Schnabelbecher - ja oder nein?

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graógramán

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Kardiologische Intensivstation
Hallo,

ich arbeite momentan in der Gerontopsychiatrie und mir ist folgendes aufgefallen.
Hab mich da dann auch schon ein bißchen schlau gemacht.

Ein typisch deutsches Hilfsmittel ist der Schnabelbecher.
Wenn jemand Schwierigkeiten beim trinken hat, bekommt er einfach einen Schnabelbecher.

Aber was empfinden die Pflegebedürftigen dabei?
Stellt euch vor Ihr bekämt einfach einen Schnabelbecher.

In den USA und Skandinavien kommt er oft nur in der Pädiatrie zum Einsatz.
Für alle anderen gibt es ein Trinkgefäß mit Strohhalm.

Mit welcher Begründung setzt deutsches Pflegepersonal so häufig den Schnabelbecher ein?
 
ich kenne den schnabelbecher aus eigener erfahrung, als ich selbst mal als patientin auf der intensiv lag... ich finde das ein sehr gutes instrument, das sich für viele bereiche (nicht nur geronto) einsetzen lässt...

ich lag vorletztes jahr auch mal flach... bekam den kopf auf grund heftigster migräne kaum hoch... habe da auch meinen schnabelbecher benutzt. *g*


probier das teil doch selbst mal aus wenn es dir schlecht geht!
 
Bei Schnabelbechern verschüttet man halt nichts so leicht.

Ich persönlich halte das ganze Getue von "Der Patient fühlt sich als Baby wenn man Pampers sagt, wenn man Schnabelbecher benutzt" usw. sowieso übertrieben.

Diese Gefühle sind ganz logisch und lassen sich auch durch andere Bezeichnungen nicht wirklich austreiben, es sei denn wir reden über demente Patienten, die es sonst anders sehen. Ansonsten ist die Assoziation aber immer da, auch wenn man den Patienten auf einen Toilettenstuhl setzt oder dergleichen.
Wenn ein Patient Unwohlsein zu einer der Thematiken äussert lässt es sich ja leicht ändern...

Mir persönlich (und ich gehe davon aus das ändert sich auch nicht wenn ich älter bin) wäre es wurscht ob der Pfleger zu der PAMPERS Pampers sagt, oder Schutzhose, oder Windelhose oder blaues Höschen oder sonstwas Tolles. Es ist und bleibt eine Pampers (da man den Begriff damals so gelernt hat als Kind). Eher würden mich die Verniedlichungen und Umschreibungen ärgern - als ob der Pfleger meint damit könnte er mich senilen Patienten für dumm verkaufen.

Aber damit stehe ich eh wieder alleine da und will auch eigentlich keine große Diskussion anfangen :-)

Back to topic:
Was vestehst du eigentlich unter "Schwierigkeiten zu trinken"? Was hast du dazu beobachtet? Leute die Becher nicht halten können bekommen Schnabelbecher, Leute die bettlägerig sind oder Leute mit Schluckstörungen oder worum geht es dir genau?
 
Kontraindikationen für Schnabelbecher: Schluckstörungen, Demenz.

Um sich zum Thema Schnabelbecher äußern zu können bedarf es eines Ausflugs in die Anatomie und Physiologie des Schluckaktes.
1. Problem in der präoralen Phase: sensorische Eindrücke (Geruch, "Dampf") sind reduziert --> dadurch ggf. nicht adäquater Handlungsablauf --> Gefahr der "Verbrühung" der Zungenspitze
2. Problem in der oralen Phase: - häufig Auslösung eines Saugreflexes durch falsches Anreichen (Schnabel zwischen die Lippen)
- zugeführte Menge ist nicht regulierbar bei passiver Patientensituation --> Gefahr der Aspiration.
3. Problem in der phyaryngealen Phase: hier vor allem bei Schluckstörungen das Problem, dass der Kopf zu weit in den Nacken geneigt wird bei aktiver Patientensituation (Patient will Kontakt mit Schnabeldeckel vermeiden)--> Gefahr der Aspiration.

Meine Erfahrungen aus den Seminaren: es gibt fast immer Probleme bei der Selbsterfahrung mit den Schnabeltassen. Oben beschriebene Probleme werden als sehr unangenehm erfahren. Dazu kommt die angebliche Geschmacksirritation: Kaffee aus Plastikbecher.

Von meinen Vorlieben auf die des Patienten zu schließen ist sicher nicht der richtige Weg. Wenn ich aber meine Erfahrungen begründen kann, müßte ich zu einer kritischen Sicht auf die Schnabeltasse kommen.

Damit hier keine Mißverständnisse entstehen: die Schnabeltasse hat sicher hier und da ihre Berechtigung. So ekzessiv wie diese allerdings mittlerweile zum Einsatz kommt ist eher zu hinterfragen: was spricht gegen Trinkhalm?

Elisabeth
 
Elisabeth Dinse schrieb:
Dazu kommt die angebliche Geschmacksirritation: Kaffee aus Plastikbecher.
... das finde ich in einer Zeit, in der Getränke aus PET-Flaschen kommen und der Coffee to go Einzug gefunden hat, etwas weit hergeholt.

Elisabeth Dinse schrieb:
Damit hier keine Mißverständnisse entstehen: die Schnabeltasse hat sicher hier und da ihre Berechtigung. So ekzessiv wie diese allerdings mittlerweile zum Einsatz kommt ist eher zu hinterfragen: was spricht gegen Trinkhalm?Elisabeth

Gegen den Trinkhalm spricht nichts, ausser dass viele Patienten auch nach dem Schnabelbecher/Tasse verlangen, da sie es einfacher finden im Liegen mit einem "Deckel" auf dem Becher zu trinken, als mit dem Strohhalm zu trinken, der bekanntlich auch aus Plastik ist.

Beim Coffee to go habe ich auch oft einen Deckel auf dem Becher.
Das ist dann wohl die Vorstufe zum Schnabelbecher? Ich persönlich finde es gerade beim U-Bahn fahren sehr angenehm, wenn der Kaffee nicht auf meinen Klamotten landet, dank des Deckels.

Allerdings habe ich auch schon die Erfahrung gemacht, dass desorientierte Patienten mit dem Schnabelbecher überhaupt nicht zurecht kommen, aber mit der an der an den Mund geführten Tasse wiederum sehr gut.

Meine Empfehlung: je nach Bedarf, ausprobieren und Patientenwünsche beachten.

Sonnige Grüsse
Narde
 
... das finde ich in einer Zeit, in der Getränke aus PET-Flaschen kommen und der Coffee to go Einzug gefunden hat, etwas weit hergeholt.

Allerdings habe ich auch schon die Erfahrung gemacht, dass desorientierte Patienten mit dem Schnabelbecher überhaupt nicht zurecht kommen, aber mit der an der an den Mund geführten Tasse wiederum sehr gut.

Ich denke, dass da viele Probleme liegen. Trinken verbinden wir immer noch mit bestimmten Gefäßen. Die Situation tut ihr übriges. Stell dir einen Sonntagnachmittagskaffe in gepflegtem Ambiente vor... und der Kaffe kommt im Pappbecher. In die U- Bahn passt keine Porzellantasse.

Gegen den Trinkhalm spricht nichts, ausser dass viele Patienten auch nach dem Schnabelbecher/Tasse verlangen, da sie es einfacher finden im Liegen mit einem "Deckel" auf dem Becher zu trinken, als mit dem Strohhalm zu trinken, der bekanntlich auch aus Plastik ist.

Warum verlangen Pat. nach diesem Hilfsmittel? Krankheitsgewinn? Ich bin schließlich krank und das muss man sehen können. Trägheit? Es ist halt angenehmer sich ohne viel Mühe das Getränk in den Mund zu kippen. Man müßte sonst ev. die Lage wechseln, dass ist mit Anstrengung verbunden.

Pflegeziel ist doch immer: aktivierende Pflege? Der Ausgangszustand soll möglichst bald wieder erreicht werden. Wäre es da nicht sinnvoll, wirklich alle möglichen Ressourcen zu nutzen? Motivation zur Bewegung... oft eher ein Mythos.

Was mich am Gebrauch dieses (und anderer) Hilfsmittel oft stört, dass die Anwendung unkritisch erfolgt. Man geht, wie so oft in der Pflege, von sich selber aus. Aber wer von uns hat schon mal z.B. Schluckstörungen gehabt?



Elisabeth
 
Elisabeth Dinse schrieb:
Warum verlangen Pat. nach diesem Hilfsmittel? Krankheitsgewinn? Ich bin schließlich krank und das muss man sehen können. Trägheit? Es ist halt angenehmer sich ohne viel Mühe das Getränk in den Mund zu kippen. Man müßte sonst ev. die Lage wechseln, dass ist mit Anstrengung verbunden.
Ich bekomme häufig als Erklärung weshalb die Schnabeltasse/-Becher verlangt wird:
Ich will das Bett nicht vollkleckern und fühle mich damit sicherer.
Dies sind im Intensivbereich häufig Patienten nach PTCA und anderen Untersuchungen oder Krankheitsbildern, die flach im Bett liegen sollen/müssen.
Auch das Argument, dass ich danach das Bett gerne wieder frisch beziehe führt nich unbedingt zum Erfolg, also bringe ich in diesem Fall den gewünschten Becher.
Ich lasse den Patienten gerne die Auswahl zwischen dem Strohhalm oder Becher.:hicks:

Liebe Grüsse
Narde
 
schnabelbescher und strohhalme haben das gleiche problem: die flüssigkeit berührt nicht die lippen, so können diese keine reize an das gehirn weitergeben alla "achtung, da kommt was zu trinken" und daraus resultiert oft das verschlucken. ich denke, es kommt immer ganz auf die patienten und die jeweilige erkrankung an, welches trinkgefäss man verabreicht.

mfg gerri
 
die flüssigkeit berührt nicht die lippen, so können diese keine reize an das gehirn weitergeben alla "achtung, da kommt was zu trinken" und daraus resultiert oft das verschlucken.

Der Schluckakt wird durch Berührung der Lippen eingeleitet? Das ist mir neu. Wo kann ich dazu näheres erfahren?

Elisabeth
 
Hallo.Also,ich denke es kommt auch auf die Trinköffnung des Schnabelbechers an.Dort gibt es ja ne Menge Verschiedene.Schnabelbecher ist ja nicht gleich Schnabelbecher.Selbst unser Logopäde arbeitet damit,gerade bei Schluckstörungen!
 
Liebe Kollegen und Kolleginnen..

mal eine andere Sache zum Thema Schnabelbecher und Trinkhalme?

Was mache ich mit Patienten, die angedickte Getränke aufgrund einer Dysphagie bekommen und eine normale Tasse z.B. aufgrund eines Parkinson-syndroms nicht nutzen können?

Angedickte Getränke lassen sich nicht durch den Trinkhalm ziehen...

Die Tasse ist nicht wirklich benutzbar aufgrund des Tremors.

Die meisten meiner Pat. kommen hingegen da mit der Schnabeltasse/-dem becher sehr gut zurecht, fühlen sich dadurch unabhängiger und selbständiger.

Das widerum zu der aktivierenden Pflege (denn wenn ich dann die Tasse führe, was macht dann der Patient?:gruebel:

LG,Nic
 
Bei dysphagie mit einem neurologischen Hintergrung sollte auf eine Schnabeltasse verzichtet werden.
Die Bewegung beim Trinken aus einer Schnabeltasse ist eine andere als aus einer normalen Tasse: der kopf wird weiter in den Nacken gelegt. Diese Bewgung ist unerwünscht, weil damit das Risiko einer Aspiration steigt.

Angedickte Getränke erhält der Pat. bei uns aus einer normalen Tasse- ggf. wird die auch angereicht. Mal ganz davon ab: der Pat. muss bei Schluckstörungen immer in einer aufrechten Position sein. Da ist ein verschütten der Flüssigkeit schon schwieriger.

Siehe hierzu auch: Facio-Orale-Trakt-Therapie

Beim Parkinson haben wir uns an den Geflogenheiten des Pat. orientiert: wird zu Hause eine Schnabeltasse genutzt gabs bei uns auch eine- wenn nicht, dann bekam der Pat. auch bei uns eine normale Tasse. Tipp: Tasse nur max. bis zur Hälfte füllen.

Elisabeth


Änderung: Link angepasst.
 
ich find's schon einen deutlichen Unterschied - oft kriegen ja alle jenseits der 80 einfach nen Schnabelbecher hingesetzt
Folge ist oft, dass die Pat. mehr "nippen", als trinken

ich hab oft gemerkt, dass sie ohne Deckel besser trinken als mit... bestimmt, weil sie dann auch besser einschätzen können, wieviel jetzt gleich in den Mund gelangt, in welchem "Tempo", Konsistenz etc.

Aus'm Gefühl raus versuch ich eigentlich meistens, dass sie entweder aus der Tasse oder dem Becher - aber ohne Deckel - trinken können

und wenn's umfliegt, wird's Nest so oder so nass.... :mrgreen:
 
@Elisabeth:

Hallo..

zunächst einmal möchte ich dazu sagen, dass unsere Logopädin auch Schnabelbecher einsetzt.
Und die sollte es ja auch wissen, wie es richtig ist.

Und der Kopf muss nur mehr in den Nacken gelegt werden, sobald der Becher leerer wird.

Zu Parkinson oder anderen erkrankungen mit Tremor:

Wir haben oft Patienten, die sich beschweren, dass es selbst mit halbgefüllter Tasse zu schwer wird.
Diese möchten dann von selbst eine Schnabeltasse haben.. und ich werde den Teufel tun, und meinen Pat.den Wunsch abschlagen.:|

LG,Nic
 
@sisternic
Wir haben oft Patienten, die sich beschweren, dass es selbst mit halbgefüllter Tasse zu schwer wird.
Diese möchten dann von selbst eine Schnabeltasse haben.. und ich werde den Teufel tun, und meinen Pat.den Wunsch abschlagen.
Wenn dein Pat. mit einem hohen Zucker nach einem Stück Torte verlangt, reichst du dies dann auch?
Warum muss der Ersatz der Porzellantasse mit einer kompletten Schnabeltasse erfolgen? Schnabeltasse ohne Deckel tuts hier sicher auch- ist sogar noch ein paar Gramm leichter.

Ob und wann es richtig ist einen Schnabelbecher einzusetzen- dazu bedarf es Fachwissen.
Dysphagie – Ursachen, Diagnostik und Behandlung
Differentialdiagnose der Dysphagie

Therapie setzt wie immer Diagnostik voraus. Erst dann kann aus (Laien)pflege professionelle Pflege werden. Vielleicht fragst du deine Logopädin mal nach der Diagnostik, die sie betreibt und wann sie zu einer Schnabeltasse greift und wann nicht.

Übrigens: Eine gute Alternative zum Schnabeltasse findest du bei FOrmaTT unter Hilfsmittel.

Elisabeth
 
Elisabeth Dinse schrieb:
@sisternicWenn dein Pat. mit einem hohen Zucker nach einem Stück Torte verlangt, reichst du dies dann auch?

Hallo Elisabeth,

natürlich nicht.

Wobei ich es weit hergeholt finde, den Einsatz eines Schnabelbechers mit der Gabe eines Stückes Sahnetorte beim Diabetiker zu vergleichen.

Das ist nicht annähernd praxisrelevant.

Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass es auch Patienten gibt, die sehr viel trinken - aus einem Schnabelbecher?
Und dass es im Gegenzug Pat. gibt, die aus Tassen oder Gläsern am Tag nur 300-400 ml zusammenbringen?

Man muss doch sehen, wie es bei dem einzelnen Pat. genau ist, danach entscheide ich, wann ich was einsetze..
Bin ja schliesslich ned mit dem Kopf :gruebel: gegen eine :wut: gelaufen..
Ich sehe und denke während meines Dienstes..und je nach Individualität wird dann auch vorgegangen..

LG,Nic
 
@sisternic, da wir beide offensichtlich nicht die gleiche Gesprächsebene haben bringt es wahrscheinlich auch nichts mich zu wiederholen.

Bis denne

Elisabeth
 
Elisabeth Dinse schrieb:
Ob und wann es richtig ist einen Schnabelbecher einzusetzen- dazu bedarf es Fachwissen.
LoL...das iss ja mal ein klasse Satz... :rofl:

Ich teile mit vielen Vorrednern die Meinung...bzgl. des Gewichts usw...
Mal noch ein Punkt zu bedenken:

(...wenn wir hier eh schon den Schnabelbecher auseinander nehmen...)

Ich hatte schon oft Patis, die selbst nach einem Schnabelbecher fragten,
da sie durch ihren Tremor, nicht nur nicht die Kraft hatten eine normale Tasse zu halten,
sondern auch aus dem Grund, dass sie sich durch das starke zittern, ihre Kleidung voll kleckerten und das als besonders unangenehm empfanden...
...trotz Kleidungsschutz (Lätzchen), welches nicht gerade beliebt aber genommen wird...so wie der Schnabelbecher...

P.S. Bedarf es wohl auch des Fachwissens einen Kleidungsschutz zu verwenden...?
sry...aber der musste jetzt mal sein...

 
Hallo
Wir haben sehr viele Patienten aus dem Pflegeheim, diese sind an ihre Schnabelbecher gewöhnt und dürfen sie bei uns selbstverständlich weiterbenutzen. Bei anderen Patienten und speziellen Diagnosen wird einfach ausprobiert was ihnen am besten "gefällt" bzw. mit was sie am besten umgehen können. Tasse,Trinkglas,Trinkbecher Porzellan,Schnabelbecher mit und ohne Deckel,Strohhalm.Während meiner laaaangen Zeit auf der Inneren konnte ich feststellen daß erstaunlich viele Patienten die neu in die Klinik kommen die Schnabelbecher kennen und auch nach diesen Fragen wenn sie z.B. sehr geschwächt sind oder stark zittern. Wenn ein Patient sich mit Schnabelbecher glücklicher oder sicherer fühlt dann soll er ihn auch haben. Fühlt sich der Patient mit seinem Trinkgefäß wohl, dann trinkt er auch. Und das ist sowieso ein Problem bei unseren älteren Patienten. Wenn gar nichts mehr geht bekommen Patienten von mir auch Löffelchen weise Flüssigkeit verabreicht.
Alesig
 
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