Hirntod

Touhy

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23.10.2006
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Beruf
Bürokauffrau
Funktion
Buchhaltung
Frau Y. , ca. 40 Jahre alt, hat vor 10 Tagen eine Subarachnoidalblutung
Hunt & Hess IV erlitten und wurde zur Therapie auf die Neurochirurgische
Intensivstation aufgenommen. Das Aneurysma wurde noch am Tag des
Eintreffens im Krankenhaus gecoilt und eine externe Ventrilkeldrainage wird
angelegt. Die Patientin ist beatmet, analgosediert und
katecholamingestützt, um den Ziel MAD zu erreichen. Die größte Gefahr bei
SABs sind Vasospasmen nach dem Blutungsereignis, da es hierbei zu einer
Minderperfusion des Hirngewebes kommen kann. Es wird ein Medikament
gegeben, das Nimotop heißt. Es wirkt vor allem auf die Hirngefäße dilatativ.
Nach dem Kontroll CCT am Tag nach der Blutung sieht es so schlecht nicht
aus, jedoch entwickelt die Patientin in den nächsten Tagen massive
Vasospasmen. Am Tag 10 wird der zuständigen Pflegekraft vom Frühdienst
eine dezente Anisokorie übergeben. Im Laufe des Nachmittags wird die
Patientin mit massiv entgleisten Blutdruck auffällig. Ein Blick in die Augen
zeigt weite lichtstarre Pupillen beidseits, sowie komplett fehlende Reflexe.
Die Patientin bekommt Trapanal und Osmofundin, um den Hirndruck zu
senken. Ein Notfall CCT wird innerhalb der nächsten 15 Minuten organisiert.
Es zeigt sich eine massive Hirnschwellung und multiple Hirninfarkte. Jetzt
steht die ethische Entscheidung an: was tun? Knochendeckel entfernen für
eine winzige Überlebenschance? Der Oberarzt entscheidet: Die Patientin
wird nicht mehr therapiert, die Sedierung, Schmerzmittel etc. werden
ausgeschaltet, eine organerhaltende Therapie wird eingeleitet. Die
Angehörigen werden über die in fauste Prognose informiert, waren sowieso
gerade auf dem Weg in die Klinik.

Tag 11: Die Hirntoddiagnostik beginnt. Zunächst wird ein Labor
abgenommen und auf eventuell sedierende Substanzen geschaut, die dieses
Hirntodsyndrom vortäuschen können. Vor allem Trapanal, Benzodiazepine
und Opiate sind relevant. Die Grenzwerte sind unterschritten, also kann die
Symptomatik nicht medikamentös bedingt sein. Es beginnt die ärztliche
Untersuchung durch zwei unterschiedliche Ärzte. Die Hirnstammreflexe
werden überprüft, sind nicht mehr vorhanden und so wird es ins
Hirntodprotokoll eingetragen. Die Pupillen werden angeschaut und die
Lichtreaktion getestet. Es folgt ein Apnoe Test: Die Patientin wird zunächst
mit 100% beatmet und dann von der Beatmung getrennt. Geachtet wird hier
auf Atemexkursionen infolge des steigenden paCO2. Nach etwa 10 Minuten
wird die Beatmung wieder angeschlossen, der paCO2 ist über 70, das sollte
Atemanreiz genug sein. Für den Fall einer Organspende müsste auch noch
ein Nulllinien EEG geschrieben werden, das heißt, es gibt im EEG nur noch
minimale Kurventätigkeit bedingt durch Herzschlag und Beatmung sowie
elektrische Impulse wie das EKG. Vergleichbar ist das mit der Nullinie des
EKG. Die Diagnostik für diesen Tag ist abgeschlossen, ein weiteres
Hirntodprotokoll wird am Folgetag durchgeführt.

Tag 12: Das erneute Hirntodprotokoll wird diesmal durch den Assistenten
der vorherigen Untersuchung ausgefüllt, die Tests sind die gleichen wie am
Vortag, ebenso die Ergebnisse. Die Patientin ist tot. Nur aufgrund der
Beatmung und Unterstützung durch Katecholamine bleibt der Kreislauf stabil.
Die Angehörigen werden auf eine Organspende angesprochen. Eine junge
Patientin und bis auf das "ausgefallene" Gehirn völlig gesund. Nach reiflicher
Überlegung entscheiden sich die Angehörigen gegen eine Spende.

Alle Infusionen und die Beatmung werden gestoppt, die Patientin
stirbt und ist nun auch klinisch tot.
 
Interessant mal diesen Ablauf zu lesen.
Merci
 
hallo,

sehr interessant so etwas mal zu lesen habe solche Erfahrung nur mal am rande mit bekommen!

GrußTinaG.
 
Für den Fall einer Organspende müsste auch noch
ein Nulllinien EEG geschrieben werden,

Bliebe noch zu erwähnen, daß diese Information nicht richtig ist.
Das EEG ist keine zwingend durchzuführende Massnahme zur Feststellung des Hirntodes.
Es wird lediglich dann notwendig, wenn man den vorgeschriebenen Beobachtungszeitrahmen unterschreiten will, um zB eine Explantation zügig durchzuführen.
Quelle:Deutsche Stiftung Organtransplantation

Gruß spflegerle
 
Hallo ,
das kommt mir aus meiner neurochirurgischen Zeit doch sehr bekannt vor...
Tolle , sachliche Schilderung einer Situation , die für mich nie zur Routine werden wird...
LG Ernie
 
Ich, als angehender Azubi in der Krankenpflege finde es auch höchst interessant.

Bin sehr beeindruckt von der medizinischen Arbeit in diesem Fall.
 
hallo! Ich hoffe doch dringlichst, dass dieses für KEINEN zur Routine wird, denn wir haben es immer noch mit Menschen zu tun - nicht mit Maschinen! Ich habe so eine Situation einmal mitgemacht und habe lang gebraucht, damit klar zu kommen....
 
Hallo

Vor zwei Tagen ist bei uns genau das gleiche passiert, zwar nicht bei meinem Patienten, aber es nimmt einen doch schon sehr mit, wenn man weiß, worauf die Hirntod-Diagnostik letztendlich hinauslaufen wird.
 
Dafür freuen sich aber wiederum andere Menschen, dass sie dann ein Leben ohne Dialyse führen können.
 
Wenn denn dann die Organe durch fehlenden Spenderpass und Nichteinwilligung der Angehörigen nicht "vergeudet" werden.
 
Das stimmt allerdings auch wieder...
 
Bei uns auf Station gehört das leider zum Alltag (durchnittlich 2-3/Monat).
Mit dem Tod der Patienten habe ich keinerlei Probleme.
Womit ich mittlerweile mehr zu kämpfen habe, ist die intensive Angehörigenbetreuung, die ein solcher Patient automatisch mit sich bringt.
Ich hoffe sehr, dass das Organspendegesetz doch noch mal in Punkto Widerspruchsregelung neu überdacht wird. Allein im Juli haben wir drei Pat. die zwischen 25-45 Jahre alt waren, nicht explantieren dürfen, weil die Angehörigen in dieser Situation schlicht überfordert waren (kein Wunder!) und dann natürlich eher abschlägig entscheiden.
D.
 
Zitat Touhy
Es zeigt sich eine massive Hirnschwellung und multiple Hirninfarkte. Jetzt
steht die ethische Entscheidung an: was tun? Knochendeckel entfernen für
eine winzige Überlebenschance? Der Oberarzt entscheidet: Die Patientin
wird nicht mehr therapiert, die Sedierung, Schmerzmittel etc. werden
ausgeschaltet, eine organerhaltende Therapie wird eingeleitet.

Hm. Massive Hirnschwellung und multiple Hirninfarkte. Dann werden Sedierung und Analgetika abgesetzt.
Wenn aber die Patientin doch noch Restempfindungen hat? Es sind doch vielleicht noch wenige Hirnareale intakt, möglicherweise gerade sensible Rindenbereiche?
Ich bin nicht gegen die Organspende. Aber ich würde haben wollen, dass ich bis zu meinem offensichtlichen Tod sediert und mit Schmerzmedikation versorgt werde und würde auch auf eine Narkose während der Organentnahme bestehen. Was sagen die Experten unter euch? Denn ich habe in einer Doku sehr Bedenkliche Aussagen von Anästhesisten gehört, die sich während der Organentnahme dann doch zu einer Narkose entschieden haben.
Wie kann man sicher sein, dass ein hirntoter Patient keine Empfindungen mehr hat? Erst wenn das Gehirn überhaupt nicht mehr durchblutet ist, kann ich doch sicher sein, dass jede Zelle absstirbt.
Mein Mann und ich wollen uns einen Organspendeausweis zulegen, doch würden wir gerne auf die Schmerzmed. bzw. Narkose bei der Organentnahme bestehen. Das würde mich irgendwie beruhigen.
Was sagen die Experten?
 
Zitat Touhy

Wie kann man sicher sein, dass ein hirntoter Patient keine Empfindungen mehr hat? Erst wenn das Gehirn überhaupt nicht mehr durchblutet ist, kann ich doch sicher sein, dass jede Zelle absstirbt.
Mein Mann und ich wollen uns einen Organspendeausweis zulegen, doch würden wir gerne auf die Schmerzmed. bzw. Narkose bei der Organentnahme bestehen. Das würde mich irgendwie beruhigen.
Was sagen die Experten?


Genau! Solange nicht festgelegt ist, daß während der Organentnahme der hirntote Patient generell narkotisiert wird, werde ich mir keinen Organspenderausweis zulegen. Habe auf meinem Patiententestament Organspende asgeschlossen. Auch ich habe Reportagen zu diesem Thema gesehen. Das hat mir angst gemacht!
 
Nicht nur die Nieren, auch Herz, Lunge, Leber, Pankreas, Hornhaut und Gehörknöchelchen....
Der Mensch das reinste Ersatzteillager....
Aber meine Meinung ist:

Nimm Deine Organe nicht mit in den Himmel! - Den sie werden auf Erden gebraucht!

Liebe Grüße

Werner
 
Genau! Solange nicht festgelegt ist, daß während der Organentnahme der hirntote Patient generell narkotisiert wird, werde ich mir keinen Organspenderausweis zulegen. Habe auf meinem Patiententestament Organspende asgeschlossen. Auch ich habe Reportagen zu diesem Thema gesehen. Das hat mir angst gemacht!

Das kann man sicher auch deshalb nicht machen, da eine grundsätzliche Narkose bei Organentnahme ja bedeuten würde, dass die Möglichkeit in Erwägung gezogen wird, dass der Hirntote ja vielleicht doch noch etwas empfindet. Und das wiederum würde ja bedeuten, dass man einen lebenden Menschen vor sich hat. Dann wäre eine Organentnahme die Tötung eines Menschen. Und das darf natürlich nicht sein.
Also wenn nicht mal eine EEG-Nulllinie vorgeschrieben ist, dann halte ich das für sehr fragwürdig. Also die entscheidende Frage ist: Wie kann man ganz sicher sein, dass der Mensch absolut keine Empfindungen mehr hat? Wegen fehlender Reflexe?? Wegen Atemstillstands? Beides habe ich schon bei lebenden Patienten erlebt.
Außerdem muß es immer freiwillig sein. Meiner Meinung nach dürfen auch Angehörige nicht gedrängt werden. Denn die Würde des Menschen ist ihm auch mit seinem Tod nicht genommen, sondern selbst ein Toter Mensch hat Anspruch auf einen würdigen Umgang mit seinem Körper. Deswegen sind seine Organe auch nicht "vergeudet", wie Stormrider es nennt. Auch eine würdige Bestattung ist doch keine Vergeudung, sonst könnte ich doch alle Toten einfach irgendwo "entsorgen", denn sie sind ja hirntod, also leben eh nicht mehr... Nein, man muß die Angehörigen respektieren. Für sie ist es vielleicht wichtig, dass der Körper ihres geliebten Menschen "unversehrt" und "komplett" an einem Ort der Würde gebettet wird, der auch als Ort der Trauer und Erinnerung dient. Da kann man doch nicht von "Vergeudung" sprechen :eek1:! Ich habe schon von Angehörigen gelesen, die regelrecht ein psychisches Trauma ihr Leben lang mit sich trugen nach so einer Organspende.
Wenn ich mich zu Lebzeiten entscheide und ja sage, dann ist es für mich ok. Wenn ich das bewußt in Kauf nehme, weil ich tatsächlich keine Prognose mehr habe und keine Aussicht auf Wiederherstellung eines würdigen Lebens und dann noch was Gutes tun kann, ohne dabei Schmerzen oder Angst zu empfinden, dann ist das in Ordnung. Aber man darf doch niemanden verurteilen, weil er dies anders sieht!
 
Ich habe bisher in 3 Häusern gearbeitet und war dabei für explantierte Pat und auch transplantierte Pat verantwortlich (Uni Klinik, 2x Maximalversorger). Nirgendwo gab es eine Organentnhame ohne Analgosedierung.
Siitichfreundin schrieb:
Also wenn nicht mal eine EEG-Nulllinie vorgeschrieben ist, dann halte ich das für sehr fragwürdig.
:eek1: Woher beziehst du deine Infos? Goldenes Blatt? :mrgreen:
Hier werden sie geholfen ;)
venusnacht schrieb:
Auch ich habe Reportagen zu diesem Thema gesehen. Das hat mir angst gemacht!
Mir machen ganz viele Sachen Angst aber ganz sicher keine Reportagen, die oberflächlich und bewußt tendenziell Themen abhandeln, um mal wieder irgendwelche Sommerlöcher zu stopfen.
Es gibt mE nach in Deutschland keine strenger und transparenter, gesetzlich geregelte, medizinische Vorgehensweise, als die Hirntoddiagnostik, sowie die eventuell daraus resultierende Organspende.
Allen, die wenig oder gar keine Erfahrungen mit diesem Thema haben und ihre Wissenslücken mit fundierten Infos stopfen wollen, seien die ausserordentlich interessanten und sehr informativen FB oder die Website der DSO ans Herz gelegt
Gute Nacht!
D.
 
Ich hab auch erst gestutzt. Aber die DSO schreibt tatsächlich net zwingend ein EEG vor. Das lässt logischerweise den Schluss zu, dass ein EEG net eindeutig sein kann unter ganz bestimmten Umständen- sieh 3. Link. Auch anderswo scheint es Skepsis zu geben. siehe 4.Link.

Elisabeth