,verzehrender Hunger" und weist mit dem Zusatz ,,nervosa" auf den psychischen Hintergrund der Erkrankung hin. Alle Krankheitsbezeichnungen stellen das gierige Essverhalten als Hauptsymptom in den Vordergrund.
Das impulsartige Essen hat aus tiefenpsychologischer Sicht die Aufgabe, den Betroffenen in bestimmten Situationen vor einem Überschwemmtwerden mit bedrohlichen Affektzuständen, dh. letztlich vor einem Zerfall der labilen Ich-Organisation zu bewahren.
Das wichtigste, auf die Krankheit hinweisende Leitsymptom sind daher plötzlich auftretende Heißhunger-Attacken mit dem Verschlingen meist hochkalorischer Nahrungsmittel. Manche Kranke werden von solchen Hunger- oder Fress-Attacken unvermittelt überfallen, ohne dass ihnen situative Auslöser bewusst wären. Andere wissen ungefähr, wann sie solche Attacken zu erwarten haben, wieder andere bereiten systematisch regelrechte Fressgelage vor.
Körperlich empfundener Hunger ist nicht der eigentliche Auslöser, selbst wenn die Betroffenen es so bezeichnen. Erstauslösend wirken entweder Abmagerungskuren, in deren Verlauf Fress-Attacken auftreten, welche dann in einen ,,bulimischen Teufelskreis" münden oder der Verlust wichtiger Bezugspersonen. Im weiteren Verlauf der Erkrankung sind dann meistens unbestimmte und undifferenzierte Affekt-, Spannungs- oder Unruhezustände, innere Leere, Angstzustände besonders vor Einsamkeit oder Trauer auslösende Mechanismen für Heißhunger-Attacken. Das Verschlingen der Nahrungsmittel geschieht heimlich unter starker seelischer Spannung und mit schlechtem Gewissen. Im Gegensatz zur Anorexia nervosa leiden diese Patienten unter ihrem Ess-Fehl-Verhalten. Sie wagen aber lange nicht, davon zu sprechen. Selbstvorwürfe, Minderwertigkeitsgefühle, depressive Verstimmungen bis hin zum Suicidversuch sind die Folge.
Das Erbrechen nach den Fress-Anfällen ist das zweite wichtige Leitsymptom. Anfangs wird das Erbrechen selbst herbeigeführt, später geht es von alleine. Die meisten Betroffenen erbrechen regelmäßig nach jeder Fress-Attacke ein bis mehrmals am Tage. Zum Teil werden große Flüssigkeitsmengen nachgetrunken, um mehrmals erbrechen zu können, was praktisch einer Magenspülung gleichkommt. Vereinzelt sehen die Betroffenen keinen Zusammenhang von Fress-Anfällen und Erbrechen, wenigstens in der Anfangszeit.
Gewichtsreduktion wird auch durch strenge Diät, Einsatz von Abführ- oder Entwässerungsmitteln herbeigeführt. Appetithemmer werden von den Betroffenen eingesetzt, um Hungergefühle zu unterdrücken und dem drohenden Gewichtsanstieg entgegenzuwirken. Diese Mittel gehören entsprechend den chemischen Grundsubstanzen zu den Aufputschmitteln. Sie wirken also anregend und aktivitätssteigernd. Das führt bei manchen Betroffenen zu unangenehmen Nervositätszuständen und schließlich zum Absetzen des Mittels.
Abführmittel und entwässernde Medikamente werden ebenfalls mit dem Ziel der Gewichtsreduktion eingesetzt. Abführmittelmissbrauch kommt bei mindestens 50 % der Fälle vor.
Körperliche Beeinträchtigungen sind selten. Lediglich bei gehäuftem täglichen Erbrechen, exzessivem Missbrauch von Abführ- und Entwässerungsmitteln sowie bei Untergewicht können bedrohliche Elektrolyt-Stoffwechselstörungen auftreten, die Muskelschwäche, allgemeine Müdigkeit, Herzrhythmusstörungen und zusätzliche Verdauungsschwierigkeiten zur Folge haben. Eine Übersäuerung der Mundhöhle durch Magensaft - herbeigeführt durch oftmaliges Erbrechen - beschleunigt den Zahnverfall.
Im Unterschied zu Anorexia nervosa-Patienten haben Bulimia nervosa-Patienten in der Regel ein Wunschgewicht, das fast immer unter ihrem aktuell erreichten Körpergewicht liegt. Wenn sie (durch Nahrungsbegrenzung, Diät, Abführmittelmissbrauch, Erbrechen) diesem Gewicht nahe gekommen sind, lassen die Gegensteuerungsversuche zu den Essimpulsen nach - im Erleben der Betroffenen sind das dann entspannte, glückliche Zeiten - bis durch Gewichtsanstieg wieder neue Abmagerungsversuche unternommen werden müssen. Die sichtbare Folge: große Gewichtsschwankungen.
Die Unterscheidung untergewichtiger Bulimia von Anorexia nervosa-Patienten ist allein anhand des Essverhaltens schwierig, in Einzelfällen auch unter Berücksichtigung anderer Kriterien unmöglich, da die Krankheitsbilder ineinander übergehen können. Anorexie-Patienten argumentieren in erster Linie mit ihrem Gewicht bzw. mit der Angst vor Gewichtszunahme, allenfalls mit der Angst vor einem dicken Bauch. Anorexie-Patienten brauchen folglich den Hunger wie das Untergewicht, um sich wohl zu fühlen. Für die Gewichtsabnahme setzen sie keine untere Grenze fest.
Bulimia-Patienten dagegen argumentieren in erster Linie mit der Figur: Sie wollen nicht dick werden. ,,Nicht-dick-werden-wollen" ist etwas anderes, als eine Angst vor Gewichtszunahme zu haben. Wenn Bulimie-Patienten Essen verweigern, dann mit dem Argument: Sie fürchten, dass mit dem Beginn des Essens der Kontrollverlust zum Essen eintritt. Darum fangen sie erst gar nicht damit an. Bezüglich des Körpergewichts setzen sich Bulimia-Patienten eine untere Grenze. Wenn diese erreicht ist, wird eventuell eine neue Grenze definiert.
Esssucht ohne Erbrechen - mit Übergewicht (Bulimie)
Bei den esssüchtigen Patienten ohne Brechsucht lassen sich zwei Formen des Essverhaltens unterscheiden:
das nächtliche Essen und das zeitweise ungehemmte Essen (binge eating _ süchtige Essanfälle)
Die nächtlichen Esser werden am Abend und in der Nacht von Heißhunger und von Rastlosigkeit geplagt. Oft gehört auch Schlaflosigkeit als Begleiterscheinung dazu. Manche Patienten wachen nach ein paar Stunden auf und essen dann allein große Mengen, um danach weiterschlafen zu können. Während der Patient mit Essanfällen im Krankenhaus mehrere Kilo abnehmen kann, ohne ernste psychische Reaktionen zu zeigen, bekommt der nächtliche Esser oft schwere gefühlsmäßige Störungen, wenn er an seinen nächtlichen Mahlzeiten gehindert wird.
Eine gestörte Kontrolle über das Essverhalten führt zu einer großen Nahrungsaufnahme ohne nachfolgendes Erbrechen. Diese Gruppe leidet folglich an Fettleibigkeit und Übergewicht. Diese Patienten führen sich mehr Kalorien zu, als sie verbrauchen können.
Der Mensch mit Übergewicht, der regelmäßig etwas zu viel bei den Mahlzeiten zu sich nimmt, ist nicht esssüchtig. Viele Menschen, besonders in schwierigen Lebensphasen, kennen kürzere Perioden, in denen sie zu viel essen oder sich mit Essen trösten, ohne dass sich ihr Leben oder ihr Essverhalten negativ entwickelt und sie esssüchtig werden.
Unter Esssucht versteht man:
periodisch auftretende Essanfälle mit dem Verschlingen meist süßer Nahrungsmittel ohne anschließendes Erbrechen oder kontinuierliches gieriges Überessen.
Um beurteilen zu können, ob jemand esssüchtig ist, muss man sein gesamtes Umfeld (Essverhalten, Kontaktfähigkeit, usw.) kennen. In der Gruppe der Esssüchtigen mit Übergewicht gibt es etwa gleich viele Frauen und Männer. Durch das vermehrte Essen werden - für den Betroffenen erlebbar - seelische Spannungen abgebaut oder wenigstens gemildert. Ob sich aus diesem Ess-Fehl-Verhalten ein Übergewicht entwickelt oder nicht, hängt von einem komplexen Zusammenspiel aus Essverhalten, Gegensteuerungsversuchen zum Gewichtsanstieg und sicher auch von bedingten Stoffwechselfaktoren ab. Bekanntlich besteht bei Frauen eine deutliche Verknüpfung zwischen Selbstwertempfinden und Figur bzw. Körpergewicht. Die Gegensteuerung zu Essimpulsen und die Versuche zur Gewichtsreduktion müssen daher bei Frauen einen wesentlich höheren und zentraleren Stellenwert haben als bei Männern. Warum wesentlich mehr Frauen als Männer anorektisch, ess-brech-süchtig oder esssüchtig werden, hat sicher verschiedene individuelle und soziale Gründe. Zwei davon, die mit dem geschlechtsspezifischen Rollenverhalten von Männern und Frauen zusammenhängen, sind bekannt.
Stärker als durch biologische Grundlagen scheint das Selbstverständnis und Rollenverhalten von Mann und Frau von Umwelteinflüssen abzuhängen. Jungen und Mädchen werden nämlich bereits von Geburt an durch ihre Eltern mit ganz bestimmten geschlechtsspezifischen Attributen und späteren Rollenerwartungen belegt. So bezeichneten in einem Testinterview Väter und Mütter schon 24 Stunden nach der Geburt ihre Jungen signifikant häufiger als ,,groß" und ,,markant", ihre Mädchen signifikant häufiger als ,,schön, niedlich, fein". Derartige geschlechtsspezifische Vorgaben prägen natürlich das eigene Selbstverständnis, Selbstbewusstsein und das spätere Rollenverhalten. Das Selbstbewusstsein von Mädchen wird auf diese Weise stärker an das äußere Erscheinungsbild geknüpft als dies bei Jungen der Fall ist. Mädchen und Frauen sind somit auch anfälliger für kulturspezifische Attribute der äußeren Erscheinung, etwa für das bei uns propagierte und mit bestimmten emotionalen Inhalten verbundenen Schlankheitsideal. Da sich dieser sozial akzeptierte Maßstab für den zentralen Wert einer Frau in den letzten Jahrzehnten zunehmend verschärft hat, werden die Forderungen für die einzelne Person beinahe unerfüllbar. So sind beispielsweise die Körpermaße der Miss America im Laufe der letzten Jahre immer knapper geworden, während das tatsächliche Durchschnittsgewicht der Amerikaner leicht zugenommen hat. Die Diskrepanz zwischen kollektivem Ideal- und Realgewicht ist also gestiegen.
Der geschlechtsspezifische Zusammenhang zwischen Selbstwertproblemen und äußerer Erscheinung beziehungsweise Figur erklärt natürlich nur zum Teil den zahlenmäßig hohen Anteil von Frauen mit Essstörungen.
Andere Faktoren: Erziehung zur Anpassung und Passivität, persönlichkeitsspezifische emotionale Probleme, die Prägung im Umgang mit Nahrungsmitteln als herkömmliche obligate Aufgabe der Frau, ein bestimmter Stellenwert des Essens in der Familie, usw. Als Ergebnis all dieser Faktoren werden Frauen im Rahmen einer individuellen Suchtentwicklung dann eher zu solchen Mitteln greifen, die sozial erlaubt oder unauffällig sind. In der Legalitätsreihe der bei uns vorhandenen Suchtmittel befinden sich: Illegale Drogen - Alkohol - Medikamente und Nahrungsmittel. Demnach sind Männer häufiger bei den illegalen Drogen und beim Alkohol, die Frauen anteilsmäßig häufiger bei Medikamenten und Nahrungsmitteln vertreten.
Die Frage, warum Frauen häufiger unter Essstörungen leiden als Männer muss also sehr weit aufgefächert werden, damit man nicht zu vordergründigen Antworten kommt, die dem Problem nicht gerecht werden.
In ihrer Persönlichkeitsstruktur weisen Patienten mit Esssucht deutliche depressive Merkmale auf (zB Kummerspeck). Im Gegensatz zu den Bulimia nervosa-Patienten fehlen die aggressiven und autoaggressiven Persönlichkeitskomponenten. Sind autoaggressive Anteile vorhanden, dann ist die Abgrenzung zur Bulimia nervosa schwierig - therapeutisch aber auch nicht notwendig.
Esssucht ist nicht gleichbedeutend mit Übergewicht. Vielen, wohl den meisten Betroffenen gelingt es, ihre Essimpulse oder wenigstens den drohenden Gewichtsanstieg durch rationale Kontrolle oder äußere Hilfsmittel wie tägliches Wiegen im Griff zu halten. Man spricht dann von latenter Esssucht oder - wenn der Akzent auf dem Körpergewicht liegen soll - von latenter Adipositas (auf letzteren Begriff gehe ich beim nächsten Punkt genauer ein).
Manifeste Adipositas
Der wörtlich übersetzte deutsche Ausdruck für Adipositas heißt eigentlich Fettleibigkeit. Der Begriff ,,Fettsucht" suggeriert schon eine Entstehungsursache der Fettleibigkeit, nämlich das suchtartige Essen. Die Adipositas ist aber ein sehr komplexes Phänomen, ein Symptom, das aus dem Zusammenwirken vieler Faktoren entstanden ist. Dazu gehören Faktoren des Gesamtstoffwechsels und des Zellstoffwechsels, des Wärmehaushalts und der Energiebilanz, für die sicherlich Erbfaktoren von entscheidender Bedeutung sind.
Weiter gehören dazu: Faktoren aus der Persönlichkeitsproblematik, erlernte Interaktionen und Essgewohnheiten in der Familie einschließlich des Stellenwerts des Essens für die Befriedigung emotionaler Bedürfnisse. Im Einzelfall dürften diese Faktoren unterschiedliche Bedeutung haben. Das Ergebnis ihres Zusammenwirkens ist aber immer das Gleiche: die Fettleibigkeit. Mit anderen Worten: Trotz des gleichen Ergebnisses der Fettleibigkeit ist doch ,,dick nicht gleich dick".
Jedenfalls lassen sich aus den langen und komplexen Entwicklungsvorgängen, die zur Adipositas führen, einzelne Faktoren aufzählen, denen eine gewisse Relevanz zukommt, und zwar Relevanz nicht nur im Sinne von ursächlichen, sondern auch von therapeutischen Faktoren.
Dazu gehören: Die schon erwähnte Störung der Appetit- und Sättigungsregulation. Dies bedeutet, dass die Betroffenen keine körpereigenen Signale spüren, welche anzeigen, ob und wann sie Hunger haben und wann sie satt sind. Störungen der Sättigungsregulation sind auch bei anderen Essstörungen nachgewiesen worden.
Unter anderem deshalb sind Adipöse extrem auf Außenreiz zum Essverhalten angewiesen. Die Außenreizabhängigkeit gilt aber auch für die schon erwähnten latent Adipösen, also für Menschen, die ihr Gewichtsproblem durch kognitive Kontrollmaßnahmen und andere Orientierungshilfen im Griff haben.
Orale Kompensationsmechanismen für belastende Situationen: Bekannt sind Appetitsteigerungen bei Ärger, Trauer, Misserfolg und Langeweile. Derartige Reaktionen kommen in der Bevölkerung relativ häufig vor. Wenn aus solchen Reaktionen eine Gewohnheit und daraus ein situationsunabhängiges, gierig-süchtiges Verschlingen großer Nahrungsmengen wird, dann haben wir es mit einer behandlungsbedürftigen Essstörung zu tun.
Ein weiterer Faktor, der Essverhalten prägt, ist das schon erwähnte Schlankheitsideal und die damit zusammenhängende soziale Diskriminierung Adipöser. Vor allem adipöse Frauen, deren Stoffwechsel und psychisches Gleichgewicht sich auf ein bestimmtes Körpergewicht eingependelt haben, stehen in starker seelischen Spannung zwischen dem sozial erwünschten Schlankheitsideal und ihren Essimpulsen. Wenn sie versuchen abzunehmen, kann sich daraus der verhängnisvolle Kreislauf einer Ess-Brech-Sucht entwickeln, ohne dass sich auf Dauer das Körpergewicht verändern muss.
Schließlich findet man auch bei Adipösen Körper-Schema-Störungen und aggressiv besetzte Ablehnung des eigenen Körpers - ähnlich wie bei der Anorexia und Bulimia nervosa.